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SIEBEN

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Na dann, zum Wohle!«

»Prost.«

Die beiden Männer genossen den Feierabend in der Sternstraße, der halleschen Kneipengasse. Das gemeinsame Bier war für sie ein Ritual. Ebenso, dass Staatsanwalt Nagel mit Fragen stichelte und Störmer sich alles aus der Nase ziehen ließ. »Und?«

»Was und?«

»Nun hab dich doch nicht …«

»Schon gut, es gibt keine Neuigkeiten. Oder doch, ich habe eine sehr kurze Liste mit Vermissten vom LKA bekommen.«

»Hm …«

Sie tranken schweigend ein weiteres Pils.

»Also haben wir erst mal nichts außer einem Grablicht mit menschlicher Asche, Schmuck, Beigaben, Katzenknochen, keine DNA …«

»Genau. Weißt du, das mit den Katzenknochen geht mir kaum aus dem Kopf.«

»Mir auch, ich habe eine Liste mit meiner Meinung nach möglichen Lösungen in die Akte gelegt. Erstens: Zufall. Zweitens: Asche und Katze haben gar nichts miteinander zu tun. Drittens: Der oder die Täter nutzten die Grube, um eine gestorbene Katze gleich mit zu beerdigen. Oder viertens: Das ist ein Ritus.«

»Viertens scheint mir vorerst zu passen.«

»Aber schau, es gibt keine Vermissten, nichts.«

»Du weißt wie ich, dass die Leiche von woanders stammen kann.«

»Klugscheißer …« Nagel prostete ihm zu.

»Immerhin wissen wir, dass die Tat ungefähr fünf Jahre her sein muss. Das hat uns die Katze verraten.«

»Bedank dich doch bei ihr. Ach übrigens, um dich mal auf andere Gedanken zu bringen, du denkst doch noch an meine Einladung?«

»Ähm, klar doch, aufs Schloss …«

»Genau, Klassentreffen. Das ist übrigens auch immer alle fünf Jahre.«

»Na dann … Vielleicht fehlt einer aus der Runde?«

Sie schmunzelten.

»Werden wir sehen. Freue mich. Die Mädels sind schon eine Nummer für sich.«

»Wie weit ist es eigentlich konkret vom Schloss bis zur Wochenend-Waldsiedlung, also zum Fundort?«

»Nicht weit, das ist unmittelbare Nachbarschaft, lass es vielleicht sechs oder sieben Kilometer sein, kaum mehr.«

»Hm … Das mit den fünf Jahren werde ich weiter verfolgen, ich schaue mir an, was so in dieser Zeit passiert ist. Dabei kann ich mal einen Blick auf deine Mitschüler und natürlich auch auf deine Mitschülerinnen werfen.«

»Halt dich zurück und achte auf meinen Ruf als Staatsanwalt!«

Jetzt mussten sie herzhaft lachen.

»Einige werden hier nicht mehr wohnen, klar. Aber es ist ein Anfang, und die, die du hier triffst, solltest du fragen, was losgewesen ist. Hake bitte noch mal nach wegen der erweiterten Vermisstenliste, ja? Und ruf mich an, wenn es was Neues gibt.«

Störmer nickte.

»Früher war das hier eine coole Gegend, wir haben uns von niemandem was sagen lassen, waren die Kings. Es gab Banden. Nein, nicht wie du denkst, gemäßigt, die letzten Ostjahre, da gab es kaum Gewalt und so. Aber wir waren immer auf Achse, Mädels, Motorräder, Bier, Zigaretten.«

»Kann ich mir gut vorstellen, und das mit den Mädels geht noch bis heute.«

»Prost.«

Störmer wischte sich den Schaum am Sackoärmel ab. »Sag mal, könntest du mir helfen, eine Liste mit den Namen aller Schüler aufzustellen?«

Nagel hatte bereits einen Füller in der Hand. Etwas auffälliger, als angemessen stilvoll. Sie ließen sich vom Kneipenwirt ein Blatt geben. Dann wurde es zäh, denn sie kamen auf kaum mehr als die Hälfte der Schülernamen.

»Ich weiß nicht, ob das was bringt, ist wie Stochern im Nebel. Das mit den fünf Jahren und unserem Klassentreffen ist doch bestimmt nur Zufall …«

»Sicher, doch wir müssen irgendwo anfangen. Also bitte, lass uns weiter überlegen. Nehmen wir das, was wir haben.«

»Das bringt nichts, Richard, vergiss es. Aber weißt du was? Ich schreibe dir mal einige ehemalige Lehrer auf, die können dir bestimmt helfen, eine bessere Liste zu erstellen. Vielleicht hat sogar noch einer ein altes Klassenbuch.«

Nagel notierte ein Dutzend Namen, dann schob er die Liste über den Tisch, schraubte den Füller zu. Damit war für ihn die Angelegenheit vorerst erledigt.

»Eins noch, wenn sie dich fragen, woher du die Namen und Infos hast, kannst du mich ruhig erwähnen. Die Lehrer dürfen wissen, was aus mir geworden ist.« Er musste selbst grinsen. »Sag aber nichts von dem Klassentreffen, wir wollen unter uns sein, da brauchen wir keine Gäste.«

»Geht klar.«

Die Liste hatte Störmer bereits zusammengerollt und in seiner Sackotasche verstaut. Erschrocken stellten sie fest, dass nur noch wenig Zeit zum Schlafen geblieben war. Zeit für das Abschiedsbier.

Am nächsten Morgen stand Störmer später auf und fuhr zurück nach Mansfeld. Er wollte erst mittags in der Schule sein. Dabei hoffte er, die Lehrer anzutreffen, die ihm von Nagels Klasse berichten konnten.

Unterwegs rief er im Büro an. Immer noch nichts, keine Liste oder Hinweise. Auch die Regionalpresse hatte den Fall zum Glück vorerst nicht weiter verfolgt. Wenigstens etwas.

»Herein.«

Die Direktorin des Mansfelder Gymnasiums blickte ihn interessiert und freundlich an.

»Guten Tag, danke. Mein Name ist Richard Störmer.«

»Was kann ich für Sie tun, Herr Störmer?«

Er schob ihr seinen Dienstausweis hin. Sie nickte in Richtung der Besucherstühle.

»Was ist passiert?«

»Nichts, machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe nur ein paar Fragen.«

»Das kenne ich aus den Fernseh-Krimis …«

Damit war das Eis zwischen ihnen gebrochen. Er bat um Verschwiegenheit und berichtete in groben Zügen von dem Fund. Auch von Staatsanwalt Nagels Idee, wonach sie sich mit ihrer Hilfe aus dem Blickwinkel der Mitschüler einen Überblick über die letzten fünf Jahre verschaffen wollten.

»Hm, vielleicht kann ich helfen. Aber einfach wird es kaum. Ich bin jünger als Sie.«

Störmer sah sie verwundert an.

»Wir reden von einer Schulklasse, die ich selbst nicht miterlebt habe.«

»Oh, na klar, verstehe …«

»Aber ich weiß, wer damals Direktorin war und kenne auch einige Lehrer aus dieser Zeit.«

»Sehr gut, danke.« Störmer war erleichtert. Er gab ihr seine Visitenkarte wegen der Mailadresse. Bereits am Nachmittag wollte sie ihm die gewünschte Aufstellung schicken. Außerdem versprach sie, die Liste um mögliche Namensänderungen zu ergänzen.

»Soweit bekannt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Herr Kriminalhauptkommissar.«

Als er sich verabschiedet hatte, beschloss er, eine der offenen Fragen zu klären: Wie weit ist es vom Wald zum Schloss? Er fuhr die Strecke mit dem Auto ab und freute sich darauf, die Lokalität für das Klassentreffen vorab ein wenig erkunden zu können. Damit hätte er vielleicht einen aktuellen Trumpf gegenüber dem Besserwisser Nagel.

Mit geschlossenen Augen genoss Störmer die Wärme. Er war begeistert von dem Schloss und seinem kleinen Garten. Stundenlang hätte er auf dieser Gartenbank einfach nur so sitzen können.

Das Telefon klingelte, Sabine Achenbach, seine Assistentin.

»Hallo Chef, wie geht’s, Stress?«

»Gut, Danke, nein, also wegen dem Stress. Was gibt’s denn?«

»Das Gymnasium hat einige Dokumente geschickt, ich dachte, das interessiert dich. Ich habe alles ausgedruckt und auf deinen Tisch gelegt.«

»Was hat eigentlich die Befragung des Jungen ergeben?«

»Wie erwartet nichts, er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Der Fund war Zufall. Ich habe ein kurzes Protokoll geschrieben und bereits zur Akte gelegt.«

»Das ist lieb von dir, Sabine, aber könntest du mir noch die Dokumente vom Gymnasium auf mein Handy schicken? Ich würde die Zeit gern nutzen.«

Es dauerte nicht lange und sein Handy meldete sich erneut. Er blätterte die Seiten durch. Klassenlisten ab der Oberstufe, einige Kopien der Namenslisten aus dem Klassenbuch, handschriftliche Anmerkungen zu den Mädchennamen, die sich nach Ansicht der Direktorin geändert hatten. Ergänzt um eine Liste der ehemaligen Lehrer. Zufrieden grunzte Störmer, standen doch dort auch ihre Adressen.

Störmer hielt in einer sauberen Dorf-Siedlung. Das Reihenhaus der alten Direktorin war frisch gestrichen, ein entsprechendes Schild bat um Vorsicht. Er hatte kaum geklingelt, da öffnete sich die Tür.

»Ja bitte?«

Frau Reisner sprach ihn in neutraler Höflichkeit an. Als er sich vorgestellt und ausgewiesen hatte, bat sie ihn herein. Auch ihr erzählte er in kurzen Worten von dem Fund im Wald. Sie sah ihn nachdenklich an.

»Möchten Sie einen Kaffee?«

»Gern.« Eigentlich hätte er jetzt lieber eine seiner Colas mit Kirschgeschmack gehabt, also rief er ihr auf dem Weg zur Küche nach: »Mit zwei Stück Zucker, bitte.«

»Hm, na ja, also die Schüler kenne ich immer noch ganz gut, zumindest die, die hier wohnen und nicht in den Westen gezogen sind.« Eine gewisse Bitterkeit über die jüngste Vergangenheit war ihr anzumerken.

»Das Alter, entschuldigen Sie.« Mit gequälter Miene setzte sie sich.

»Danke, Frau Reisner, dass Sie sich die Zeit nehmen. Schauen Sie doch mal auf die Liste hier.«

Er reichte ihr sein Handy und sie griff sofort in ihre Jackentasche nach ihrer Brille.

»Fällt Ihnen jemand auf, den Sie vermissen?«

Es wurde lange still. Geduldig sah er ihr zu, wie sie Namen für Namen mit den Fingern überstrich. Manchmal lächelte sie kurz dabei, wohl der alten Erinnerungen wegen.

»Nein.« Mehr sagte sie nicht. Dann gab sie das Handy zurück.

»Okay …« Störmer wartete und schluckte.

»Holen Sie uns den Kaffee aus der Küche, Herr Kommissar? Er müsste durchgelaufen sein.«

Als er mit dampfenden Bechern zurückkam, bat sie ihn erneut, Platz zu nehmen. »Alle auf dieser Liste hier leben noch. Oder besser gesagt, lebten in den letzten zwei bis drei Wochen.«

»Wie meinen Sie das?«

»So, wie ich es Ihnen sage.« Dann trank sie in mehreren großen Zügen ihre Tasse leer.

Seine Verwirrung war perfekt. »Würden Sie es mir erklären?«

»Gern. Also, mein lieber Herr Kriminalhauptkommissar, wissen Sie, was am kommenden Wochenende ist? Hm? Ich sage es Ihnen: ein Klassentreffen. Und all die feinen Herrschaften hier haben sich gemeldet, mal kürzer oder mal länger, was die Wortwahl der Zu- und Absagen betrifft. Wahrscheinlich wollen sie keine Lehrer dabei haben.« Sie kicherte. »Alle habe ich auf Facebook gesehen. Wenn Sie auf das Profil eines Einzelnen zugreifen können, sehen Sie, was im Umfeld passiert.«

»Sie haben auf …?«

»Das geht auch in meinem Alter!« Sie versuchte, kurz zu wirken, als sei sie beleidigt. Tatsächlich genoss sie es, dass sie ihn so überrascht hatte.

»Entschuldigung, so meinte ich das nicht.«

»Schon gut. Wenn Sie wollen, schreib ich Ihnen die Adressen auf, die ich weiß, da können Sie persönlich hin.«

»Nein, danke, sehr nett, aber die Adressen der Schüler sucht mir das Präsidium raus.«

Sie bat Störmer, noch einen Kaffee zu holen. Selbstverständlich verschwieg er ihr, dass er von dem Klassentreffen wusste.

»Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Trotzdem herzlichen Dank.«

»Gern.« Sie stand nicht auf und ergriff auch nicht seine Hand, die er ihr zum Abschied reichte.

»Wissen Sie, ich habe nachgedacht. Das mit den fünf Jahren lässt mir keine Ruhe. Sie haben das auch bemerkt, sind ein schlaues Köpfchen, haben den möglichen Zusammenhang zwischen den regelmäßigen Treffen und dem Fund hergestellt. Ich hätte Sie damals gern in meiner Klasse gehabt, Herr Kriminalhauptkommissar.«

Er sah sie an, ohne etwas zu sagen.

»Zeigen Sie mir noch mal das Telefon.«

Dann zoomte sie in eines der Dokumente.

»Genau, das ist die Liste der ehemaligen Lehrer. Fangen Sie mit den weiblichen Lehrkräften an. Einige davon habe ich schon sehr lange nicht mehr gesehen. Vielleicht wissen die etwas.«

Störmer nickte. Interessanter Ansatz. Somit hatte er zumindest einen neuen Plan.

Jetzt stand sie auf, der Besuch war beendet.

Auch wenn er es im Moment noch nicht wusste: Wenig später würde er ihr für diesen Tipp sehr dankbar sein.

Noch im Stehen leerte Störmer eine Cola und seufzte erleichtert. Der Tag hatte bereits mehr Abwechslung für ihn bereitgehalten, als er erwartet hatte.

Er stieg ein, blickte kurz auf die Liste, konzentrierte sich dabei auf die Lehrerinnen, programmierte sein Navi und fuhr nur wenige Straßen weiter. Er klingelte bei Familie Hesse.

Es dauerte eine Weile, bis eine alte Frau die Tür öffnete.

»Ja?«

»Mein Name ist Störmer, ich möchte …«

»Was?«

»Ich möchte …«

»Häh?«

Nun erschien ein weiteres Rentnergesicht in der Tür. Wie sich herausstellte, gehörte es dem Ehemann.

»Entschuldigen Sie, sie hört Sie nicht.« Er schob seine Frau zur Seite, bis er selbst den Türrahmen voll ausfüllte.

»Was wollen Sie, Herr Störmer?«

»Ich möchte gern zu Frau Andrea Hesse.«

»Auf Wiedersehen.« Er trat zurück und knallte die Tür zu. Das Geräusch hallte nach.

Noch erschrocken klingelte Störmer erneut. Beim dritten Mal öffnete sich ein kleiner Spalt, Rentner Hesse schrie fast: »Hauen Sie ab, sonst rufe ich die Polizei!«

Bevor er die Tür wieder schließen konnte, hatte Störmer seinen Fuß dazwischengeschoben.

»Nicht nötig, ist schon da.« Er zeigte den Dienstausweis.

»Was ist mit Andrea? Was wollen Sie von ihr?« Der Alte sah ihn an, seine Stimme zitterte und sein Gesicht verlor deutlich an Farbe.

»Darf ich reinkommen?«

Sie gingen ins Wohnzimmer. Es war im 80er-Jahre-Stil eingerichtet, viele Möbel stammten noch aus DDR-Zeiten.

»Erna, hol am besten mal dein Hörgerät.« Er tippte sich an seine Ohren. Störmer wartete, bis sie sich wieder gesetzt hatten.

»Es tut mir leid, wenn ich Sie erschrocken habe. Ich möchte einfach Frau Andrea Hesse sprechen.«

»Das möchten wir auch.«

Die beiden sahen sich an. In ihren Bewegungen lag deutlich sichtbar Trauer und Verzweiflung. Um Ihnen Zeit zu geben schwieg Störmer.

»Wir haben Andrea schon sehr, sehr lange nicht mehr gesehen. Und jetzt kommen Sie, mit einem Polizeiausweis.«

»Erzählen Sie mir doch von ihr.«

»Andrea war unser Sonnenschein, alles, was wir haben. Wissen Sie, sie war sehr hübsch und intelligent.« Der Alte schnäuzte sich. »Also, zusammengefasst, Andrea ist oder war …« Er unterbrach sich nur kurz, setzte sich steif auf. »Sie war eine gute Lehrerin, alle mochten sie.«

»Was hat sie denn für Fächer unterrichtet?«

»Geschichte und Staatsbürgerkunde. Heute sagt man wohl Ethik dazu.«

»Ich weiß, was das ist, bin auch im Osten aufgewachsen.«

»Ach so, dann wissen Sie, wie das so war mit der Wende und so. Sie hatte es schwer, denn sie hat an das geglaubt, was sie vermittelt hat.«

Nach einer kurzen Pause sprach Frau Hesse leise zu ihrem Mann: »Sprich bitte nicht in der Vergangenheit von ihr, okay?« Sie weinte, war in sich zusammengesunken.

»Und dann?«

»Nun, sie hatte Freunde, irgendwo in der Sowjetunion. Brieffreunde, richtige Freunde, was weiß ich. Die haben auf so einer politischen Ebene geschwebt, wollten die Welt verbessern. Haben ewig geredet, vom Kommunismus und so. Nur Gequatsche!« Der Alte spuckte ins Taschentuch. Dann nahm er seine Frau in den Arm.

Störmer versuchte, das Gespräch am Laufen zu halten.

»Ist sie mit diesen Freunden weggegangen?«

»Hm.«

»Wohin?«

»Weiß nicht, keine Ahnung.«

»Haben Sie eine Vermisstenanzeige aufgegeben?«

»Nein, sie ist nicht vermisst, klar? Und jetzt lassen Sie uns in Ruhe.«

»Ja, natürlich, nur eine Frage noch: Wann haben Sie zuletzt von ihr gehört, sie gesehen oder mit ihr geredet?«

»Erna?«

Frau Hesse stand auf und kam mit zwei Bilderrahmen zurück. Vorsichtig reichte sie diese Störmer. Er vermutete russische Ansichtskarten, deutlich verblichen.

»Schön, danke.«

Behutsam drehte er den Rahmen.

»Darf ich mir auch die Rückseiten der Karten ansehen?«

Beide nickten. Er schob die Klemmen der Rückwand zur Seite. Schnell blickte er auf die Poststempel, 1993 und 1995, eine aus Prag und eine aus Russland. Als er den Text lesen wollte, sprang Frau Hesse auf und riss die Karten an sich.

»Erna, hab keine Angst, er nimmt sie dir ja nicht weg! Die sind doch nur für uns, von unserer kleinen Andrea.« Er versuchte, die Tränen zu unterdrücken.

Störmer hatte bereits zum Handy gegriffen.

»Auf keinen Fall, ich möchte nur …«

Frau Hesse setzte zu einem schrillen Schrei an. Ihr Mann fasste sie bei den Schultern, sah ihr so lange in die Augen, bis sie sich beruhigt hatte.

»Nein, hab keine Angst, der Kommissar will nur eine Ablichtung machen, du kannst die Karten behalten. Das in seiner Hand ist sowas wie ein Fotoapparat.«

Dankbar nickte Störmer und zog die beiden Karten zurück, fotografierte jeweils Vorder- und Rückseiten.

»Danke.«

»Sie können jetzt aufhören zu fragen, ich kenne das aus dem Fernsehen. Nein, wir haben danach nichts mehr von ihr gehört, sie nicht gesehen und auch nicht mit ihr geredet.«

Störmer bemerkte, dass der Alte exakt seine Worte wiedergegeben hatte. Das Gespräch war beendet, er stand auf und bedankte sich nochmals.

»Lassen Sie uns eine Visitenkarte da, das machen Ihre Kollegen im Film auch immer so. Und dann versprechen sie immer, anzurufen, wenn sie was Neues haben.«

Wortlos schob sie Störmer in die Mitte des Tisches.

»Hätten Sie auch ein Foto von Ihrer Tochter für mich?«

»Ja, dort, über dem Seitenschrank. Lassen Sie es hängen, ein Telefonfoto muss genügen.«

Störmer ging hinüber.

»Vor gut fünf Jahren hat ein Fremder hier angerufen, bezeichnete sich als Freund von Andrea. Gesprochen hat er nur gebrochenes Deutsch. Er meinte, dass sie zu Besuch kommen würde, von jetzt auf gleich. Gekommen ist sie aber nicht. Er hat dann noch zweimal angerufen und nach ihr gefragt. Beim dritten Mal habe ich aufgelegt. Das ist alles.«

»Wie hieß er?«

»Dimitri, ein Russe. Er hat sich wohl einen Scherz erlaubt.«

Er zeigte zu dem Bild, das Störmer gerade abfotografiert hatte.

»Und dann kam dieses Foto mit der Post, in einem weißen Umschlag ohne Absender und Adresse. Kein Text, nichts.«

»Aus Russland?«

»Nein, nicht aus Russland, es war nichts drauf, verstehen Sie? Auch keine Briefmarke, gar nichts. Einfach so in den Kasten geworfen. Und sparen Sie sich die Mühe, lassen Sie das Bild hängen, die Rückseite ist leer.«

»Was passierte danach?«

»Nichts. Gar nichts. Und nun gehen Sie bitte.«

Noch bevor er das Auto startete, um nach Hause zu fahren, rief er im Präsidium an. Er hinterließ Sabine eine Nachricht.

»Ich brauche alles über Andrea Hesse, wirklich alles, Freunde, Kontobewegungen, Passdaten, das ganze Programm. Adresse und Geburtsdatum stehen auf der Lehrerliste. Sie ist verschwunden.«

Es bereitete ihm Sorgen, dass er nicht wußte, ob die Schüler ihre Lehrerin gemocht hatten.

Ich schenke dir den Tod

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