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Die perfekte Ehe
ОглавлениеRegionalbahn, Heidelberg, Hauptbahnhof, Straßenbahn, Bismarckplatz, Eisdiele, Bohnerwachs. Alles wie immer. Ich sitze so, dass ich vom Wohnzimmerfenster aus auf das Heidelberger Schloss blicken kann. Lisa sitzt rechts von mir. Uns gegenüber sitzen Hannah und Johannes. Francis ist mit Kerstin zuhause geblieben, damit wir vier ungestört miteinander sprechen können.
Hannah und Johannes reichen Kaffee und Apfeltaschen.
Ich eröffne das Gespräch. „Bei uns ist die Welt wieder in Ordnung. Wir wohnen wieder zusammen und sind wieder eine Familie. Danke für alles, was ihr für uns getan habt.“
Lisa schließt sich meinem Dank an. „Dass wir bei euch immer willkommen sind, ist ein Segen für uns. Ihr seid uns auch ein Vorbild. Ihr führt die perfekte Ehe.“
Hannah lächelt.
Johannes auch. Er sagt ganz unerwartet: „Wenn man davon absieht, dass Hannah einen Mann mit einer homosexuellen Biographie geheiratet hat, passt bei uns alles.“
Lisa bleibt cool.
Ich verschlucke mich hingegen beinahe an meiner Apfeltasche. Ich muss erst einmal etwas trinken. Lisa schlägt mir sanft auf den Rücken. Dann bringe ich gerade so mit einem Krächzen heraus: „Was?“
„Ja, Lars, wusstest du nicht, dass ich deinen Vater bei einem gleichgeschlechtlichen Date kennengelernt habe, das deine Mutter eingefädelt hat?“
Lisa lacht vergnügt. Das ist ihr offensichtlich auch neu.
„Wieso sollte meine Mutter so etwas getan haben?“
„Deine Mutter wollte, dass dein Vater glücklich wird. Nach neun vermasselten Dates mit Frauen, dachte sie sich, dass dein Vater die Dates mit Frauen vielleicht deshalb immer in den Sand setzt, weil er in Wirklichkeit auf Männer steht.“
Lisa grinst immer noch bis zu den Ohrläppchen.
Ich kann mir das alles nicht vorstellen. „Und wie lief das Date mit euch beiden ab?“
„Katastrophal. Deinem Vater wurde während unseres Treffens klar, dass er nicht auf Männer steht – aber auf Freundschaft. Er wünschte sich, dass wir zwei Freunde werden.“
Ich bleibe einsilbig. „Ohne Sex…“
„Ohne Sex. Ja, Lars.“
Ich bin erleichtert.
„Und dann hast du Hannah geheiratet?“ Lisa legt die Stirn in Falten und schaut jetzt ernst.
„Ich hatte etliche kurze Beziehungen mit Männern. Die waren alle sehr schmerzlich für mich. Die längste Beziehung hatte ich zu einem älteren Mann, der mich nach fünf Jahren gegen einen jüngeren Freund eingetauscht hat. Mir ging es viele Jahre ganz elend. Ich fühlte mich wie eine Ware auf dem Markt der Begierden. Von da an war ich unfähig, eine körperliche Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen. Ich fürchtete, für immer allein zu bleiben.“
Ich erkenne noch keine Verbindung zu Hannah. Die ganze Geschichte wirkt auf mich ganz bizarr. „Und wie ging es dann weiter?“
„Auf der Hochzeit deiner Eltern lernte ich Hannah kennen. Wir verstanden uns auf Anhieb. Ich spürte, dass gute Schwingungen von ihr ausgingen. Ich liebe, wie Hannah das Leben liebt. Sie schenkt mir eine Geborgenheit, die ich bei Männern immer gesucht aber nie gefunden habe.“
Lisa staunt. „Das ist ja ein Wahnsinnsschritt, den Hannah da auf dich zu gemacht hat.“ Lisa schaut wechselweise Hannah und Johannes an.
Hannah ergreift wieder das Wort. „Es war vor allem ein Wahnsinnsschritt, wenn man bedenkt, dass ich kurz davor war, als Diakonisse auf mein Altenteil nach Marburg ins Mutterhaus zu gehen. Das Mutterhaus und die Dienstgemeinschaft waren ja sozusagen meine Altersvorsorge. Ich bin sehr dankbar, dass die Dienstgemeinschaft eine Lösung für mich und meine Finanzen gefunden hat.“
Lisa zieht die Augenbrauen nach oben. „Und du kannst Johannes vertrauen, dass er nicht morgen mit einem Mann durchbrennt?“
Hannah nickt. „Da bin ich mir ganz sicher…“
Johannes sagt sehr leise „Ich hatte schon die Jahre vor Hannah keine sexuellen Kontakte mehr mit Männern, weil ich so an der Unverbindlichkeit und Kälte der Kontakte gelitten hatte. Ich litt darunter, nur eine Sahneschnitte für die schnelle Kaffeetafel zu sein.“
Lisa schüttelt den Kopf. „Es soll aber auch homosexuelle Partnerschaften geben, die gelingen.“
„Das habe ich nie kennengelernt. Ich kann ja nur für mich und meinen Erfahrungshorizont sprechen.“ Johannes beißt sich auf die Lippen.
Ganz unerschrocken bricht Lisa mal wieder ein Tabu und fragt, mit dem Zeigefinger abwechselnd auf Hannah und Johannes deutend „Und? Läuft da zwischen euch was?“
Hannah lächelt wieder und nickt. „Freundschaft. Liebe. Verbundenheit.“
Lisa lässt nicht locker. „Und Sex?“
Hannah räuspert sich und überlässt jetzt Johannes das Reden. „Ja. Das auch. Gewiss nicht so stürmisch wie zwischen euch beiden. Aber mit Leidenschaft und großer Ausdauer ist es auch bei uns möglich. Ich genieße es, mich bei Hannah ganz fallen lassen zu können.“
„Also ist es doch eine Mann-Frau-Sache zwischen euch, und nicht so ein Mutter-Sohn-Ding?“ Lisa bohrt und bohrt. Es wird mir schon echt unangenehm.
Doch Johannes bleibt sehr souverän und locker auch bei diesem Thema. „Wir lieben uns. Auf allen Ebenen.“
„Alle Achtung.“ Lisa nickt und knufft mich in die Seite, als sie merkt, dass mein Kopf bei diesem Thema rot wurde.