Читать книгу Die letzte gute Tat - Ralf Peter Paul - Страница 6
ОглавлениеDer Brief
Das bekannte Metallgeräusch des Briefkastendeckels holte ihn aus seinem lethargischen Zustand. Es war kurz nach halb 12. Um diese Zeit kam die Post. Nicht, dass ihn diese in der jetzigen Situation besonders interessiert hätte, aber der Weg zum Briefkasten brachte etwas Abwechslung und es entsprach auch seinem Pflichtbewusstsein, Post nicht länger liegen zu lassen als notwendig.
Er nahm einen dünnen Modekatalog für Thea und einen unfrankierten Brief aus dem Kasten.
„Den Brief hat nicht der Postbote gebracht, der muss schon vorher drin gelegen haben“, machte sich Behrens klar.
Er öffnete den Umschlag und fand ein DIN-A4-Blatt, auf dem zu lesen war:
Hallo Max, jetzt keine Panik, schön vernünftig bleiben und nichts Unüberlegtes tun, so wie es deine Art ist. Deiner Freundin Thea geht es gut und so soll es auch bleiben. Du gehst jetzt zur Bank, hebst 10.000 Euro ab und kommst damit wieder nach Hause. Ich rufe dich um 13 Uhr an.
Wenn du jetzt telefonierst oder irgendjemandem von der Sache erzählst, gibt es kein Wiedersehen mit deiner „Schönen“. Wir beobachten dich.
Behrens hielt den Text, der auf einem PC geschrieben worden war, wie versteinert in seinen Händen. Er las ihn ein zweites und drittes Mal.
Er schaute auf seine Uhr. Es war viertel vor 12. Wollte er den Anweisungen folgen, musste er sich sofort auf den Weg machen. „Heute ist Donnerstag, da schließt die Bank in der Mittagszeit von 12.30 bis 14 Uhr. Es braucht keine Überlegung, was jetzt zu tun ist“, sagte er sich. „Es geht schließlich um das Leben meiner Verlobten. Erst einmal das Geld holen und dann hören, wie es weitergehen soll.“
Behrens war als nicht besonders großzügig bekannt und so kam ihm auch in den Sinn, es könne sich um einen Scherz handeln. Nach wenigen Sekunden verwarf er diesen Gedanken und akzeptierte, sich von dem Geld trennen zu müssen.
Er stieg wieder auf das ungeliebte Fahrrad und machte sich auf den Weg zur Bank. Für einen Moment überlegte er, ob er nicht zumindest dem Filialleiter, mit dem er zwar nicht befreundet war, aber schon einmal Tennis gespielt hatte, den Grund der Geldabhebung nennen sollte.
Der Filialleiter erschien Behrens, trotz der nur kurzen Begegnung auf dem Tennisplatz, vertrauenswürdig und er war sicher, dass dieser nicht in die Angelegenheit verwickelt war. Es könnte zudem von Vorteil sein, war seine Überlegung, gerade wenn es zum Äußersten kommen würde, einen Zeugen an seiner Seite zu wissen.
Als er die Schalterhalle der Bank betrat, saß der Filialleiter in seinem gläsernen Büro. Behrens ging darauf zu, gestikulierte und sein Tennispartner gab Zeichen zum Hereinkommen.
In diesem Augenblick verwarf Behrens den Gedanken, seinem Gegenüber etwas von dem Brief zu erzählen, sondern bat um die Auszahlung der geforderten Summe. Dabei brabbelte er ungefragt etwas von einem möglichen Schnäppchen-Autokauf am Wochenende und verließ mit dem Geld die Bankfiliale.
Als er wieder zu Hause ankam, war es zehn Minuten vor 13 Uhr. Er ging in den ersten Stock an seinen Schreibtisch, holte das Diktiergerät aus der Schublade und kehrte an den Esstisch zurück.
Der Anruf kam erst eine halbe Stunde später.
„Hallo Max, ich weiß, du magst keine Unpünktlichkeit, aber wir mussten sicher sein, dass du alles so machst, wie es in dem Brief steht. Ist doch so oder hast du etwa deinem Filialleiter einen Hinweis gegeben?“, wollte der Anrufer wissen.
„Nein, das habe ich nicht. Wie geht es Thea? Ich möchte mit ihr sprechen, sonst lege ich gleich auf“, drohte Behrens.
„Ho, ho, ho, was sind denn das für Worte. Willst wohl einen auf stark machen vor deiner Thea? Das steht dir nicht und jetzt komm wieder runter!“, höhnte der Anrufer.
„Also, folgender Plan: Du legst den Umschlag mit dem Geld in deinen Briefkasten und fährst dann mit dem Bus um 16 Uhr 12 zum Hauptbahnhof Rostock. Dann setzt du dich in das Bahnhofsrestaurant und bleibst dort, bis wir dich anrufen. Wenn alles glatt gelaufen ist, kannst du deine Verlobte noch am selben Abend in die Arme nehmen, und der ganze Spuk ist für euch vorbei“, versprach der Anrufer.
Behrens, unterwürfig: „Sie nennen mich Max, wie sonst nur meine Freunde. Kennen wir uns? Wie darf ich Sie ansprechen?“
Der Anrufer zögerte einen Moment: „Na gut, weil du nett gefragt hast und uns hoffentlich keine Schwierigkeiten machen wirst. Du kannst Joe zu mir sagen. Und noch etwas: Bleib weiterhin so cool wie einst bei Manouch!“
Joe legte auf. Behrens drückte die Wiederholungstaste, ohne Erfolg. Er hätte ihn gerne noch gefragt, was er damit meinte: „So cool wie einst bei Manouch.“
Diesen Namen hatte er schon seit Jahren nicht mehr gehört und doch waren ihm die Ereignisse, die er eng mit dem Namen verband, sofort wieder gegenwärtig.