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Paul grübelte noch immer, als er am Kino ankam und die Kasse unbesetzt vorfand. Bones musste bereits im Vorführraum sein, in wenigen Minuten fing die Vorstellung an. Er klopfte, bevor er die Tür zum Vorführraum aufschloss. Doch Bones war nirgends zu sehen. Auch waren die Filmrollen noch nicht eingelegt, alles schien verwaist. War er am falschen Tag da? Nein, es war kurz vor Sieben an einem Samstagabend, und jetzt hätte die erste Vorstellung beginnen müssen. Doch auch im Kinosaal saßen keine Zuschauer, und wo nur steckte Bones? Paul ging zurück an die Kasse und suchte nach einem Hinweis. Da sah er den Zettel neben dem Programmplan, auf dem hastig 19 Uhr keine Vorstellung hingekrakelt war, Bones Handschrift. Paul beschloss, im Vorführraum zu warten und setzte sich auf das alte Sofa neben dem Schreibtisch.

Er hatte über der Sache mit Nina das Treffen mit Bones vor zwei Tagen völlig vergessen. Auch konnte er sich nicht aufraffen, diesen zurückzurufen. Erst auf der Heimfahrt vom Theater beschloss er, bei ihm vorbeizuschauen, nicht zuletzt, um endlich zu erfahren, was es Wichtiges gab.

Jetzt blätterte er unkonzentriert in einer der Zeitungen von letzter Woche, gab das dort abgedruckte Sudoku nach wenigen Minuten auf und überlegte, Bones doch anzurufen. Allerdings wollte er sein Fernbleiben vom Donnerstag nicht am Telefon erklären. Also wartete Paul und dachte an die letzten Tage. Wie hatte sich sein Leben seit dem Besuch im Museum vor einer Woche nur verändert?

Plötzlich schrak Paul hoch, er musste eingenickt sein. Nebelhaft verschwanden die letzten Erinnerungen an einen kurzen, wirren Traum. Irgendwer machte sich an der Tür zu schaffen. Paul suchte vergeblich nach einem geeigneten Gegenstand, um sich notfalls zu verteidigen. Da flog die Tür auf, Paul duckte sich hinter das Sofa, und Bones, vom eigenen Schwung überrascht, stolperte in den Raum. Dieser musste versucht haben, die Tür aufzuschließen, was an Pauls innen steckendem Schlüssel scheiterte.

»Die verdammte Tür war offen«, wunderte sich Bones laut und fuhr erschrocken zurück, als plötzlich Paul hinter dem Sofa aufstand.

»Was zum Geier fällt dir ein, mich so zu erschrecken«, fuhr er Paul an.

»Sorry Chef, ich dachte, es ist jemand Fremdes an der Tür und hatte mich versteckt. Aber wieso brichst du in deinen eigenen Laden ein?«

Bones musste sich erst einmal setzten, griff sich ein Bier aus dem Kasten neben dem Schreibtisch und holte tief Luft.

»Konnte ich ahnen, dass du Held von innen den Schlüssel stecken lässt? Was tust du überhaupt hier?«

»Ich warte auf dich, nachdem wir uns am Donnerstag verpasst haben und wunderte mich, dass du die Vorstellung ausfallen lässt.«

»Nicht freiwillig, das kannst du mir glauben. Ich hatte aber meinen Schlüssel verlegt, und als ich zur Kasse gehen wollte, fiel die Tür ins Schloss, und ich stand draußen. Deshalb musste ich die Vorstellung absagen, fuhr nach Hause, holte den Ersatzschlüssel und hoffte, rechtzeitig zur nächsten Vorstellung wieder zurück zu sein. Und die beginnt in genau fünfzehn Minuten, also setz dich an die Kasse, und ich lege die Filmrolle ein.«

Paul nickte und ging zu den bereits wartenden Kunden.

Zwanzig Minuten später saßen sie gemeinsam im Vorführraum, jeder eine Flasche Bier in der Hand und beobachteten die ersten Minuten des Sexstreifens, um Ton und Filmspur nachzujustieren.

»Wir waren also am Donnerstag wirklich verabredet?«, fragte Bones plötzlich. »Ich hatte schon an mir gezweifelt, als ich dich nicht erreichen konnte, aber auch nichts von dir hörte.«

»Tut mir leid Chef, mir ging’s nicht gut, und dann habe ich es schlicht vergessen. Aber was so Wichtiges haben wir denn zu besprechen?«

»Das ist eine längere Geschichte, von der dich aber nur das Ergebnis interessieren dürfte. Hat Bernd schon mit dir über das Henkersmahl gesprochen?«

»Nein, einzig, dass du mich sehen willst. Weshalb schien er nicht zu wissen.«

»Der Sack wusste ganz genau, wieso ich dich sprechen wollte, aber egal. Kurz und schmerzhaft, du wirst in der Green Mile vorerst nicht mehr arbeiten können. Tut mir leid, oder besser Bernd sollte es leid tun, denn ich werde aus dem Henkersmahl aussteigen.«

Bones rieb sich das unrasierte Kinn und schaute etwas verlegen an Paul vorbei. Paul öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas zu sagen. Zu sehr hatte ihn diese Neuigkeit überrascht.

»Sagen wir mal so. Wir sind übereingekommen, künftig getrennte Wege zu gehen und das gemeinsame Geschäft aufzuteilen. Ich behalte beide Kinos und er das Lokal. Die Hintergründe soll dir Bernd erzählen, wenn es dich interessiert«, fuhr Bones fort.

»Das ist ein echtes Brett.«

Paul hatte die Sprache wieder gefunden und hätte brennend gern erfahren, was vorgefallen war.

»Aber wieso muss ich im Henker aufhören, wenn du gehst? War Bernd unzufrieden mit mir?«

»Ich denke nicht, aber er kann sich dich im Augenblick schlicht nicht leisten. Das hat nichts mit dir zu tun.«

»Stimmt, die Studentensätze sind ruinös. Aber wieso steigst du aus, läuft der Laden so schlecht?«

»Eigentlich nicht, aber Bernd hat eigene Pläne, die ich nicht teile, und ich hätte so die Chance, aus der Pornoklitsche hier was Neues zu machen. Mir schwebt ein Eventkino vor, doch die Details entscheiden sich erst in den nächsten Tagen.«

»Muss ich dann hier auch aufhören?«

Paul war besorgt und fürchtete, seine Eltern um eine Aufstockung ihres monatlichen Mietzuschusses bitten zu müssen.

»Meinetwegen nicht, im Gegenteil, ich könnte dich sogar häufiger brauchen, wenn ich das richtig groß aufziehen will. Übrigens, nächste Woche kannst du schon noch an der Bar arbeiten, die Änderungen laufen erst ab Oktober. Vielleicht weiß Bernd dann auch, ob er dich über kurz oder lang weiterbeschäftigen kann.«

Für Paul kamen die Neuigkeiten zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt, wo er Ablenkung dringend nötig hatte, war er zum Daheimsitzen verdammt und keine Nina, mit der er die gewonnene Freizeit hätte verbringen können.

»Ok, sag Bescheid, wann du mich zusätzlich im Kino brauchen kannst, mir fällt sonst die Decke auf den Kopf«, bat er Bones und schickte sich an aufzubrechen.

»Mach ich, aber war da nicht irgendwer mit irgendwem im Henker? Du solltest dich doch über etwas mehr Zeit am Abend freuen?«

Paul winkte nur ab und ließ Bones verwundert allein.

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