Читать книгу Ich schenke dir den Tod - Ralf Gebhardt - Страница 10
SECHS
ОглавлениеHeute war ein guter Tag. Die Ausbeute war außergewöhnlich: sieben Katzen über Nacht. Er trug sie in den selbstgebauten Käfigfallen in den Keller, öffnete dort die Türgitter und warf die Tiere nacheinander in den großen Weidekorb. Das Fauchen und Jaulen ignorierte er. Es war schon erstaunlich, über wie viele Jahre hinweg diese großartigen Fallen ihren Dienst getan hatten. Ursprünglich hatte er sie zum Vergnügen als Rattenfallen gebaut. Aber bereits nach kurzer Zeit verfing sich die erste Katze. Und damit fanden sie schließlich ihre Bestimmung.
Die letzten beiden Tiere waren Brocken, die ihn ordentlich ins Schwitzen gebracht hatten. Im Keller aber konnte er befreit aufatmen. Hier empfing ihn sein Lieblingsduft, säuerlich und metallisch. Tief sog er ihn ein. Er war gekommen, um diesen Tag zu zelebrieren und ein Versprechen zu erneuern.
In der Mitte des Gewölbes stand ein mit goldener Farbe gestrichener Schrein. Das Holz war mit groben Schnitzereien verziert. Aber das war ihm egal, stammte es doch noch aus der Zeit seiner eigenen Ungeschicklichkeit, aus den Kindheitstagen. Trotzdem war ihm dieser Schrein heilig. Er kniete sich auf das davor liegende Kissen und begann, leise zu beten. Die Augen hielt er geschlossen, seine Hände berührten dabei aber das Holz. Zum Ende des Gebetes küsste er den Schrein. So, wie er das schon immer gemacht hatte, jeden ersten Tag im Monat.
An einem Ersten nämlich war sie von ihm gegangen. Und so fügte es sich, dass heute wieder Mamas Todestag war.
Er stand auf und sah sich um.
Den Kellerraum hatte er mit unzähligen Holzregalen liebevoll ausgebaut. In jedem der kleinen Kästchen brannte ein Licht aus schwarzem Wachs, ruhig und gleichmäßig. Alle ruhten sie auf selbstgebauten Unikaten: Sämtliche Kerzenständer waren etwas Besonderes, kein weiteres Mal zu finden. Dort, wo noch Regalböden leer waren, würde er für Nachschub an neuen Kerzenständern sorgen. Die letzte Nacht hatte ihm gleich sieben gebracht.
Er ging hinüber zum Korb, griff ohne hinzusehen hinein und zog die erste Katze heraus. Er war sich darüber im Klaren, erst kurze Zeit hier unten zu sein, denn das Kribbeln in seiner Nase und das Augen-Tränen hatte noch nicht eingesetzt. Er wusste, dass er sich beeilen musste.
Bedächtig streichelte er über das grau-schwarze Fell, drückte den zitternden Körper auf den Fuß des Schreins und schlug mit der Axt zu. Für einen Moment schien es, als würde die enthauptete Katze aufspringen wollen. Aber es war nur die letzte Elektrizität, die ihren Muskeln entwich. Den ausblutenden Körper warf er auf das Sieb einer Blechwanne, den Kopf in eine Obstschale. Er würde später einen neuen Kerzenständer bilden. Innerhalb kürzester Zeit kümmerte er sich in dieser Weise um die anderen Tiere.
Schließlich war es völlig still. Kein Fauchen, Jaulen oder Kratzen. Er nahm den ersten Kopf aus der Obstschale und saugte das verbliebene Blut heraus. Dann widmete er sich auf gleiche Art den weiteren Köpfen, bevor er sie vorsichtig in ein Einweckglas mit einer Säurelösung steckte. In weniger als einem Monat würden die Knochen vollkommen blank sein. Auch hier war er zu einem Meister geworden, denn zu Beginn hatte er die Köpfe noch mühsam abgekratzt und ausgekocht. Die Ältesten blieben ihm dennoch die liebsten. Sie standen deshalb als Kerzenhalter auf der untersten Stufe des Schreins, dort, wo Mamas Asche ruhte.
Die Kadaver waren, abgesehen vom ausgelaufenen Blut, nicht zu gebrauchen. Er warf sie in einen Müllsack und stellte diesen neben den Benzinkanister an der Tür. Kurz vorher hatte er eine grobmaschige Strumpfhose über das Nudelsieb gelegt, durch das er die Reste des aufgefangenen Blutes gegossen hatte. Er war darauf bedacht, so wenig wie möglich zu verschütten. Jeden Tropfen tupfte er mit seinem rechten Zeigefinger auf, um ihn anschließend andächtig abzulecken.
Inzwischen war der Behälter zu mehr als einem Drittel mit Blut gefüllt, ausreichend, um damit das Holzkreuz auf dem Schrein zu streichen. Er tanzte wie ein Kind singend durch den Keller und freute sich über den intensiven, metallisch-sauren Geruch.
Als er mit dem Bemalen fertig war, legte er den Pinsel in das Einmachglas zu den Katzenköpfen. Daneben stand ein weiteres leeres Glas, das einst Gewürzgurken beheimatet hatte. Bald würde er es mit Säure füllen. Aber bis dahin fing er bestimmt mit den Fallen noch genügend andere Tiere.
Schließlich ging er zurück zum Kissen, kniete sich nieder und betete. Nach kurzer Zeit füllten sich seine Augen mit Tränen. »Mama, ich weiß nicht, ob du meinen Brief lesen kannst, deshalb lese ich ihn dir vor.« Er griff in seine Hosentasche und holte einen sorgfältig gefalteten Zettel heraus. »Meine liebe Mama, es gab keinen einzigen Tag in den letzten dreißig Jahren, an dem ich nicht an dich gedacht habe, keinen einzigen Tag, an dem du mir nicht gefehlt hast. Deine Seele ist gegangen, hat mich zurückgelassen und gezwungen, stark zu werden. Ich habe es versucht. Und ich habe dir auch versprochen, die zu bestrafen, die böse zu mir waren. Und heute, Mama, mache ich aus diesem Versprechen einen Schwur. Wenn ich am nächsten Monatsersten wieder hier bei dir bin, beweise ich es dir.«
Er setzte die scharfe Schneide der Axt auf sein Handgelenk und tunkte den Daumen in das hervorquellende Blut, um ihn wie ein Siegel auf den Brief zu drücken. Anschließend nahm er den Zettel und hielt ihn in die nächstgelegene Flamme einer schwarzen Kerze. Seine Schultern bebten, als er versuchte, seine Tränen zu trocknen.
Er stand auf, strich über das Kissen, küsste den Schrein und verneigte sich.
»Meine Zeit ist gekommen. Ich schwöre es dir. Amen«
Er bekreuzigte sich und ging mit festen Schritten zum Ausgang, griff den Müllbeutel und den Benzinkanister.