Читать книгу Smell - Ralf Veith - Страница 11
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ОглавлениеIsano erkannte die Veränderung bei sich nicht sofort. Es dauerte ein paar Monate, bis ihm bewusst wurde, dass er zu den bisher eher Wenigen gehörte, denen die Natur ohne zu fragen eine Begabung geschenkt hatte, die sich – je nach Situation – mal als vorteilhaft, mal als eher nachteilig herausstell te. Diese „Begabung“ ereilte Bürger jeglichen Geschlechts meist nach Vollendung der zweiten Entwicklungseinheit. Die Ersten von ihnen, die zu dieser Gruppe gehörten, fühlten sich noch wie Aussätzige. Aber die zunehmende Häufung von Ihnen führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass Bürger mit dieser besonderen „Begabung“ vielleicht als sonderlich, aber voll integriert angesehen wurden. Die Wissenschaft hatte weiterhin keine Erklärung für dieses Phänomen, aber da es zu keiner wesentlichen Veränderung für die Betroffenen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, der Arbeit und der Lebensqualität als Bürger führte, wurden die Forschungen hierzu auch nicht als vorrangig betrachtet.
Wie für die meisten Bürger stellte diese besondere „Begabung“ mehr eine liebgewordene Kuriosität dar, an die er sich gewöhnt hatte und die ihn nur selten belastete.
Isano gehörte zu den „Smells“, wie sie von anderen genannt wurden und wie diese sich mittlerweile auch selber nannten. Er hatte einen ausgesprochen guten Geruchssinn. Im Alter von ungefähr 20 Jahren bemerkte er zunächst nur, dass sich anscheinend sein eigener Körpergeruch verstärkt hatte. Auch schien es ihm damals, als ob der Wind, der durch die Häuserschluchten von Westcon wehte, beständig einen neuen, für ihn ungewöhnlichen Geruchsakzent mit sich führte.
Hätte Isano es damals beschreiben müssen, hätte er bestimmt gesagt, dass es intensiv nach einer Mischung aus Gerüchen von Metall, Essig zusammen mit einer leicht blumigen Note roch. Aber es war so schwer, die eigene Geruchsempfindung in Kategorien einzuordnen. Auf jeden Fall roch alles intensiver. Und wenn Isano sich stark konzentrierte, ließen sich die einzelnen Gerüche auch besser und feiner voneinander unterscheiden. Wenn es früher für Isano nach „Wiese“ oder „Regen“ roch, so wusste er nach einiger Zeit mit geschlossenen Augen, ob sich in einer Wiese Moose oder Kräuter untergemischt hatten, oder ob der Regen Pollen verschiedener Bäume mit sich trug.
Alle „Smells“ mieden zu Beginn ihrer Geruchssinnveränderung Menschenansammlungen. Diese Mischung von Düften, die von den Ausscheidungen der Hautschichten stammte, war für alle Bürger mit dieser besonderen Geruchsbegabung zunächst unmöglich zu ertragen. Es war gleichgültig, ob diese Körpergerüche künstlich verändert wurden oder naturbelassen waren. Die Reizüberflutung, die hierdurch für die Smells entstand, war einfach überwältigend und schwer bis nicht ertragbar. Wie ein neugeborenes Kind, das neue Eindrücke, die von den verschiedenen Sinnen auf dieses einströmten, zunächst sortieren, einschätzen und zuordnen musste, so konnten auch die Smells erst nach und nach die verschiedenen, für sie neuen Eindrücke, die sie durch ihren verstärkten Geruchssinn erfuhren, in ihren Erfahrungsschatz integrieren. Wie im Umgang mit allen anderen Sinneseindrücken, so stellte sich auch für die Smells, mit der Übung ihrer eigenen neu hinzugewonnenen Begabung, zunehmend ein Gewöhnungseffekt ein. Das, was zuvor noch chaotisch und belastend erschien, wurde mehr und mehr kontrollierbar und nahm seinen Platz neben den anderen Sinneserfahrungen ein, die ohne vielleicht bewusst wahrgenommen zu werden, den Alltag eines jeden, fühlenden Wesens begleiteten und auch mitbestimmten.
Zu Beginn der sich bei Isano vollziehenden Veränderung seines Geruchsempfindens konnte es häufiger vorkommen, dass er seinen Freund Gerano auf dessen – aus Sicht von Isano - veränderten Körpergeruch hindeutete, indem er nachfragte, ob dieser vor der Arbeitsphase nicht ausreichend Zeit für eine Dusche hatte.
„Klar! Ich habe mich gewaschen und geduscht. Sogar ziemlich lange und mit meiner Lieblingslotio“, entgegnete Gerano dann meist entrüstet. „Bei den netten Kolleginnen würde ich mich doch sonst gar nicht zur Arbeitsphase trauen“, scherzte Gerano anfänglich meist noch. Zunehmend fragte er sich damals jedoch, ob hinter diesen Anspielungen von Isano nicht auch etwas anderes hätte stecken können. Er sprach seinen Freund damals mehrfach darauf an, ob er auch anderen gegenüber dieses Empfinden hatte und so erkannten beide Freunde dann schnell, dass die Veränderung nicht auf Seiten von Gerano sondern bei Isano stattfand. „Hey, wenn Du jetzt zu den Smells gehörst, dann ist es ja wohl auch bald mit deinem Einsiedlerleben vorbei. Du Glücklicher!“, neckte Gerano seinen Freund, nicht ohne dabei auch ein wenig an seine eigenen, eher unglücklichen Versuche in der Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht erinnert zu werden.
Es hatte sich in den vielen Jahren, in denen sich zudem die Anzahl der Smells erhöht hatte, gezeigt, dass Smells beiderseitigen Geschlechts häufiger und in beständigeren Paarschaften zusammenlebten, als es bei den anderen Bürgern der Fall war. Für die Wissenschaft war dies jedoch nicht weiter verwunderlich. Es war schon aus Erkenntnissen der Vorzeit durchaus bekannt und wissenschaftlich belegt, dass bei fast allen Lebewesen der Geruchssinn oft entscheidend an der passenden Partnerwahl beteiligt war. Ausdrücke des Missempfindens gegenüber einer anderen Person, die beteuerten, das Gegenüber nicht riechen zu mögen, erlebten mit der zunehmenden Verbreitung der Smells in der Gesellschaft wieder an Bedeutung. Gleichzeitig deutete die Tatsache, dass man sein Gegenüber gut riechen mochte, fast immer auf eine bestandsfähige Paarverbindung hin. Da aber die drüsenbedingten Ausscheidungen des Körpers auf Grund vielfacher Einflussfaktoren auch Schwankungen und Veränderungen unterlegen waren, gab es grundsätzlich natürlich keine dauerhafte Garantie, dass eine auf Grund positiver Geruchsempfindung geschlossene Paarverbindung auch dauerhaft Bestand hatte. Dennoch hatten die Smells zumindest einen entscheidenden Vorteil, wenn es um die Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht ging. Zumindest von den Bürgern, die sich gerade aktiv um eine glückliche Paarverbindung bemühten, wurden die Smells nicht selten hierfür beneidet.
Wie alle anderen Smells auch, lernte Isano zunehmend seine besondere Begabung in sein Leben zu integrieren und genoss nicht nur einmal auch den einen oder anderen Vorteil, der ihm hierdurch beschert wurde.