Читать книгу Silas - Rebecca Vonzun - Страница 14
Eine ungewöhnliche Warnung
ОглавлениеSeit dem Besuch im Krankenhaus konnte Silas nicht mehr schlafen. Er hatte Alpträume, erwachte mitten in der Nacht schweissgebadet und doch frierend. Stets sah er seine Freunde vor sich, so schwach, dünn und in bläulichem Licht in den grossen Krankenhausbetten mit den Schläuchen und Maschinen. Das Piepsen der Geräte erklang Tag und Nacht in seinem Kopf wie ein Echo und machte ihn ganz wirr. Das Ganze war unerträglich. Seine Freunde kämpften mit dem Tod und er lebte ein normales Leben, ass, trank, ging zur Schule und konnte nichts tun um ihnen zu helfen. Die nächtlichen Träume erschöpften ihn, liessen ihn schwach und unkonzentriert werden. Wegen Kleinigkeiten musste er plötzlich gegen Tränen ankämpfen. Etwa als der Sieber in der Mathestunde mal wieder auf ihm rumgehackt hatte. Weil er gerade aus dem Fenster gesehen und an den Virus im DarkChicken gedacht hatte. Am Vorabend hatten sie in der Tagesschau gemeldet, dass mittlerweile alle ChickenMcKing-Filialen der Stadt zwangsgeschlossen worden waren. Im ganzen Land war immer noch keine einzige lebendige Person aufzuspüren, welche für ChickenMcKing verantwortlich war. Nicht einmal die Angestellten und Verkäufer waren auffindbar, als wären alle wie vom Erdboden verschluckt. Nachdem niemand auf die Forderung, den DarkChicken aus dem Verkehr zu ziehen, reagiert hatte, hatte man kurzerhand die Türen und Fenster der Läden geschlossen und mit dicken Brettern verriegelt. Die Polizei hatte Plastikbänder auf alle Türen und Fenster geklebt. VERSCHLUSSVERSIEGELUNG stand da drauf. Das bedeutete, dass niemand ohne die Erlaubnis der Polizei die Türe öffnen durfte. Das hatte Dad ihm erklärt. Und wenn jemand trotzdem versuchte, ins Gebäude einzudringen, sah man das dann sofort, weil das Band zerrissen war.
Zudem konnten die Forscher und Ärzte das gefundene Virus im Fleisch vom DarkChicken immer noch nicht identifizieren. Keiner hatte jemals so ein Virus gesehen und es war deshalb auch noch kein Gegenmittel gefunden worden. Die Forscher, welche im Fernsehen gezeigt wurden, sahen immer ganz erschöpft und müde aus mit roten Augen und zerknitterter Kleidung. So als ob sie Tag und Nacht nur forschen würden, um die Opfer retten zu können. Silas hatten sie leidgetan und gleichzeitig verspürte er den Drang, ihnen laut zuzurufen: Forscht schneller! Rettet meine Freunde, nun macht schon!
Darüber hatte er also gerade nachgedacht und Herr Sieber war wieder ganz gemein zu ihm geworden, als er nicht auf eine Frage antworten konnte. Und da musste er ganz plötzlich weinen, mitten in der Klasse vor allen anderen. Erstaunlicherweise hatte der Sieber sofort aufgehört mit seinen Sprüchen. Und noch verblüffender war, dass von den anderen niemand gelacht hatte. Alle hatten nur betroffen auf ihre Pulte gestarrt.
Das passierte ihm jetzt ständig, auch, als er gestern zu spät gekommen war oder als Mom ungeduldig geworden war, weil er die Schmutzsocken nicht in den Wäschekorb versorgt hatte. Immerzu musste er ganz plötzlich weinen. Das nervte gewaltig. Aber er konnte einfach nichts dagegen tun.
Und Silas wollte irgendetwas tun. Er konnte nicht einfach nur abwarten und weinen und zuschauen, wie alles den Bach runterging. Damit half er niemandem weiter. Zudem nahm es ihn gewaltig wunder, ob nicht vielleicht im ChickenMcKing eine Spur zu finden wäre. Die Polizei hatte alles einfach abgeriegelt aber niemals die Innenräume so richtig untersucht. Das wunderte Silas. Schliesslich würde er, wäre er Polizist, dies als allererstes tun.
***
Die nächsten Tage regnete es sozusagen pausenlos. Von den nahenden Sommerferien war nichts spürbar, vom dazugehörenden Sommerwetter noch weniger.
Silas hatte schlechte Laune. Er hatte letzte Nacht mal wieder wenig geschlafen und nach der Schule tonnenweise komplizierte Matheaufgaben erledigen müssen. Zu allem Übel hatte es zum Abendessen Reis mit Erbsen gegeben. Wenn er etwas nicht ausstehen konnte, waren es Erbsen. Und als er damit begonnen hatte, sie aus den Reiskörnern raus zu lesen, hatte ihm Dad einen seiner Vorträge über hungernde Kinder in Afrika gehalten. Silas hätte liebend gern die Bäuche sämtlicher hungernder Kinder mit Erbsen gefüllt. Doch leider lagen sie auf seinem Teller. Dies hatte er Dad geduldig zu erklären versucht. Dieser war jedoch unglücklicherweise nicht in Stimmung für eine solche Diskussion gewesen und so hatte der Abend mal wieder mit Tränen und Türeknallen geendet.
Silas seufzte. Er war einerseits todmüde, andererseits konnte er jetzt einfach noch nicht schlafen gehen. Es war gerade mal sieben Uhr und draussen war es trotz des Regenwetters und den schwarzen Wolken noch nicht annähernd dunkel. Er drückte auf den Schaltknopf seines Computers und wartete vor dem dunklen Bildschirm bis dieser aufgestartet war. Dann gab er sein Kennwort ein. Silas hatte vor, sich mit King of Dragons etwas abzulenken und abzureagieren. Er spürte noch immer die Wut über seinen Vater im Bauch. Zudem wusste er genau, dass er, würde er sich jetzt ins Bett legen, nur wieder endlos über ChickenMcKing nachdenken würde. In den letzten Tagen war in ihm immer mehr der Wunsch entstanden, selbst im geschlossenen Laden in der Hollowstreet vorbeizuschauen. Vielleicht hatte die Polizei ja ein Fenster oder einen Spalt vergessen abzuriegeln. Dann könnte er sich da mal ein bisschen umsehen… Aber seit der Sache mit seinen Freunden überwachte ihn Mom geradezu übertrieben. Ständig fuhr sie ihn mit dem Auto zur Schule und holte ihn wieder ab. Und danach musste er Hausaufgaben machen oder vertrieb sich die Zeit am Computer oder mit einem Buch. Er seufzte erneut. Ein Pling riss ihn aus den Gedanken. Er wandte seinen Blick, welcher bei seinen Überlegungen aus dem Fenster gewandert war, wieder dem Bildschirm zu. Der Cursor zeigte an, dass der PC noch am Laden war. Mit dem Finger auf der Maus wartete Silas ungeduldig darauf, dass das Symbol seines Computerspiels auf der Startseite erschien. Da war es endlich. Gerade wollte er es anklicken, als der Bildschirm plötzlich wieder dunkel wurde. Im Stillen verfluchte er seinen alten PC, zu gerne hätte er das neue Modell besessen, mit welchem sie bei Jonas immer spielten und welches so viel schneller lief! Er hieb auf einige Tasten und dauerklickte mit der Maus in der Hoffnung, es gehe dann vielleicht schneller. Stattdessen blieb es schwarz. Selbst der Cursor war jetzt verschwunden. Silas lag schon ein Kacke, verflixt auf den Lippen, als sich auf einmal etwas veränderte. Buchstabe für Buchstabe tauchte vor der Schwärze auf, es bildete sich ein Wort, dann mehrere.
KÜMMERE DICH UM DEINE ANGELEGENHEITEN| stand da in roter Schrift mitten auf dem Bildschirm. Am Ende des Satzes blinkte der Cursor. Atemlos starrte Silas auf seinen Computer. Vielleicht eine besonders ausgefallene Werbung für ein neues Game? Cool… das musste er ha… -
Die Buchstaben zerfielen vor seinen Augen zu Staub und regneten unten aus dem Bildschirmrand. Zugleich bildeten sich oben neue.
DIES IST EINE WARNUNG, MENSCHENKIND!| Das Ausrufezeichen stand da besonders gross und leuchtete Silas entgegen. Er schluckte. Nach Werbung sah das irgendwie nicht mehr aus. Vielleicht ein Virus?
Wieder zerfielen die Buchstaben und rieselten weg wie feine Sandkörner.
LASS DIE FINGER DAVON, SONST ENDEST DU WIE DEINE FREUNDE, SILAS…| Silas atmete scharf ein. Das war kein Virus. Vor Aufregung zitterte er.
DU WIRST ES BEREUEN, SILAS, WAGE ES NICHT…|Plötzlich hatte Silas furchtbare Angst. Er realisierte, dass der Computer – oder jemand durch den Computer – mit ihm sprach, ihn scheinbar kannte… Schnell drückte er auf den Ausschaltknopf. Doch die Zeilen verschwanden nicht. Silas hechtete hinter den Schreibtisch und zog fieberhaft den Stecker aus der Dose. Sein PC lief weiter. Die Buchstaben auf dem Bildschirm zerfielen ein letztes Mal zu Staub, während aus den Lautsprechern ein unheimliches Geräusch, ähnlich jenem unheimlichen Lachen in der Werbung vom DarkChicken, ertönte und allmählich verklang. Daraufhin wurde der Bildschirm schwarz. Hätte Silas es nicht am eigenen Leib erfahren, hätte er geschworen, es sei nie passiert.
Silas zitterte noch immer wie Espenlaub. Das Echo des unheimlichen Lachens klang in ihm nach und verursachte ihm Gänsehaut. Was auch immer das zu bedeuten hatte, eines war glasklar: Mit seinem Plan, dem ChickenMcKing mal einen Besuch abzustatten, lag er goldrichtig. Wieso nähme sich sonst jemand die Mühe, ihn auf diese Weise einzuschüchtern.
Silas stellte kurzentschlossen seinen Wecker auf 00:30h und legte Regenhose und -jacke sowie seine neuen Turnschuhe mit dem guten Profil bereit. Daneben legte er die Taschenlampe, einen grossen Schraubenzieher und seine Skihandschuhe. Er überprüfte nochmals die Batterien und legte sich dann mitsamt Jeans und T-Shirt ins Bett, schloss die Augen und schlief fast auf der Stelle ein.