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Funktionshistologie

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„Lars, ich glaube, ich werde deine Hilfe für meine Forschung in der Anatomie benötigen.“

„Ja? Was kann ich für dich tun?“

„Meine Aufgabe ist es ja, aus der Verknüpfung der Zellverbände der Großhirnrinde abzuleiten, welches Bild die Sterbenden zuletzt gesehen haben. Ich habe schon jede Menge dreidimensional rekonstruierte Großhirnrinden aus meinen elektronenmikroskopischen Untersuchungen erstellt. Aber jetzt weiß ich gar nicht, wie es weitergehen soll.“

„Gibt es denn Fotografien von den Räumen, in denen deine Körperspender verstorben sind?“

„Nein.“

„Ja, das geht nicht. Wir werden nie herausfinden können, wie die Daten im Hirn verschlüsselt werden, wenn wir die Zellverbände nicht mit dem zuletzt gesehenen Bild der Verstorbenen vergleichen können.“

„Was soll ich tun?“

„Du musst in Erfahrung bringen, wo genau die Körperspender verstorben sind. Dann musst du an die Orte fahren und Fotos von den Räumen anfertigen.“

„Puh. Und wenn das nicht geht?“

„In diesem Fall wären die Großhirnrinden, die du schon rekonstruiert hast, für diese Untersuchung unbrauchbar.“

„Dann habe ich mir vielleicht viel Arbeit umsonst gemacht?“

„Tja. Also, erst einmal muss das Studiendesign stehen, wenn man sich unnötige Arbeit ersparen möchte.“

„Ich wollte, ich hätte dich früher befragt. Was empfiehlst du mir?“

„Ich empfehle, die Sterbezimmer zu der Tageszeit und mit den Lichtverhältnissen zu fotografieren, zu denen die Körperspender verstorben sind. Und dann vergleichen wir helle und dunkle Sterbeorte, um erst einmal im Ansatz herauszufinden, wie helle und dunkle Flächen im Hirn kodiert werden. Wenn wir das haben, dann suchen wir helle und dunkle Objekte innerhalb der Fotografien eines Sterbeortes und innerhalb des zugehörigen Hirns auf. Wir werden uns also anfänglich allein auf Schwarz-Weiß-Informationen beschränken, um zu beschreiben, wie Formen und Umrisse im Gehirn verschlüsselt werden.“

„Und Farben kommen später einmal.“

„Irgendwann. Ja.“

„Dann habe ich ja noch einen weiten Weg vor mir. Ich glaube, ohne einen Biomedizinischen Informatiker deines Formats könnte ich diese Arbeit nicht bewältigen. Aber Professor Jürgens hat mich schon beruhigt. Er hat gesagt, es sei auch Forschung, wenn man in einer Dissertation zeigen könnte, mit welchen Methoden man nicht zum Ziel kommt. Dann können sich nachfolgende Untersuchungen gezielt anderen Wegen widmen.“

„Da hat dein Doktorvater Recht, Lisa.“

„Glaubst du, ich werde jemals ein Bild aus den Zellverbänden der Großhirnrinde ableiten können?“

„Grob gerasterte Schwarz-Weiß-Bilder vielleicht schon. Für exaktere Farbbilder wird ein neues Studiendesign notwendig sein.“

„Wie würde das aussehen?“

„Man käme nicht drumherum, den Sterbenden eine Kamera anzulegen, die die letzten visuellen Wahrnehmungen aufzeichnet. Die Frage ist nur, wer das will.“

„Wir haben ja ausschließlich Körperspender, die sich der Wissenschaft verbunden fühlen.“

„Ja. Trotzdem ist doch der Tod ein sehr intimer und privater Moment. Wer will ihn schon auf solch technische Weise mit den Forschern und der Nachwelt teilen? Ich bin mir unsicher.“

„Denkst du manchmal an das Sterben?“

„Ja, Lisa. Mein Papa hatte ja schon Jahre vor seinem Sterben eine Nahtoderfahrung, die mich sehr bewegt hat, als er sie mir berichtete. Lange hatte Papa ja darüber geschwiegen und sich nicht getraut, mit anderen zu teilen, was er erlebt hatte. Er wollte vermeiden, dass andere denken, er sei ein Spinner. Über meinen Papa haben, solange er lebte, immer wieder viele Menschen gelacht. Für manche war er mehr so eine traurige Witzfigur.“

„Woher kam das?“

„Mein Papa war in einem Heim aufgewachsen. Seine Eltern hat er nie kennengelernt. Er hatte nie jemanden, der an ihn geglaubt hat. Niemand hat ihn gefördert. Und Freunde hatte er auch nicht, bis er Mama kennenlernte. Mit Mama fing Papas Leben noch einmal ganz neu an. Aus Papa wäre beruflich viel mehr als nur ein Versicherungsmathematiker geworden, wenn er gute Förderung erfahren hätte.“

„Glaubst du, Stephan war glücklich mit seinem Leben?“

„Ja. Papa hat das Beste aus allem gemacht. Und das Beste war, Mama kennenzulernen und mich als Sohn zu bekommen. Und seine Nahtoderfahrung hat auch noch einmal sein Leben umgekrempelt.“

„Stephan war damals bei Hannah und Johannes in Heidelberg und hat sich alles zum Glauben erklären lassen, nicht wahr, Lars?“

„Ja. Und seither ist es in unserer Familie üblich, tiefgehende Fragen und Lebenszweifel mit Hannah und Johannes zu besprechen.“

„Als ehemalige Diakonisse ist Hannah dazu ja auch bestens geeignet. Mein Vater sagt immer, dass Hannah das Diakonissenkrankenhaus früher echt vorangebracht hat.“

Ich nicke. „Wir haben damals unser Krisengespräch mit Hannah und Johannes nicht zu Ende gebracht.“

„Hannah und Johannes haben sich darauf beschränkt, für uns zu beten, anstatt uns Lebenstipps mit auf den Weg zu geben.“

„Ja. Das haben sie. Wollen wir die beiden in Heidelberg besuchen gehen? Sie müssen wissen, dass zwischen uns alles gut ist.“

Lisa lacht herzlich „Ja, Lars. Das ist für die zwei eine Gebetserhörung. Da sollten sie auch eine Rückmeldung bekommen. Das wird die beiden auch ermutigen. Ihre Gebete waren nicht umsonst.“

„Ich werde ihnen einen Call senden. Und dann besuchen wir sie.“ Ich tippe auf das Holokrypt-Tattoo an meinem Handgelenk. Ich habe sofort eine Verbindung mit Johannes. Wir dürfen sie am Wochenende besuchen gehen. Perfekt.

The Fulfillment

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