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Die erste Befragung

Freitag, 15. November 2019

Am nächsten Morgen hatte er leichte Kopfschmerzen und suchte nach einer Tablette in der oberen Schublade des Flurschranks, worin sich diverse medizinische Dinge wie Pflaster, Salben und eben auch das gewünschte Aspirin befand.

Erst jetzt entdeckte er das Blinken des Anrufbeantworters. Es war die Nummer seiner Mutter, die er gleich zurückrief.

„Hallo Mama.“

„Was ist passiert? Du wolltest mich doch anrufen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht“, warf seine Mutter ihm vor.

„Ich habe bis zum letzten Bus am Bahnhof gewartet, doch es kam kein Anruf und das Geld haben sie sich auch geholt“, gestand Behrens.

„Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass dies nur ein übler Scherz ist und Thea sich eine kleine Auszeit nimmt? Oder hast du vielleicht vergessen, dass sie für ein paar Tage bei ihrer Freundin in Bremen übernachtet?“, versuchte die Mutter zu beruhigen, wohl wissend, dass bei ihrem Sohn solche Termine nie in Vergessenheit geraten würden. Dafür war er ein zu großer Pedant.

Behrens wollte Ruhe bewahren, sich unter Kontrolle halten und keine vorschnellen Schlüsse ziehen. So seltsam, wie die Dinge sich auch zeigten, es musste für alles eine Erklärung geben.

„Nein Mama, 10.000 Euro sind wirklich kein Spaß und die wissen so viel über mich und Manouch. Den Umschlag mit dem Geld haben sie aus dem Briefkasten genommen, ohne ihn zu beschädigen. Also haben sie Theas Schlüssel.“

„Dann musst du jetzt zur Polizei gehen. Alleine schaffst du das nicht. Und du darfst nichts von Manouch erzählen. Das geht auch niemanden etwas an“, gab sie ihm mit auf den Weg.

Sie war besorgt um ihren Sohn und darüber, dass er die vor ihm liegenden Aufgaben nicht ohne Hilfe bewältigen konnte. Auch der Gedanke, wieder tief in die Vergangenheit, die für sie und ihn schon längst abgeschlossen schien, zurückzukehren, löste bei ihr eine gewisse Unruhe aus. Zuviel Unsagbares war damals geschehen.

„Wie recht sie hat“, war Behrens klar und er nickte ins Telefon.

„Das mach ich, Mama! Ich gehe jetzt zur Polizeistation und melde mich später bei dir“, versprach er und legte auf.

Zuerst wollte er sich noch etwas frisch machen und seine Sachen wechseln. Plötzlich fiel sein Blick auf den Monatskalender, der auf das gestrige Datum gestellt war. Doch nicht von ihm. Der Kalender wurde ausschließlich von Thea geführt, doch sie fehlte seit zwei Tagen im Haus. „Seltsam“, dachte er.

Bevor er darüber weiter nachgrübeln konnte, klingelte es an der Haustür. Behrens öffnete und zwei uniformierte Polizisten standen vor ihm.

„Guten Tag, sind Sie Florian Behrens?“, fragte einer von ihnen.

„Ja, das bin ich. Es ist gut, dass Sie da sind, ich wollte gerade auf die Wache kommen“, begrüßte Behrens seine Besucher.

Die Beamten sahen Behrens prüfend an, der unausgeschlafen mit zerzausten Haaren und heraushängendem Hemd seine Nacht auf dem Sofa nicht leugnen konnte.

„Warum sind Sie eigentlich da? Gibt es etwas Neues von Thea?“, schob Behrens nach.

„Herr Behrens, Ihr Wagen wurde gefunden. Wir möchten Sie bitten, uns nach Rostock ins Kommissariat zu begleiten.“

„Na klar, können wir gleich machen. Ich geh nur noch kurz ins Bad und bin gleich wieder bei Ihnen!“, stimmte Behrens zu und wollte dabei die Haustür schließen.

Ein Polizist hielt seinen Arm dagegen und bestand auf Einlass.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, warten wir im Haus.“

Behrens hatte nichts dagegen, ließ beide Beamte ins Haus und beeilte sich mit seiner Morgentoilette. Er zog sich noch frische Wäsche an und stieg mit den Polizisten in den vor dem Haus geparkten Polizeiwagen.

Auf der Fahrt ins Kommissariat versuchte Behrens, mehr über die Umstände seines gefundenen Wagens zu erfahren und ob es ein Lebenszeichen von Thea gab. Beide Beamten baten um etwas Geduld und versicherten Behrens, dass er alle relevanten Information auf dem Präsidium erhalten würde. Nach 40 Minuten war die Fahrt beendet.

Sie brachten ihn in einen sehr spärlich ausgestatteten Büroraum im ersten Stock. Ein Polizist blieb bei Behrens.

Nach wenigen Minuten betraten ein Mann und eine Frau den Raum. Der Mann war kantig, kein Schwiegersohntyp und niemand, den man als direkten Nachbarn haben wollte, es sei denn, zum Verjagen von Katzen und Wölfen.

Es war Hauptkommissar Spies. Er hätte bereits vor zwei Jahren mit 63 in Pension gehen können, doch es wartete außerhalb des Präsidiums keine einzige Seele auf ihn, die es wert gewesen wäre, nach Hause zu kommen.

Seiner einstigen Angelleidenschaft hatte er nach dem Tod seiner Frau den Rücken gekehrt und ging nur noch ans Wasser, wenn seine Tochter aus Bochum zu Besuch kam und ihn darum bat.

Er trat dicht an Behrens heran und stellte sich und seine Begleitung vor.

„Ich bin Hauptkommissar Herbert Spies und das ist meine Kollegin Kommissarin Tetyana Susemihl. Wir haben Sie hergebeten, weil wir noch einige Fragen wegen Ihrer vermissten Verlobten, Frau Thea Schneider, haben.“

„Sie ist nicht einfach nur vermisst, sie ist entführt worden“, fiel Behrens dem Kommissar aufgeregt ins Wort. „Die Entführer haben von mir bereits Lösegeld bekommen.“

Jetzt unterbrach der Kommissar.

„Einen Moment bitte, uns liegt lediglich eine Vermisstenanzeige vor, die Sie gestern Vormittag auf der Wache in Kühlungsborn aufgegeben haben. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Schön der Reihe nach.“

Beide Beamten setzten sich. Susemihl legte einen Notizblock auf den Tisch und begann, mitzuschreiben.

Behrens berichtete sehr detailliert von dem Brief mit der Geldforderung, seinem Besuch in der Bankfiliale und dem Anruf von Joe. Lediglich die Erwähnung von Manouch ließ er weg. Er erzählte von seiner Fahrt zum Bahnhof und dem vergeblichen Warten und dass das Lösegeld aus dem Briefkasten genommen worden war sowie von dem morgendlichen Besuch der Polizisten, die ihn hierhergebracht hatten.

„Herr Behrens, mir liegen Ihre Aussagen vor, die Sie gestern hinsichtlich des Verschwindens von Frau Schneider gegenüber dem Beamten in Kühlungsborn gemacht haben. Bitte schildern Sie uns noch einmal den Ablauf des Tages, an dem Sie Ihre Verlobte das letzte Mal gesehen haben“, forderte Spies.

„Der Tag begann wie immer. Ich stehe gerne früher auf und an manchen Tagen gehe ich noch vor dem Frühstück einkaufen. Mittwoch war so ein Tag. Wegen des schlechten Wetters nahm ich das Auto aus der Garage, fuhr zum Supermarkt, um frische Heidelbeeren für unser Müsli sowie ein Sixpack stilles Wasser zu kaufen. Nach meiner Rückkehr deckte ich den Frühstückstisch.

Thea war inzwischen aufgestanden und kam, nachdem sie im Bad fertig war, runter an den Tisch. Sie ist eine außerordentlich reinliche Frau, die sehr sorgfältig mit ihrem Äußeren umgeht. Das kann schon mal etwas länger dauern, ist aber okay so.

Die nächsten Stunden vergingen wie sonst auch. Thea erledigte den Abwasch und sonstige Kleinigkeiten im Haus. Ich las die Ostseezeitung und telefonierte mit meiner Mutter. Sie bat mich, bei meinem nächsten Besuch in Berlin den Veranstaltungsplan 2020 von der Kurverwaltung mitzubringen, damit sie schon rechtzeitig mit ihren Freundinnen die Aufenthalte im schönen Ostseebad planen könne.

Ich sagte ihr, dass ich Zweifel hätte, dass es den Kalender zu diesem frühen Zeitpunkt schon gebe. Doch ich versprach ihr, noch heute nachzufragen. So hatte ich jetzt meine Tagesbeschäftigung und einen Grund, trotz des widrigen Wetters ein paar Schritte an der frischen Luft zu verbringen. Bevor ich gegen 13 Uhr das Haus Richtung Kurverwaltung verließ, fragte mich Thea, ob sie wegen des Schmuddelwetters den Wagen nehmen kann.“

Spies mischte sich ein.

„Musste Ihre Verlobte jedes Mal fragen, wenn sie den Wagen benutzen wollte?“

„Nein, natürlich nicht! Es war nur wegen des ungemütlichen Wetters. Ansonsten erledigt sie all ihre Wege mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Sie liebt es, sich im Freien aufzuhalten und vermeidet das Fahren mit dem Auto. Außerdem kann sie nicht gut rückwärts einparken“, erklärte Behrens.

„Wohin wollte Frau Schneider?“, fragte Spies.

„Mittwochnachmittag geht sie immer zur Massage und irgendwelchen Wellnessanwendungen ins Grand Sea Hotel.“

Der Kommissar hakte nach.

„Als Sie um 13 Uhr das Haus verließen, war das das letzte Mal, dass Sie Ihre Verlobte gesehen und gesprochen haben?“

„Gesehen ja, gesprochen nein. Ich hatte sie von der Kurverwaltung aus auf dem Handy angerufen und ihr von meiner Idee erzählt, sie heute zum Essen einzuladen. Sie stimmte zu und wir verabredeten uns für 18 Uhr im Hotel Strandmöwe“, beantwortete Behrens die Nachfrage des Kommissars.

„Wo sie allerdings, gemäß Ihren Angaben aus der Vermisstenanzeige, nicht angekommen ist“, stellte Spies fest und wollte jetzt mehr Details zur Entführung wissen. Dabei verschärfte sich sein Ton.

„Warum haben Sie uns nicht gleich nach dem Erhalt des Erpresserbriefs verständigt? Sie haben ihn nicht zufällig dabei?“

„Der Brief liegt zu Hause und warum ich die Polizei nicht eingeschaltet habe …“, Behrens wurde verlegen. „Hinterher ist man immer schlauer. Vielleicht war ich zu naiv und glaubte noch an einen bösen Scherz oder so“, stammelte er.

„Oder Sie dachten, die blöden Bullen vermasseln das nur und 10.000 Euro sind ja auch nicht die Riesensumme“, provozierte Spies.

„Nein, das habe ich nicht gedacht und 10.000 Euro sind für mich schon ein großer Betrag“, rechtfertigte sich Behrens.

„Bei der Gelegenheit: Was ist Ihre Arbeit, wovon leben Sie, Herr Behrens?“, stocherte Spies weiter.

„Ich bin Privatier. Doch was tut dies hier zur Sache? Was ist überhaupt mit meinem Wagen? Kann ich ihn wieder mitnehmen und was werden Sie wegen der Entführung meiner Verlobten unternehmen? Das sind doch die dringendsten Dinge und nicht, womit ich meinen Unterhalt verdiene“, ärgerte sich Behrens über die Art der Befragung und wurde mutiger. „Ich werde von der Polizei unter dem Vorwand, meinen Wagen abholen zu können, hierhergebracht und muss mich solchen Fragen stellen, als wäre ich auf der Anklagebank.“

„Wichtig fürs Protokoll“, Spies schaute zu seiner Kollegin Susemihl herüber, „wir klagen nicht an, sondern befragen Sie nur. Und nein, Sie können Ihren Wagen nicht mitnehmen. Er wird noch weiter untersucht. Wir haben Spuren von Blut und ein Handy im Innenraum Ihres Wagens gefunden.“

Behrens war wie gelähmt und konnte kaum atmen. Schlagartig kamen ihm Bilder von Gräueltaten in den Kopf, bei denen auch zuerst nur das Blut im Wagen oder Kofferraum gefunden worden war und später das misshandelte Opfer.

„Wir haben aktuell keine weiteren Fragen mehr an Sie. Wir bitten jedoch um Ihre Zustimmung, Ihnen Blut abnehmen zu dürfen und eine DNA-Probe und ein Foto von Ihnen zu machen. Ist das ein Problem für Sie, Herr Behrens?“, fragte der Kommissar mit bissigem Unterton.

Behrens war in sich versunken und wehrte sich nicht mehr. Seine Gedanken und Befürchtungen waren bei seiner Verlobten.

„Bitte folgen Sie meiner Kollegin ins Labor und verlassen Sie in den nächsten 48 Stunden nicht die Stadt. Wir melden uns zeitnah bei Ihnen. Die Kollegen, die Sie abgeholt haben, fahren Sie auch wieder nach Hause“, verabschiedete sich Spies von Behrens.

Die angekündigten Handlungen im Labor wurden zügig durchgeführt. Eine halbe Stunde später saß Behrens wieder in dem Polizeiwagen mit denselben beiden Beamten auf dem Weg nach Hause.

Er war sich nicht im Klaren darüber, was ihn mehr beunruhigte, das Verschwinden von Thea oder die anzüglichen Bemerkungen des Kommissars.

„Glaubt der tatsächlich, dass ich etwas mit der Entführung zu tun habe? Und warum hat er kein Team mit nach Hause geschickt, um den nächsten Anruf abzufangen; so macht man das doch wohl?“, hinterfragte Behrens die Handlungsweise des Kommissars.

Im Kommissariat besprachen sich Spies und seine Kollegin Susemihl.

„Wie war er im Labor? Was halten Sie von seiner Geschichte?“, wandte sich Spies an seine Kollegin.

Susemihl, Ende 20, eine mittelgroße Frau ohne sichtbare weibliche Konturen, war zum Abschluss der Polizeischule Jahrgangsbeste gewesen und die jüngste Kommissarin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie war mit ihren Eltern als Vierjährige aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Ihre kinderlose Ehe mit einem Polizisten aus Graal-Müritz hielt nur neun Monate. Spies und sie arbeiteten erst seit Juni diesen Jahres zusammen.

„Er wirkte verunsichert, doch nicht mehr als andere, denen man in diesem kalten, weißen Raum Blut abzapft. Irgendwie passt die Story zu ihm“, antwortete Susemihl.

„Was meinen Sie damit: passt zu ihm?“, interessierte sich Spies.

„Ich meine, man soll ja kleine Männer nicht unterschätzen, doch seine genaue Beschreibung der Vorfälle deutet auf eine gewisse Buchhaltermentalität.“

Spies fiel seiner Kollegin ins Wort.

„Ja, gerade diese Buchhalter! Haben Sie noch nie von den besonders ehrgeizigen kleinen Männern gehört?

Die Weltgeschichte ist voll davon, Napoleon, Sarkozy, Berlusconi und so weiter. Oder spielen Sie mal Fußball gegen so einen kleinen Zwerg von Linksverteidiger: Sie glauben, Sie haben ihn umspielt, da steht er schon wieder vor Ihnen. So sind die!“

„Herr Spies, unser kleiner Mann spielt höchstens Canasta. Ich glaube ihm grundsätzlich“, entgegnete Susemihl.

In diesem Moment klingelte das Telefon, Spies nahm den Hörer ab, hörte kurz zu, legte wieder auf und triumphierte.

„Ich hab’s doch gewusst. Es ist dasselbe Blut; kommen Sie mit ins Labor.“

Die letzte gute Tat

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