Читать книгу Johann Gottlieb Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794' - Rainer Schäfer - Страница 14
b) Descartes
ОглавлениеDescartes hat im Discours de la Méthode das cogito, ergo sum als Grundsatz der Ersten Philosophie geprägt. Dabei interpretiert Fichte völlig zutreffend, dass Descartes diesen Grundsatz nicht als Konklusion eines Syllogismus konzipierte, weil dann die Regeln der Syllogistik und die Prämisse des Schlusses („Alles, was denkt, existiert“) vor dem cogito, ergo sum bereits Gültigkeit haben müssten, was wiederum das cogito als erstes Fundament widerlegen würde. Daher deutet Fichte, dass das Cartesische cogito eine „unmittelbare Tatsache des Bewusstseins“ (20/FW I, 100) und kein vermitteltes Schlusswissen ist. Fichte kritisiert allerdings an Descartes, dass das cogito, ergo sum insofern nicht erste Gewissheit sein kann, als cogitare/Denken eine spezifische Tätigkeit des Subjekts ist und nicht dessen basalste und rudimentärste Seinsweise bildet. Denken als begriffliche Tätigkeit setzt Tätigkeit überhaupt voraus. Unter Tätigkeit überhaupt versteht Fichte die unbeschränkte und daher unbestimmte Selbstsetzung des Ich; also das „Ich = Ich“. Bis zu dieser basalen Form von Tätigkeit ist Descartes nach Fichtes Deutung nicht vorgedrungen, sondern er sah in einseitig intellektualistischer und rationalistischer Weise nur das Denken als unbezweifelbar an. Fichte sieht dagegen in fundamentalerer, voraussetzungsfreierer Weise selbstsetzende Tätigkeit überhaupt als unbezweifelbar an.
Es kann daran gezweifelt werden, ob Fichtes Kritik Descartes in Hinsicht auf das cogito, ergo sum tatsächlich trifft, denn Descartes hat einen viel weiteren Begriff von cogitare bzw. Denken als Fichte. Descartes meint mit dem cogitare des cogito, ergo sum nicht spezifisch begrifflich fixierendes Verstandesdenken, wie Fichte dies in seiner Kritik offensichtlich vor Augen hat, sondern Descartes meint mit dem cogitare alle Arten von intentionalen Bewusstseinsvollzügen, darunter fallen also auch Wahrnehmungen, Gefühle, Zweifeln, Imaginieren etc. Eventuell wollte Descartes genau dieses intellektualistische Missverständnis – wie es sich in Fichtes Deutung zeigt – mit seiner Alternativformulierung des cogito, ergo sum in den Meditationen vermeiden, denn dort sagt er nur noch: Ego sum, ego existo.54 Dies entspricht der Forderung Fichtes, als Anfangsgrund der Philosophie die selbstbezügliche Seinssetzung des Ich aufzustellen und nicht eine voraussetzungsreiche Spezifikation.