Читать книгу Johann Gottlieb Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794' - Rainer Schäfer - Страница 17
e) Leibniz
ОглавлениеDen ersten Paragraphen der Grundlage abschließend, stellt Fichte undifferenziert fest, Leibniz habe mit seinem Monadensystem eigentlich dasselbe System aufgestellt wie Spinoza (21/FW I, 101). Fichte schließt sich mit dieser seinerzeit gängigen Identifikation der Leibniz-Deutung von Salomon Maimon60 und Friedrich Heinrich Jacobi61 an. Diese Deutung ist allerdings nicht gerechtfertigt und wird der Komplexität des Leibnizschen Gedankengebäudes nicht gerecht. Nach Leibniz gibt es unendlich viele Monaden, die selbständige Substanzen sind (was z.B. durch die berühmte „Fensterlosigkeit“ ausgedrückt wird); wenngleich Gott natürlich die Zentralmonade ist. Nach Spinoza sind dagegen die endlichen Wesen nur unselbständige Modi der einen, göttlichen Substanz. Auch der reife Schelling sieht die Monadenlehre von Leibniz als immanente Weiterentwicklung des pantheistischen Systems Spinozas.62
Fichtes Kritik an Leibniz bezieht sich vor allem auf dessen Konzeption der prästabilierten Harmonie, die Fichte so deutet, dass es unabhängig vom Ich bzw. der Monade eine Dingwelt gibt, die Gott zu den Vorstellungen/Perzeptionen der Monade als parallel existierend geschaffen hat. Diese Konzeption unabhängiger Parallelexistenz von idealer Vorstellungswelt und ausgedehnter physikalischer Körperwelt bezeichnet Fichte als „transzendenten Idealismus“ (68/FW I, 147). Ein solcher ist widersprüchlich, weil er zwar einerseits in idealistischer Weise entwirft, dass das innere Leben der Monade nur aus Perzeptionen besteht, gleichermaßen andererseits aber auch voraussetzt, dass Gott existiert und vermittelt über diesen auch eine unabhängige Welt, was das transzendente Element ausmacht. Beides lässt sich nach Fichte nicht vereinigen und führt zu einer inkonsistenten Position.
Allerdings scheint sich die Leibniz-Sicht Fichtes geändert zu haben, denn in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre 1797 (FW I, 514f.) unterscheidet er die Positionen von Spinoza und Leibniz, indem er behauptet, Spinoza hätte nicht wirklich von seiner eigenen Philosophie überzeugt sein können, denn sie sei lediglich ein lebensfernes Gedankenkonstrukt; im Unterschied dazu habe Leibniz von der seinen sehr wohl überzeugt sein können. Mit Überzeugung meint Fichte in diesem Kontext ein unbeirrbares, unveränderliches, zugleich aber auch undogmatisches Fürwahr-Halten; für das wohl Leibniz das bislang einzige Beispiel sei.