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c) Reinhold

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Ähnliches wie an Descartes kritisiert Fichte auch an Reinhold. Dieser hatte zwar mit dem „Satz des Bewusstseins“ auf eine allgemeine Weise die Struktur des Bewusstseinslebens dahin gehend beschrieben, „dass die Vorstellung im Bewusstseyn durch das Subject vom Object und Subject unterschieden und auf beyde bezogen werde“,55 aber indem Reinhold das Subjekt in ursprünglicher Weise als vorstellend bestimmt, hat er es nach Fichte auch auf eine spezifische Tätigkeit hin fixierend verengt. Das Spezifische zeigt sich daran, dass Vorstellen nur eine theoretische, aber keine praktische Tätigkeit ist. Reinhold geht nach Fichte zwar weiter als Descartes, weil er nicht mehr intellektualistisch einen hochvermittelten Denkbegriff zum Ersten macht, sondern die unspezifischere Vorstellung, aber auch dies geht nicht radikal genug bis zum ursprünglichen Wesen des Ich, der Tathandlung; „denn auch das Vorstellen ist nicht das Wesen des Seins, sondern eine besondere Bestimmung desselben; und es gibt außer dieser noch andere Bestimmungen unseres Seins, ob sie gleich durch das Medium der Vorstellung hindurch gehen müssen, um zum empirischen Bewusstsein zu gelangen“ (20/FW I, 100).

Mit dem letzteren wird Entscheidendes deutlich: Offensichtlich ist nach Fichte das „Ich = Ich“ der Tathandlung selbst gar nicht repräsentativ in einer Vorstellung zu fixieren, sondern es ist prärepräsentativ. Das reine Ich ist noch völlig ohne Spezifikation und unbestimmt. Nur das konkrete Bewusstsein, das immer etwas im Sinne einer Entgegenstellung repräsentiert, macht sich das, was primär nicht Vorgestelltes ist, im Rahmen einer Vorstellung deutlich. Ohne die (nur in dieser Hinsicht) verfälschende theoretisch bewusste Vorstellung wäre die Tathandlung des „Ich = Ich“ für das empirische, d. h. für das konkrete Bewusstsein nicht zu thematisieren; eigentlich ist die Tathandlung aber die unvorstellbare Voraussetzung für alles Thematisieren. Die theoretische Vorstellung ist das Medium der Subjektivität, aber noch nicht deren ursprünglich umfassende Seinsweise. Mit der Seinsweise ist in diesem Kontext nicht eine ontologische Bestimmung des Ich gemeint, sondern nur die Selbstsetzungstätigkeit des Subjekts. Daher ist in Fichtes Sicht Reinholds Satz des Bewusstseins kein erster Grundsatz.

Der Satz des Bewusstseins ist aber nicht völlig ungültig, sondern nur in seinem Geltungsbereich zu relativieren und zu präzisieren; er ist ein Folgesatz, der tatsächliche Strukturelemente des theoretischen Bewusstseins rechtmäßig beschreibt, nämlich die wechselseitige Bezogenheit und Unterschiedenheit der Vorstellung in Relation auf Subjekt und Objekt. Dabei ist die Relation von Subjekt und Objekt zwar wechselseitig, aber doch asymmetrisch, denn es ist das Subjekt, durch welches die Vorstellung von Subjekt und Objekt unterschieden und bezogen wird. Das Subjekt ist also konstitutiver Grund hinsichtlich einer vorstellenden Vergegenwärtigung einer Objektivität. Das absolute Ich, wie Fichte es konzipiert, ist dagegen ursprünglicher als jeder theoretische Objektivierungsakt; das absolute Ich kann nicht in adäquater Weise zum bloßen Objekt einer Vorstellung werden: „Es ist sehr nötig, den Begriff der Tätigkeit sich hier ganz rein zu denken. Es kann durch denselben nichts bezeichnet werden, was nicht in dem absoluten Setzen des Ich durch sich selbst enthalten ist; nichts, was nicht unmittelbar im Satze: Ich bin, liegt. Es ist demnach klar, dass nicht nur von allen Zeitbedingungen, sondern auch von allem Objekte der Tätigkeit völlig zu abstrahieren ist. Die Tathandlung des Ich, indem es sein eignes Sein setzt, geht gar nicht auf ein Objekt, sondern sie geht in sich selbst zurück. Erst dann, wenn das Ich sich selbst vorstellt, wird es Objekt. – Die Einbildungskraft kann sich schwerlich enthalten, das letztere Merkmal, das des Objekts, worauf die Tätigkeit gehe, in den reinen Begriff der Tätigkeit mit einzumischen: es ist aber genug, dass man vor der Täuschung derselben gewarnt ist, damit man wenigstens in den Folgerungen von allem, was von einer solchen Einmischung herstammen könnte, abstrahiere“ (55f./FW I, 134).

Die Tathandlung darf also eigentlich nicht verzeitlicht, verobjektiviert oder verdinglicht werden, weil man dann abkünftige Bestimmungsstrukturen der Einbildungskraft auf eine eigentlich rein dynamische Handlungsform anwendet. Die Unzeitlichkeit der Tathandlung bedeutet nicht, dass sie eine ewige und damit metaphysische Handlung wäre. Dies bildet eine Überinterpretation, denn aus der bloßen Invarianz gegenüber der Zeit und den Bedingungen der Zeit – d.h. für Fichte Produkt der Einbildungskraft zu sein, die zwischen Entgegengesetzten vermittelnd schwebt –, folgt nicht eine metaphysische Ewigkeit. Die Zeitlichkeit kann für das absolute Ich deswegen nicht gelten, weil die produktive Einbildungskraft, indem sie zwischen Entgegengesetzten schwebt, die Zeit allererst hervorbringt. Ein solches Schweben zwischen Entgegengesetzten kann es bei der Tathandlung aber nicht geben, weil es keine Entgegensetzung gibt, sondern nur Selbstbezüglichkeit und Selbstgleichheit. Ebenso wie in der Sicht der Transzendentalphilosophie logische Gesetze unzeitlich gelten, (weil sie zu jeder Zeit gelten) so gilt auch die Tathandlung unzeitlich als Bedingung der Möglichkeit für die Verzeitlichung der Einbildungskraft. Denn die Tathandlung bildet die Voraussetzung für den einen Pol, auf den hin die Einbildungskraft wird schwebend vermitteln können.

Gegen die Elementarphilosophie Reinholds und dessen Satz des Bewusstseins als das Fundament der Philosophie wendet sich Fichte bereits in seiner im Februar 1794 – also nur vier Monate vor der Grundlage – erschienenen Aenesidemus-Rezension. Eines der wesentlichen Argumente gegen Reinholds Satz des Bewusstseins besagt, dass dieser eine Tatsache ist, die dazu dient, das für jedes Wissen fundamentale Vorkommnis der Vorstellung, in selbst wieder vorstellender Weise zu verdeutlichen. Eine Tatsache ist jedoch als empirisch-faktisches Vorkommnis auf ihr vorgängige Bedingungen der Möglichkeit angewiesen. Diese Bedingungen der Möglichkeit sind die eigentlichen Voraussetzungen bzw. Fundamente für die Tatsachenvorstellung, die selbst nicht mehr vorliegende Vorstellungen sind. Dieses Selbst-nicht-einfach-als-Vorstellung-Vorliegen gilt nach Fichte insbesondere für die beiden Tätigkeiten, die in Reinholds Satz des Bewusstseins vorkommen: Unterscheiden und Beziehen. Beide sind Handlungen, die eine Vorstellung allererst ermöglichen.56 Unterscheiden und Beziehen können zwar auch zu Vorstellungen fixiert werden, aber dies ist nicht ihre ursprüngliche „Seinsweise“; primär sind sie vielmehr Handlungen, die aktiv erlebt und vollzogen werden; die auch nicht vom tätigen Erleben selbst abzutrennen sind. Somit ist die „Tathandlung“ ursprünglicher als der Begriff der Vorstellung, und die Philosophie hat nach Fichte in der Tathandlung ihr Fundament, nicht aber in der Vorstellung, die ein abkünftiges Phänomen ist, welches ursprüngliches Handeln voraussetzt.

Johann Gottlieb Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794'

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