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Silas
ОглавлениеSilas starrte an seine Zimmerdecke. Mit einem lauten Seufzer musterte er nun bestimmt schon zum etwa dreissigsten Mal den im schwachen Licht der Strassenlaternen nur noch schwach erkennbaren birnenförmigen Fleck an der gemusterten Holzdecke, dort, wo früher wohl mal ein Ast aus dem Holz gewachsen sein musste. Wenn er die Augen zusammenkniff, hatte der Fleck ein bisschen die Form von einem Hasen... oder, wenn er den Kopf nach links drehte, von einer Schildkröte.
Das Leben war einfach nicht fair! Das war nun ein für alle Mal eindeutig klar. Eigentlich hatte er das ja schon vorher geahnt... oder eigentlich sogar gewusst. Doch nun... wieder seufzte er. Warum konnte er nicht einfach in einer normalen Familie leben... so wie Jan vielleicht oder Kevin? Obwohl... Jans grosser Bruder war letzten Montag ziemlich gemein zu Jan gewesen, hatte ihm einfach das Pausenbrot weggegessen, währenddem all seine Kumpels laut gelacht hatten. Und das in der grossen Pause, wo doch die ganze Schule rundherum gestanden war und alles haargenau mitbekommen hatte! Sogar die Mädchen aus der Fünften hatten da gestanden und gekichert, als Jason ihm das Pausenbrot mit einem höhnischen Grinsen und einem triumphierenden Blick in alle Richtungen aus den Händen genommen und sich in den Mund gesteckt hatte. Jan hatte ganz merkwürdige Augen bekommen… ein bisschen so, als ob er gleich losheulen würde. Und bei Kevin lief momentan zu Hause auch nicht alles so rund. Silas hatte Kevins Vater mit einer ganz jungen Frau in der Stadt gesehen, als er mit Mom einkaufen gewesen war. Er hatte sie so seltsam festgehalten, so wie die verliebten Leute im Fernsehen das immer taten. Die Frau hatte sogar ein bisschen so ausgesehen, als käme sie aus dem Fernsehen, ein bisschen so wie die Wetterfrau mit den hohen Schuhen. Silas hatte Kevin noch nicht zu fragen getraut, aber wenn er genau überlegte, hatte Kevin in den letzten Tagen schon ein bisschen traurig ausgeschaut. Und als er ihn vorgestern zum Playstation spielen einladen wollte, hatte er keine Lust gehabt... was sonst noch nie vorgekommen war! Silas ballte die Fäuste und nahm sich vor, Kevin morgen zu fragen. Vielleicht brauchte sein Freund jemanden, der ihm zuhörte!
Wenn Silas ehrlich war, war er froh, weder an Jans noch an Kevins Stelle zu sein. Ja, wenn er ganz ehrlich war – und das konnte er ja so alleine in seinem Zimmer gut sein – war er eigentlich ganz dankbar für seine Familie. Aber das war ja genau der Punkt! Schon wieder musste er seufzen. Wieso musste auch alles so unfair sein! Er hatte weder einen älteren, noch einen jüngeren Bruder – oder noch schlimmer... Schwester – die ihn nerven könnten. Und seine Mom und sein Dad kamen auch immer noch gut miteinander aus, auch wenn sie sich manchmal anschrien. Eigentlich wäre also alles gut… aber es war trotzdem so schrecklich ungerecht!
„Silas! Essen ist fertig... kannst du bitte den Tisch decken?“
Silas kniff seine Augen ganz fest zu und drückte sich sein Federkissen auf den Kopf, in der Hoffnung, so nichts mehr hören zu können. Oder vielleicht unsichtbar zu werden. So wie Powerman heute Nachmittag im Fernsehen.
Doch falsch gehofft.
„Silas Sam Winter!! Ich wäre wirklich froh, wenn du mir jetzt schnell helfen könntest! Bitte!“ Die Stimme von Mom hörte sich bereits viel weniger geduldig an als noch vor einer Minute. Und wenn sie ihn so nannte, war das nie ein gutes Zeichen. Silas drehte sich zur Wand und kniff die Augen noch fester zusammen. Das Kissen auf den Ohren (sie surrten bereits ein bisschen), hoffte er, einfach einzuschlafen. Oder vielleicht zu sterben. Das wäre noch besser.
„SIIIIIILAAAAAAAS!!!!“
Verflixt. So konnte kein Mensch einschlafen. Geschweige denn sterben. Nicht einmal mit einem noch so dicken Kissen auf den Ohren.
Mühsam und mit einem lauten Stöhnen rappelte er sich auf und schlurfte zur Tür. Umständlich drehte er den Schlüssel im Schloss um – einmal... zweimal. Mit rollenden Augen tappte er die Treppenstufen runter und seufzte, als er in der Küche ankam, noch einmal extra laut. Doch völlig umsonst. Während seine Mom sich die nassen Hände an ihrer Schürze abwischte, huschte sie zwischen zischenden und brodelnden Töpfen hin und her und ein verführerischer Duft nach Chili con Carne stieg ihm in die Nase. Silas’ Magen knurrte laut. Kein Wunder, schliesslich hatte er am Mittag fast nichts gegessen! Zwischen einmal umrühren und einigen Kräutern in die Pfanne werfen, drückte ihm Mom schnell drei Teller und Servietten in die Hand, ohne Silas' mürrische Miene auch nur eines Blickes zu würdigen. Silas knallte die Teller auf den langen Esstisch im Wohnzimmer. Ohne sich die Mühe zu machen, irgendetwas davon auf dem Tisch zu verteilen, warf er sich schmollend auf seinen Stuhl. Er sah demonstrativ aus dem Fenster auf die vom Regen nasse Strasse auf welcher sich in der beginnenden Dämmerung die Strassenlaternen spiegelten und wippte mit den Füssen.
„Silas, nun reiss dich doch bitte mal ein bisschen zusammen! In zehn Minuten ist dein Vater hier und wir wollen essen! Welche Laus ist dir eigentlich über die Leber gelaufen?!“
Silas ignorierte sie. Sie wusste ganz genau, was los war. Und tat einfach so, als ob alles in Ordnung wäre. Das machte ihn ganz fürchterlich wütend.
„Hab keinen Hunger, Mist, Scheisse, Kacke!“, stiess er heraus, erhob sich etwas zu ungestüm – der Stuhl wackelte einen Moment lang gefährlich, bevor er auf den Boden zurückkrachte. Seine Mom konnte es nicht leiden, wenn er fluchte. Und wenn er die Möbel misshandelte. Er gab dem Stuhl einen extra Stoss und knallte zur Sicherheit nochmals das Besteck auf den Tisch. Aus den Augenwinkeln versuchte er zu erspähen ob seine Anstrengungen auch die gewünschte Wirkung zeigten. Doch Mom stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Herd und schien gerade etwas anzubraten oder so. Auf jeden Fall zischte und dampfte es laut und Mom rührte in irgendeiner Pfanne, summte vor sich hin und schien gar nicht mitbekommen zu haben, was da draussen vor sich ging. Silas ballte die Fäuste. Es war obergemein! Die Erwachsenen taten immer so wichtig und als ob sie über die Kinder befehlen könnten. Als ob sie schlauer wären oder so. Vor lauter Zorn traten ihm Tränen in die Augen. Niemand nahm ihn ernst! Er verliess das Esszimmer mit stampfenden Schritten. Er drückte beide Fäuste fest auf die Augen und versuchte so, seine Tränen zurückzudrängen. Ein Viertklässler weinte nicht. Schon gar nicht wegen so was! Das wäre ja, als ob er verloren hätte! Sein Magen knurrte. Es roch himmlisch und er hatte einen solchen Hunger, dass er problemlos ein Nilpferd hätte verschlingen können. Doch er würde ganz bestimmt nichts essen. Nicht heute Abend. Vielleicht auch morgen nicht. Vielleicht – ja, vielleicht würde er gar nie mehr etwas essen und langsam immer dünner werden, bis er nur noch ein Klappergerüst war und starb. Das hätten sie dann davon, jawohl! Silas warf sich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Er stellte auf extra laut und tat so, als ob er nicht hören würde, wie die Wohnungstür ging und sein Dad zu Mom in die Küche trat.
„Hmm, das riecht ja wieder fantastisch…“ Dad beugte sich herunter, um seine Mom auf den Mund zu küssen (igitt!) und betrat dann das Wohnzimmer. Silas starrte in den Fernseher, wo gerade eine Werbung für Unkrautdünger lief. Er tat so, als ob es äusserst interessant wäre.
„Na, Sohnemann, alles klar?“ Dad wollte ihn abklatschen doch Silas ignorierte ihn und widmete sich konzentriert dem Dünger.
„Was ist denn los, Kleiner? Du bist doch wohl nicht immer noch sauer wegen der Sache heute Mittag?“ Er grinste und tätschelte ihm den weizenblonden Wuschelkopf. Silas wich ihm aus. Er war doch kein Baby.
„Na komm, es gibt Abendessen. Du könntest schnell den Tisch decken, ich muss mir noch die Hände waschen!“ Dad drückte auf den Off-Knopf und verliess pfeifend das Wohnzimmer in Richtung Bad.
Silas wollte am liebsten explodieren. Er schnappte sich die Fernbedienung und stellte wieder auf On. Mittlerweile lief eine Werbung für eine Versicherung. Na toll. Die konnten ihn doch alle mal.