Читать книгу Smell - Ralf Veith - Страница 6
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ОглавлениеWestcon war die drittgrößte Stadt im Norden von Afara. Sie lag am ehemaligen Ufer des Karasee. Nachdem sich bis zum Jahr 2456 die meisten ehemaligen Staatensysteme auf Grund der vielen und lang anhaltenden Bevölkerungsunruhen aufgelöst hatten, traten - nach einer Zeit des Chaos und noch größerer Willkür als zuvor - die ersten Bestrebungen nach einer weltumfassenden, regelnden Instanz auf. Unter Beteiligung aller ehemaligen Nationen wurde nach mehrjährigen Verhandlungen "die Zentrale" gegründet.
Diese versuchte von da an, die unterschiedlichen Interessen der Bürger der so genannten Unität, mit notwendigen ökologischen und ökonomischen Aspekten in Einklang zu bringen. Der Planet war in Folge radikaler Ausbeutung der Ressourcen in den vergangenen Epochen nicht nur von in der Geschichte unvergleichlichen Umwelt- und Klimaka tastrophen heimgesucht worden. Auch die massive Ungleichverteilung lebensnotwendiger Ressourcen auf Grund geologischer Gegebenheiten und kapital- und machtpolitischer Einflussnahmen, hatte dazu geführt, dass alle Bevölkerungsgruppen dazu genötigt waren, sich gemeinsamen und nachhaltigen Zielen zu verpflichten, die unverzüglich die oberste Priorität genießen mussten.
Ohne Beachtung und konsequente Durchsetzung dieser Ziele wäre das Überleben der menschlichen Art auf dem Planeten unweigerlich dem Ende entgegen gegangen. Die Energiegewinnung wurde innerhalb eines Jahrzehnts vollkommen auf regenerative Quellen umgestellt. Die Luft in den Megastädten wurde zunehmend atembarer, so dass immer mehr Bürger ihren Lebensraum wieder dorthin verlagern konnten, nachdem sie sich zuvor aus diesen zurückziehen mussten. Wenngleich die Natur, die die Städte umgab, noch Jahrhunderte benötigen würde, um sich von der massiven Einflussnahme des Menschen zu erholen, so gab es doch mehr und mehr positiv stimmende Anzeichen von Erholung.
Nach einem radikalen, globalen Fangverbot und einem Verbot der Verschmutzung durch jegliche Substanzen, konnten sich die Fischbestände in den vergangenen Dekaden in den Meeren zunehmend erholen. Die komplette Umstellung auf künstliche, sich selbstregulierende und reinigende Aquafarmen führte zu ausreichendem, tierischem Nahrungsangebot. Nachdem die Überlassung von Agrarflächen zur Viehhaltung bis auf ein Zehntel der zuvor beanspruchten Fläche reduziert wurde, war die Grundlage einer ausreichenden und gesundheitlich ausgewogenen Ernährung der Weltbevölkerung durch Saatpflanzen unter Einhaltung von Biodiversität geschaffen worden.
Nach einer zuvor noch tendenziell zu erwartender Überbevölkerung deuteten jedoch im Jahr 2480 immer mehr Anzeichen darauf hin, dass die Zunahme der Bevölkerungszahl sich zunächst verlangsamte und dann in allen von Bürgern bewohnten Gebieten massiv rückläufig war. Im Jahr 2540 reichte diese nur noch an die Bevölkerungszahl der vorindustriellen Zeit heran und war weiterhin stark rückläufig. Es dauerte keine zehn Jahre, bis die gemeinsamen Kräfte der Unität erkannten, dass die Ursache hierfür in sich flächendeckend ausgebreiteten, genetischen Veränderungen der Bürgerinnen zu finden war.
Der nach der Befruchtung einnistwillige Fötus konnte in den ersten Wochen nicht mehr von der Plazenta mit ausreichend Nährstoffen versorgt werden. Anschließend über mehrere Jahrzehnte unternommene Versuche, die Plazenta der Bürgerinnen für die Aufnahme des Fötus in den ersten Wochen mit ausreichenden Nährstoffen zu versehen, schlugen fehl. Die Forschungsergebnisse einiger Reproduktionsmediziner - einer in der Vergangenheit bis zu diesem Zeitpunkt eher vernachlässigten Berufsgruppe -wiesen darauf hin, dass außerhalb des Uterus, im Reagenzglas gezeugte Föten, nach vierwöchiger Aufzucht in einer plazentaartigen Nährlösung nach Wiedereinpflanzung in den Uterus der Bürgerinnen eine normale Überlebenshäufigkeit ohne jegliche Geburts- und Entwicklungskomplikationen hatten.
Diese Ergebnisse führten dazu, dass auf dem ganzen Planeten verteilt Reproduktionsstätten gegründet wurden, die mit ihrer Arbeit zu einer Wiederstärkung der Geburtenzahlen und auch der Anerkennung der Arbeit der Reproduktionsmediziner beitrugen. Schnell wurden die Abläufe in den sogenannten Repo-Werken soweit automatisiert, dass jeweils nur noch eine kleine Anzahl von Reproduktionstechnikern den komplexen, aber mittlerweile standardisierten Ablauf in den Werken überwachen musste.
Nach Entnahme der befruchtungsfähigen Eizelle der Bürgerin wurde diese Eizelle an einen sich in hoch-sterilisierter Umgebung befindlichen Auto maten übergeben, der die Befruchtung mit der zuvor erhaltenen Samenspende übernahm. Nach mehrjähriger Optimierung dieses Verfahrens war eine gelungene Befruchtung der Eizelle zu hundert Prozent garantiert. Die anschließend hinter verschlossenen Türen in ebenfalls hoch-sterilisierter Umgebung automatisch durchgeführte Übergabe des befruchteten Eis an die Nährlösung wurde von den werdenden Eltern mittlerweile - genauso wie die sich nach vier Wochen anschließende Wiedereinsetzung in die Gebärmutter - wie ein kleines Fest gefeiert. Hierzu gab es in den Repo-Werken eigene Abteilungen, die sich zunehmend auf die Durchführung der vielen dort stattfindenden Festlichkeiten spezialisiert hatten.
Unter Aufwendung aller vorhandenen Kräfte hatte es die Menschheit geschafft, ihren drohenden Untergang abzuwenden. Hunger und Verfolgung wurden abgeschafft, soziale Ungleichheit weitestgehend beseitigt. Eine vorausschauende, nachhaltige Planung und Ordnung durch die Zentrale, die die Gleichheit aller Bürger als oberste Maxime in sich trug und Bevorteilung Einzelner verbot, schaffte die Grundlage für ein prosperierendes und glückliches und gesundes Leben der meisten Bürger der Unität.
Bei einer durchschnittlich dreistündigen Arbeitszeit der Bürger jeglichen Geschlechts, blieb diesen Freiraum, sich der Weiterentwicklung ihrer individuellen Neigungen und Fähigkeiten zuzuwenden, wobei den Künsten und der Bildung oberste Priorität galt.
Es gab kaum eine Bürgerin oder einen Bürger, die sich nicht zu musischen oder malerischen Künsten hinwendete und nicht auch gleichzeitig den Interessen auf einem wissenschaftlichen Gebiet nachging.
Isano hatte schon früh seine Liebe für das Spielen der Kitara entdeckt. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, dass seine Mutter eine ausgesprochene Meisterin auf diesem Instrument war und daher zahlreiche Arten der Kitara in seiner Familie immer in irgendeiner Ecke des Hauses zu finden waren. Schon als kleiner Junge konnte er stundenlang seiner Mutter zuhören, wie sie manchmal frei improvisierend die sieben Saiten der Kitara zum Klingen brachte, ihn dabei ansah, und als er etwas älter war zum gemeinsamen Musizieren einlud. Als Isano zwölf Jahre alt war, war es mittlerweile üblich, dass er und seine Mutter gemeinsam bei Feiern der Familie oder bei Freunden manchmal kurze oder auch längere Gastspiele mit ihren Kitaras hatten. Und als Isano anfing sich für das andere Geschlecht zu interessieren, half ihm seine eigene Kitara nicht nur einmal dabei, entweder Kontakt mit der Angebeteten aufzunehmen, oder aber auch seinen Kummer nach einer Abweisung durch diese zu besänftigen.