Читать книгу Smell - Ralf Veith - Страница 10
- 7 -
ОглавлениеTukatan war der oberste leitende Reproduktionsmediziner der Unität. Er trug den Titel Pre-Medor, was dem höchsten Rang innerhalb der streng gegliederten Hierarchie der Repo-Werke entsprach und dazu führte, das Tukatan allen auf dem Planeten verteilten Werken vorstand. Diesen Posten hatte er nun schon fast 30 Jahre inne und er merkte, dass auch an ihm das Alter nicht spurlos vorübergegangen war, wenngleich er für seine 80 Jahre noch ausgezeichnet in Form war. Als einem der bestbezahltesten Beamten der Unität konnte er sich den fast täglichen Luxus mehrerer Vitalbehandlungen leisten. Diese machten seine Haut überwiegend straff und geschmeidig und ließen seine durch die immer noch gut trainierten und funktionsfähigen Muskelstränge ausgeführten Bewegung jugendlich erscheinen.
Wie bei vielen anderen seiner Berufsgruppe ließ jedoch die Sehkraft, trotz vieler kostspieliger Implantate, deutlich nach, so dass ihm das lange Lesen am Holo-Schirm immer mehr zur Qual wurde.
Die Repo-Werke waren in den letzten Jahrhunderten zur unverzichtbaren Säule geworden, um das Weiterbestehen der menschlichen Rasse zu sichern. Dies führte naturgemäß dazu, dass die Berufsgruppe, der Tukatan angehörte, zunehmend gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss genoss. Aus Sicht von Tukatan stand dies jedoch weiterhin nicht im angemessenen Verhältnis zu der Verantwortung, die er tragen musste. Wie oft hatte Tukatan schon an einen Wechsel in die reine Verwaltungsebene der Zentrale nachgedacht. Er wäre nicht der Erste seine Berufsgruppe gewesen, der nach mehreren Jahren in den Diensten der Repo-Werke diesen Schritt getan hätte, zumal es eine ähnlich hohe Entlohnung bei gleichzeitig deutlich reduzierter Verantwortlichkeit bedeutet hätte.
Aber Tukatan war stets mit Leib und Seele ein Reproduktionsmediziner gewesen, wie damals sein Vater vor ihm. Die Arbeit seines Vaters hatte noch überwiegend im Labor, in der Durchführung von Experimenten und dem Bereich der Grundlagenforschung stattgefunden. Dies hatte seinen Sohn Tukatan immer fasziniert und so hatte dieser dann auch folgerichtig zu Beginn seiner Laufbahn im Repo-Werk zunächst die Arbeit seines Vaters fortgeführt. Nachdem zunehmend in den Werken die überwiegenden Schritte der Befruchtung und Aufzucht der Föten automatisiert wurden, blieben den verbliebenen Reproduktionsmedizinern nur noch Aufgaben der Kontrolle, Steuerung und Bewertung der durchgeführten Prozesse. In der leitenden Position, die Tukatan nun viele Jahre innehatte, kamen mehr und mehr Verwaltungs- und Personal aufgaben hinzu, hinter denen die restlichen Arbeiten deutlich zurückstehen mussten.
Tukatan hasste die nicht enden wollenden Termine zur Abstimmung und Planung mit anderen Abteilungen, die Personaldebatten, die Teilnahmen an Empfängen und die immer wieder ähnlich klingenden Reden, die er zu vielen verschiedenen Anlässen halten musste. Nicht nur einmal wünschte er sich, die Zeit zurückdrehen zu können. Aber er wusste, dass man ihm dies nicht wirklich gestatten würde.
Er wusste, dass er ein wichtiges Zahnrad im System der Unität und der Zentrale war. Deren Aufgabe bestand darin, die Zufriedenheit der Bürger bei gleichzeitig größtmöglicher persönlicher Freiheit und unter Beachtung eines nachhaltigen Umgangs mit allen Ressourcen zu garantieren. Die Repo-Werke hatten die Aufgabe, für das Weiterbestehen der menschlichen Rasse zu sorgen und den Bürgern das unvergleichliche Gefühl der Schwangerschaft und erfolgreichen Austragung des Fötus zu ermöglichen. Um hierfür Sorge zu tragen, wurde Tukatan von der Zentrale mit unendlichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Ein Versagen des in sich geschlossenen, teilweise filigranen gesellschaftlichen Gebildes konnte nicht nur zum Zusammenbruch der Unität führen, sondern würde gleicher maßen dem Ansehen der Berufsgruppe der Reproduktionsmediziner dauerhaften Schaden zufügen.
Die wichtigste Aufgabe von Tukatan war es in diesem Zusammenhang jedoch, Wissen zu bewahren und unausgesprochen zu lassen, was nicht ausgesprochen werden musste.
Mit diesem Wissen saß er auch diesen Abend wieder seit einiger Zeit schon vor seinem Holo-Schirm im Arbeitszimmer seines großen, luxuriös eingerichteten Hauses, das am obersten Hang des Mont-Ulan gelegen war und von dem man einen freien, beeindruckenden Blick auf das hell erleuchtete Westcon genießen konnte.
Er wies seine persönliche Kommunikationseinheit an, eine Verbindung zu seinem Untergebenen Tales, dem Direktor der Riolot-Basisstation, herzustellen.
Innerhalb kürzester Zeit erschien das Bild des Direktors auf dem Holo-Schirm. Es schien, als ob Tukatan ihn wieder einmal aus einem Psy-Schlaf geholt hatte.
„Wieso erhalte ich das dritte Mal in dieser Quart-Periode eine Nachricht, dass es bei Ihnen zu Lieferengpässen kommt?“, fragte Tukatan seinen Untergebenen, bei dem daraufhin das zuvor überdeutlich zur Schau getragene Lächeln dem Ausdruck unbändiger Furcht Platz machte.
„Es tut mir leid, Pre-Medor! Ich wollte sie bereits zuvor darüber in Kenntnis gesetzt haben, um die weitere Planung nicht zu gefährden. Wir arbeiten bereits ohne Unterbrechung an einer Lösung des Problems!“ Zum Ausdruck von Furcht gesellten sich zahlreiche Schweißperlen auf der Stirn des Direktors.
„Ein ähnliches Gespräch hatte ich vor einiger Zeit schon mit ihrem Vorgänger“, erwiderte Tukatan, ohne Tales die Gelegenheit für weitere Erklärungen zu geben. Der Pre-Medor war es leid, sich immer wieder mit Untergebenen auseinandersetzen zu müssen, denen anscheinend die Dringlichkeit ihrer Tätigkeit nicht bewusst war. Er stützte sich leicht auf seinen Schreibtisch und wandte sich seinem Holo-Schirm entgegen.
„Ich brauche Ihnen ja nicht erläutern, was es bedeutet, wenn sich die Vorräte weiter verringern und es zu Störungen in den Repo-Werken kommt, Tales“, sagte Tukatan mit Nachdruck. „Sie wissen, Tales, dass das Anhalten dieser Verzögerungen nicht nur für die Repo-Werke, sondern auch für sie als Direktor in Riolot ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen würde“
Auf dem Holo-Schirm des Direktors zeichneten sich deutlich die Gesichtszüge seines Pre-Medors ab, die keinen Zweifel daran ließen, dass ein mög licher Nachfolger für ihn schon jetzt nur darauf wartete, dass er jetzt einen Fehler machen würde.
„Pre-Medor, es tut mir leid. Wie sie sicherlich wissen, hat es bei uns seit Tagen durchweg geregnet. Ein Nachschub an Ware war hierdurch nicht generierbar. Die Umweltkontrollen werden heute noch optimiert, so dass wir dann unverzüglich den Rückstand aufholen werden“, sagte Tales. Obwohl er es sich gewünscht hätte, konnte er ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Zudem neigte seine Stimme unter Stress dazu, dass sie einen wesentlich höheren Tonfall annahm, was dem Gegenüber stets augenblicklich zeigte, dass er nicht nur sich, sondern auch seine Aufgabe nicht unter Kontrolle hatte.
Der Arbeitstag war für Tukatan schon lange genug gewesen, was sich in dieser Situation als Glücksfall für den Direktor der Riolot-Basisstation herausstellte. Der Pre-Medor hatte heute keine Lust mehr, einen neuen Direktor einzusetzen, was zudem bedeutet hätte, dass er diesem wieder eine gewisse Einarbeitungszeit hätte gewähren müssen, die die Lösung des Nachschubproblems auch nicht unbedingt beschleunigt hätte.
So sagte er zu Tales nur: „Sie melden sich morgen zur 13ten Zeiteinheit bei mir und teilen mir mit, dass sie das Problem in den Griff bekommen haben.“
Der Holo-Schirm des Direktors erlosch. Während der Regen weiterhin unaufhörlich an die Fensterscheiben des Wohnhauses von Tales prasselte, nahm er einen Psy-Neutraliser ein und stellte augenblicklich eine Konferenzverbindung her. Auf seinem Holo-Schirm erschienen fast zeitgleich die Gesichter des Vorgesetzten der Umweltkontrolle, des Diensthabenden der in der Nähe des Waldgebietes gelegenen Basisstation und des Vorgesetzten der Trans-Riolot-Gesellschaft, deren einzige Aufgabe in der planmäßigen Durchführung von Containertransporten hin zu den Repo-Werken bestand. Alle wussten, dass es für sie bis zur dreizehnten Zeiteinheit am morgigen Tag nur gute Meldungen aus ihren Bereichen geben durfte.