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Die nachfolgenden Untersuchungen erinnern einige Unterschiede, die in der spätmodernen technisch-wissenschaftlichen Kultur gelegentlich verwischt werden. Seit dem Beginn der Neuzeit bestimmt das Bild, das Menschen insbesondere von den Naturwissenschaften haben, auch das Bild, das sie sich von sich selbst und ihrer Stellung in der Welt machen. Das Rezept zum Erfolg der Physik als Normalwissenschaft im Sinne Kuhns liegt in der Quantifizierung und Digitalisierung ihrer Gegenstände, also in der Herstellung von Messbarkeit und Berechenbarkeit. Dieser Erfolg färbte nicht nur auf andere Wissenschaften ab, zuerst auf andere Natur-, dann auf Sozial- und Geisteswissenschaften, sondern auch auf das Weltbild der von diesen Wissenschaften so stark geprägten Kultur. Die Selbstverständigung über diese technisch-wissenschaftliche Kultur benötigt deshalb eine »Hermeneutik der Zahl«.67 Denn das Paradigma der Mathematisierung mit den Spielarten von Quantifizierung und Digitalisierung tritt nicht nur in Zahlen und Algorithmen in Erscheinung. Es begegnet uns sozusagen subkutan auch dort, wo kategoriale bzw. qualitative Unterschiede zu graduellen bzw. quantitativen herabgestuft werden. Zahlen machen wie Geld Inkommensurables kommensurabel. Das normalwissenschaftliche Paradigma wirkt in bezug auf Qualitätsunterschiede entdifferenzierend.

In diesem Sinn verstehen sich die folgenden Kapitel als Angebote zur Redifferenzierung. Kapitel 1 skizziert die Methodologie des bereits eingestandenen moderaten Kulturalismus, dem die Einzelstudien verpflichtet sind. Das in dieser Einleitung bloß Angedeutete erhält im Methodenkapitel schärfere Konturen. In den Kapiteln 2 bis 4 stehen wissenschaftsgeschichtliche Übergänge der fortschreitenden Mathematisierung der Wirklichkeit zu einer Welt der Maße im Mittelpunkt. Das Ziel ist dabei die Rekonstruktion des modernen Zahlenmythos, demzufolge nur dasjenige objektiv fassbar ist, was sich zählen oder berechnen lässt. Die Physik ist in der Neuzeit zum Vorbild nahezu aller Wissenschaften geworden. Am schwierigsten gestaltet sich das Mathematisierungsprogramm jedoch bei lebendigen Wesen. Kapitel 5 bis 7 behandeln daher den Eigensinn der Lebenswissenschaften. Auch wenn Teile der Biologie, wie die Genetik, erfolgreich mit mathematischen Methoden operieren, ist es unmöglich, den Qualitätsunterschied zwischen lebendigen und nicht-lebendigen Objekten aus der Physik abzuleiten. Die Beziehungen zwischen den Wissenschaften werfen die Frage nach dem Verhältnis von Teilen und Ganzen auf. Denn nach einem weit verbreiteten Missverständnis beschäftigt sich die Physik mit den (kleinsten) Teilen, aus dem sich alles andere – unter anderem auch der Mensch – zusammensetzt. Kapitel 8 versucht sich daher an einer kleinen Mereologie, die zwischen Element und Ingredienz, Fragment und Komponente sowie Moment und Stück unterscheidet. Kapitel 9 korrigiert naturalistische wie kulturrelativistische Ontologien, die natürliche und kulturelle Tatsachen entdifferenzieren, und insistiert auf der Unterscheidung zwischen Methode und Sein. Das Schlusskapitel widmet sich der Ambivalenz der Mathematisierung. In dem Maße, in dem der Mensch die Natur mittels Messen und Berechnen beherrscht, steigert er zugleich das Bedürfnis nach dem Anderen des Vermessenen und Berechneten. So fördern paradoxerweise gerade Quantifizierung und Digitalisierung den Bedarf an Qualitätsunterschieden. Das vorliegende Buch ist insofern selbst Ausdruck dieser Ambivalenz.

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