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Der Anruf

Donnerstag, 14. November 2019

Behrens legte einen großen Umschlag mit den geforderten 10.000 Euro in den Briefkasten und ging zur Bushaltestelle. Er war früh dran und musste noch 20 Minuten auf den Bus warten. Für die über eine Stunde dauernde Fahrt hatte er sich von zu Hause den Roman „Die Aula“ von Hermann Kant mitgenommen. Die Handlung spielte in der noch jungen DDR und beschrieb die Entstehung sowie Schließung der Arbeiter- und Bauernfakultät. Bei einem seiner wenigen Menschenkontakte im Ort hatte ihm ein in Kühlungsborn geborener Mann erzählt, dass dieses Buch das weltweit am häufigsten übersetzte Werk eines deutschen Schriftstellers sei. Diese Behauptung machte Behrens neugierig und er besorgte sich eine Ausgabe. Er las von Zeit zu Zeit immer mal wieder ein paar Seiten. Doch die Zeitsprünge und wechselnden Handlungsorte sowie die akribisch genau beschriebenen Nebenhandlungen ließen ein zügiges Durchlesen des Romans für Behrens nicht zu. Er tat sich schwer mit dieser Kost, obwohl er die Schilderungen aus der Sicht des DDR-Bürgers Kant über ein Stück deutsche Wirklichkeit als Bereicherung empfand.

Das Buch blieb in der Tasche. Es war die falsche Wahl, um sich abzulenken. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um Thea und ihren möglichen Aufenthaltsort.

Als Behrens am Hauptbahnhof ankam, setzte er sich ins Restaurant und bestellte eine große Cola light ohne Eis. Nachdem eine Stunde vergangen war und kein Anruf kam, fragte er die Bedienung, ob er noch weiter hier sitzen dürfe, auch wenn er nichts mehr bestellen würde.

Die Bedienung war über so viel Höflichkeit irritiert.

„Alles gut, wir schließen erst um 20 Uhr. Dann aber müssen Sie und ich gehen.“

Behrens schmunzelte. Unter anderen Umständen hätte er diese Aussage als Einladung verstanden, doch die aktuelle Situation ließ nicht einmal ansatzweise einen Flirt zu. Ihm war es jedoch wichtig, weiter nett zu sein, las das Namensschild und sagte: „Ich danke, Frau Ines, und wünsche Ihnen später einen angenehmen Feierabend.“

Behrens nahm sein Buch aus der Tasche und versuchte darin zu lesen. Die Kellnerin sah noch das ein oder andere Mal zu Behrens hinüber, ging aber nicht mehr an seinen Tisch. Erst als es kurz vor 20 Uhr war, stand sie wieder vor ihm, um mitzuteilen, dass das Restaurant gleich schließen werde. Er nickte, schaute auf seine Uhr und bedankte sich nochmals für die Großzügigkeit, hier sitzen bleiben zu dürfen. Dann stand er auf und ging vor das Bahnhofsgebäude.

„Kein Anruf“, dachte er und überlegte, ob er mit dem nächsten Bus wieder nach Hause fahren oder noch eine Fahrt abwarten sollte. Inzwischen hatte er auch Hunger bekommen. Die Speisen am Dönerstand gehörten nicht zu seinen Favoriten, bis auf Falafel mit Salat. Er bestellte eine Portion und ließ den nächsten Bus aus. Dem folgenden Bus um 22 Uhr 18 musste er jedoch nehmen, da es der letzte war, der an diesem Abend nach Kühlungsborn fuhr.

Kurz vor Mitternacht war er wieder in seinem Haus. Er öffnete sofort den Briefkasten, doch der Umschlag mit dem Geld war weg.

In Sekundenschnelle war ihm klar, dass die ganze Aktion nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war, um ihn vom Haus wegzulocken. Doch was war mit Thea? Er wählte noch einmal ihre Handynummer: „Teilnehmer nicht zu erreichen.“

Er sackte auf dem Sofa zusammen. Verzweiflung, Tränen und Wut kamen über ihn und die bittere Erkenntnis, dieser Situation hilflos ausgeliefert zu sein. In diesem Moment wünschte er sich jemanden zum Reden, einen Freund, dem er seine Nöte und Gefühle anvertrauen konnte. Doch die einzige Person, die dies alles in sich vereinte, war seine Mutter. Doch die wollte er jetzt nicht mehr anrufen. Er blieb im Wohnzimmer, trank noch zwei Brandy, nahm eine Schlaftablette und schlief auf dem Sofa ein.

Die letzte gute Tat

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