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Ateliersführung

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Paul nahm Leonie mit auf den Dachboden. Dort hatte er eine lange Papierbahn ausgebreitet, zahlreiche Farbeimer standen ebenso wie Bilderrahmen, Leinwände und anderes Zeichenutensil herum. Fertige Bilder lagen kreuz und quer verteilt, manche standen auf dem Kopf, andere wieder waren abgehangen. Auf einer Staffelei sah sie ein halbfertiges Portrait.

»Ist sie das?«

Leonie ging näher an das zum Teil noch skizzierte Bild heran.

»Wer?«

»Na der Grund, dass dein Leben nur ganz ok ist?«, schmunzelte sie.

»Das ist irgendwer, keine Ahnung, nur ein Gesicht, eine Studie, nichts, was eine Bedeutung hat, und höre auf, mich auszufragen.«

»Schon gut, was genau wolltest du mir zeigen?«

»Ich experimentiere gerade mit verschiedenen Formaten und dachte, wir könnten unsere Hausarbeit gemeinsam anfertigen. Ich habe da eine Idee.«

»Hier auf dieser Papierbahn?«, wies Leonie auf den ungefähr drei Meter langen Papierstreifen von der Höhe einer Tapetenrolle am Boden.

»Ja, ich dachte, wir kombinieren Körperlichkeit mit Gestaltung und fertigen Abdrücke von uns auf dieser Bahn an. Das heißt, ich könnte mich beispielsweise über das Papier rollen, und du gießt Farbe über mir aus, die ich dann mit meinem Körper darauf verteile.«

Noch bevor Leonie hierauf antworten konnte, ging unten die Tür, und Marc rief laut nach oben, ob jemand da wäre, der mit dem Gepäck helfen könne. So verließen sie den Dachboden und begrüßten Marc, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete und ein zierliches, schwarz gekleidetes Mädchen von vielleicht elf Jahren eine große Reisetasche in den Flur zerrte.

»Trish, ich sagte doch, ich hole das Gepäck gleich. Das ist zu schwer für dich«, nahm ihr Marc die Tasche ab und schloss die Tür.

»Hallo Leute, schön euch zu sehen. Das ist Trish, meine Schwester.«

»Stiefschwester«, korrigierte diese und sah sich um, ohne Paul und Leonie eines weiteren Blickes zu würdigen.

Leonie beobachtete Paul. Der zuckte nur mit den Schultern und half Marc, weitere Taschen ins Haus zu holen.

»Zieht sie hier ein?«

»Keine Sorge, ich habe meiner Mutter nur versprochen, sie hier in der Stadt ins Internat zu bringen und mich ein wenig um sie zu kümmern. Zumindest die erste Zeit.«

»Internat? Ist sie nicht ein bisschen jung dafür?«

»Sie ist dreizehn und fühlt sich verdammt erwachsen. Sie hat einigen Ärger daheim und braucht eine Auszeit. Meine Mum wohl auch, also nahm ich sie mit und schaue, dass sie sich hier einigermaßen einlebt. Könntest du mir einen großen Gefallen tun, Paul?«

»Klar, was denn?«

»Mir später dein Auto leihen, damit wir den ganzen Kram ins Internat schaffen können oder uns hinfahren?«

»Ok, mach ich, doch komm jetzt erstmal, Leonie ist da, und du schuldest ihr noch eine Atelierführung«, zwinkerte er Marc zu. Der grinste zurück und schloss die Haustür auf.

Leonie kam gerade aus der Küche mit zwei Gläsern Kirschsaftschorle und reichte eine davon Trish, die sich in den Sessel im Wohnzimmer gefläzt hatte. Die nahm den Saft wortlos entgegen und griff nach dem Controller der Playstation.

»Was habt ihr für Spiele hier?«

»Schau am Fernseher, dort liegen die meisten. Wir sind kurz im Atelier, außer du magst mitkommen«, antwortete Marc.

Trish schüttelte nur den Kopf und sah die Spielecover durch. Marc, Leonie und Paul stiegen in den Keller hinab und betraten das Fotostudio.

»Schwieriges Alter?«, fragte Leonie Marc, der nur abwinkte.

»Schwieriger Charakter. Aber kümmert euch nicht darum, die kommt klar. Wie läuft’s bei dir so, Leo?«

»Ich wollte Paul gerade bei einem Kunstprojekt helfen, da kamst du.«

»Ach, dann möchte ich euch nicht stören. Paul meinte nur, du würdest vielleicht gern mein Atelier sehen«, sah er Paul stirnrunzelnd an und blieb stehen.

»Und da hat er völlig Recht. Also los, zeig mir meinen Praktikumsplatz.« Dabei legte Leonie ihre Hand auf Marcs Arm und zog ihn weiter.

Marc führte die Beiden durch sein Studio. Es bestand aus zwei renovierten Kellerräumen, von denen einer die Dunkelkammer beherbergte. Die Räume selbst waren schlicht weiß und hell, an den Wänden hingen monochrome Fotos, eine schwarze Couch und ein Schreibtisch bildeten neben einigen Stühlen und einem Tisch im hinteren Teil des Ateliers die einzige Möbelierung. Einige Regale waren mit diversem Fotomaterial, technischem Equipment und Büchern gefüllt. Zahlreiche Strahler und Stative standen herum, doch statt eines kreativen Chaos herrschte eine fast sterile Strenge.

Er zeigte ihnen eine Auswahl an Kameras und Objektiven, diverse Lichtquellen, Reflektorschirme, zwei Hohlkehlen mit jeweils hellem und dunklem Hintergrund und regalweise Dekorationsmaterial. Der erste Raum endete an einer Art Bühne, vor der ein länglicher Tisch stand, auf dem verschiedene Lebensmittel arrangiert lagen.

»Keine Sorge, die sind nicht echt. Ist für eine Lichtstudie, denn ich möchte mich mehr auf Food-Fotografie konzentrieren.«

»Kann man davon leben?«, fragte Paul skeptisch.

»Immer eine Frage des Auftrags, aber ich habe nicht vor, mich darauf zu beschränken. Es ist einfach eine Erweiterung meines Repertoires, denn ich habe eine Menge Geld hier hinein gesteckt und muss schauen, dass einiges davon wieder zurückkommt.«

»Fotografierst du auch Modells?«, fragte Leonie.

»Bislang nur Landschaften und Objekte, aber für dich würde ich gern eine Ausnahme machen«, zwinkerte er Leonie zu und Paul verdrehte die Augen, während er etwas abseits in einer Fotomappe blätterte.

»Naja, ich bin sicher kein Modell, aber ich denke, Menschen zu fotografieren ist spannender als tote Objekte«, antwortete Leonie verlegen.

»Aber auch schwieriger, denn Fotografie ist ein langwieriger Prozess, wo das Modell schon ziemlich professionell sein muss, um ein gutes Ergebnis zu ermöglichen. Doch dich könnte ich mir schon als Modell vorstellen.

»Ist das Licht hier nicht völlig ungeeignet für so was?«, mischte sich Paul in das Gespräch ein und zeigte auf die wenigen Neonröhren an der Decke.

»Dafür habe ich Speziallampen, die jedes beliebige Licht erzeugen können. Schaut mal hier«, zeigte Marc auf eine Tafel mit einer Vielzahl von Tabellen und mathematischen Kurven.

»Hier findet ihr die Wellenlängen der wichtigsten Lichtwerte. So sendet zum Beispiel diese Arri-Leuchte Tageslicht aus.«

Dabei hielt er eine kleine Röhre empor.

»Und je nach gewünschter Abweichung davon, gibt es andere Röhren mit einer etwas anderen Wellenlänge. Da ist man von atmosphärischen Störungen draußen unabhängig.«

»Aber für die Kalender hier«, zeigte Leonie auf eine kleine Auswahl an die Wand, »musstest du schon vor die Tür?«

»Ja, für den war ich sogar in Island. Eine Traumgegend, doch katastrophal zum Fotografieren, weil sich ständig Wetter und Licht ändern.«

»Kein Wunder, dass dir das Geld ausgeht, wenn du auch noch durch die halbe Welt reist«, grinste Paul.

»Nein, das hat der Verlag bezahlt. Ich musste mich nur in den Flieger setzen, mir ein hübsches Hotel in Reykjavik aussuchen und hatte zehn Tage Zeit, auf gutes Wetter zu warten. Doch das wäre fast zu knapp geworden.«

Leonie war begeistert und begann sich mit Marc über das geplante Praktikum zu unterhalten. Paul fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen und ging nach oben, um auf dem Dachboden an seiner Hausarbeit weiter zu arbeiten. Dabei kam er am Wohnzimmer der WG vorbei und sah Trish irgendeinen Egoshooter auf der Playstation spielen. Er beschloss, sich kurz zu ihr aufs Sofa zu setzen.

»Na, macht’s Spaß?«

Sie drehte sich im Sessel um und sah ihn mit großen, schwarzen Augen an.

»Naja, geht so. Wie lange braucht Marc noch?«

»Ich schätze, etwas musst du dich noch gedulden. Wann willst du im Internat sein?«

Trish verzog das Gesicht. »Meine Eltern wollen, dass ich ins Internat gehe, nicht ich.«

»Ja, das hätten sich meine sicher auch gewünscht, aber irgendwie kam ich drum rum.«

»Wieso, bist du auch von der Schule geflogen?« Trish legte neugierig den Joystick weg.

»Naja, das nicht gerade, aber sicher nahe dran«, feilte Paul ein wenig an seiner Biografie. Eigentlich hatte er Trish nur aufmuntern wollen, denn seine Eltern hatten trotz mancher Probleme mit ihm sicher nie an ein Internat gedacht. Nun verstand er aber auch, was Marc vorhin mit einigem Ärger daheim meinte. Von der Schule fliegt man nicht mal eben so, das stand fest.

»Du musstest also von deiner Schule? Welche Klasse gehst du?«

»Siebte.«

»Ich denke, so ein Neustart hat auch was für sich. Vor allem hat man in einem Internat sicher mehr Freiheiten als zuhause. Schade, dass Levi nicht da ist. Der wohnt auch hier und war im Internat. Dem gefiel’s gut da.«

»Aber sicher nicht auf einer reinen Mädchenschule, das wird voll ätzend.«

»An einer Mädchenschule hätte es ihm sicher gefallen, aber soweit ich weiß, waren da nur Jungs in seiner Klasse. Ob es auch Mädchen an seiner Schule gab, weiß ich gar nicht.«

Trish hatte sich wieder dem Videospiel zugewandt. Für sie schien die Unterhaltung beendet. Paul erhob sich zum Gehen.

»Wenn Marc kommt, sag ihm, ich bin auf dem Dachboden. Er will, dass ich euch fahre.«

Trish nickte nur.

Marc hatte Leonie zwischenzeitlich eine Auswahl seiner Fotoarbeiten gezeigt und mit ihr einen Praktikumsplan erstellt, der sich an den Schwerpunkten des Hauptseminars orientierte. Er wirkte bemüht unverbindlich, doch gleichzeitig hielt er eine Stunde pro Woche für zu wenig und bot Leonie an, ihm auch unabhängig von den Seminarschwerpunkten bei seinen Aufträgen zu assistieren. Um etwas über den Tellerrand hinaus zu lernen, wie er es nannte. Leonie war sich sicher, dass es Marc dabei weniger um ihre Ausbildung ging, dennoch zeigte sie sich einsichtig und verabredete sich für zwei Nachmittage pro Woche.

»Beim nächsten Date zeige ich dir meine Dunkelkammer«, schloss Marc seine kleine Ateliersführung.

»Wir hatten ein Date? Heute? Hier?«, schmunzelte Leonie, und Marc wirkte verunsichert.

»Ok, Geschäftstermin trifft es eher, doch was nicht ist, kann ja noch werden. Zum Beispiel ein Arbeitsessen bei guter Führung?«

»Na dann hoffen wir mal, dass ich mich gut führe und noch besser geführt werde.«

Gemeinsam suchten sie nach Beendigung der Ateliersführung Paul auf dem Dachboden, und Leonie war froh, dass dieser nicht bereits nackt auf seiner Papierbahn lag und sich in Farbe wälzte. Irgendwie schwante ihr, dass Paul die Aufgabe gründlich missverstanden hatte. Kurz darauf verabschiedete sich Leonie und versprach Paul, ihm die nächsten Tage bei dem gemeinsamen Uniprojekt zu helfen. Dieser nickte nur, hatte ihn doch der Wangenkuss, den Leonie Marc zum Abschied gab, irritiert.

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