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Verschmähte Verständigung

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Während der Regierungszeit Yitzhak Rabins empörten sich palästinensische Beobachter über eine „halsbrecherische Geschwindigkeit“ (Khalil Tufakji) beim Siedlungsbau. Baraks Berater Gil’ad Sher zeigte sich überrascht, dass die Palästinenser zur „giftigen Aufstachelung gegen Israel, die Juden und den Zionismus“ griffn, wo doch der „Friedensprozess“ richtig sei. Dabei räumte Sher ein, die „lebenswichtigen Interessen“ Israels würden „nicht zwingend mit der Landkarte militärischer Bedürfnisse übereinstimmen“. Für Arafats Chefunterhändler Achmed Qureia („Abu Ala“) stand dennoch fest, dass der wirtschaftliche Fortschritt die Palästinenser vom Frieden überzeugen werde. Auch Hanan Ashrawi, Sprecherin der palästinensischen Gruppe bei der Madrider Friedenskonferenz im Herbst 1991 in Madrid, vertraute auf den Anbruch der Staatlichkeit.

Unter palästinensischen Intellektuellen jedoch hinterließ „Oslo I“ den Nachgeschmack der nationalen Schmach. Der in eine reiche christliche Familie in Jerusalem geborene Edward W. Said (1935 bis 2003), dessen Familie die Stadt 1948 in Richtung Kairo verlassen hatte, verurteilte das Dokument als Modell für eine „Kleinstadt-Regierung“, als ein „palästinensisches Versailles“, als eine „arabische Kapitulation“ und als einen „bösen Traum“ und kürte den 163 Zentimeter großen Arafat „zum unattraktivsten und moralisch abstoßendsten Mann auf Erden“. Said befürchtete: „Wenn wir endlich aufwachen, wird nur noch sehr wenig vom Land Palästina übrig sein“, und verlangte „eine Vision, die den so oft missbrauchten Geist über die schäbige Gegenwart erhebt“. Der Dichter Machmud Darwish (1941 – 2008), geboren in einem Dorf im Norden Palästinas, sah einen gefährlichen Cocktail à la Libanon voraus. „Das Kamel bekam Wehen und gebar eine Ratte“, lautete der Kernsatz einer „Hamas“-Erklärung. Für ihren Chef Sheikh Achmed Yassin (1935 – 2004) war jede „Versöhnung mit den Juden ein Verbrechen“. Loren D. Lybarger zitierte eine junge Palästinenserin mit den Worten „Der Kampf ist der Weg Gottes“ („Al-Djihad fi Sabil Illah“). Die Geringschätzung des Islams sei die Wurzel der palästinensischen Schwäche und ihres Leidens, ließ Lybarger einen Gesprächspartner zu Wort kommen: Wären wir wahre Muslime gewesen, wären wir mächtig genug gewesen, Israel zu verderben.

Die palästinensische Führung und allen voran Arafat waren am Kleingedruckten kaum interessiert, während die israelische Delegation regelmäßig jedes Wort und jede Formel zweimal umdrehte, bevor sie zustimmte. Der revolutionäre Elan wich palästinensischen Monologen über die ihnen angetane Ungerechtigkeit. Denn Behauptungen, dass der Bereinigung des Brandherdes keine prinzipiellen Hürden mehr entgegenstehen, erwiesen sich als haltlos. In der arabischen Nachbarschaft blieb das Echo auf die palästinensische Verzweiflung schwach. Deshalb brachte ein im Ausland lebender syrischer Schriftsteller im Oktober 1995 seine Ablehnung einer Normalisierung in die Verse in dem Reim „Die Eiligen“ unter:

„Wer mag die Herrscher zum Frieden der Feiglinge befragen, zum Frieden des Verkaufs der Renditen und den Einkauf auf Raten, zum Frieden der Händler und der Ausbeuter? Wer mag sie fragen zum Frieden der Toten? Sie haben die Straßen zum Schweigen gebracht und alle Fragen ermordet und jene, die gefragt haben.“

Da allen Parteien die Reife für den Frieden fehlte, setzten sich seine Gegner rasch in Szene. „Politiken der Provokationen“ (Gadi Wolfsfeld) des wenige tausend Personen umfassenden harten jüdischen Siedlerkerns stützten sich auf zahlreiche Knesset-Abgeordnete. Moshe Arens, außer Peres der einzige Zivilist im Amt eines Verteidigungsministers zwischen 1988 und 1990, bezeichnete „Oslo“ als einen „erbärmlichen Fehler“. Rabins Amtsvorgänger, der 1935 aus Polen eingewanderte Yitzhak Shamir (1915 – 2012), forderte dazu auf, die „Regierung der Vernichtung“ davonzujagen. Einen Tag vor der Zeremonie in Washington wurden drei israelische Soldaten von einer „Hamas“-Brigade getötet. Am 24. Februar 1994, am Vorabend von „Purim“, ermordete der Arzt Baruch Goldstein, ein Schüler des 1971 aus New York eingewanderten extremistischen Rabbiners Meir Kahane (1932 – 1990), gekleidet in eine Militäruniform, in einem Akt der „totalen Hingabe“ („Mesirút Ha-Néfesh“) 29 Palästinenser in der Ibrahim-Moschee in Hebron („Al-Khalil“); der Politologe Ehud Sprinzak hat den Mord als „Ausdruck des Messianismus in der Krise“ zur Abwehr der Prinzipienerklärung gedeutet. Dass Rabin vier Tage später vor der Knesset seine Abscheu äußerte

„Zu ihm [Goldstein] und zu jenen wie ihm sagen wir: Ihr seid kein Teil der Gemeinschaft Israels. Ihr seid kein Teil des nationalen demokratischen Lagers, zu dem wir alle in diesem Hause gehören, und viele Menschen verachten euch. Ihr seid keine Partner des zionistischen Unternehmens. Ihr seid bloß Unkraut. Das vernünftige Judentum speit euch aus. Ihr stellt euch außerhalb der Mauer des jüdischen Gesetzes. Ihr seid eine Schande für den Zionismus und eine Schande für das Judentum“,

löste kein Umdenken aus. Die Evakuierung der Siedler aus der Stadt entfiel, Rabin zögerte entgegen vertrauten Ratschlägen. Dafür wurden am 18. Juli 1994 bei einem Anschlag, für den die „Hisbollah“ – Kopf der „ewig Unterprivilegierten“ Libanons, wie Thomas L. Friedman sie genannt hat – verantwortlich gemacht wurde, auf ein jüdisches Sozialwerk in Buenos Aires 85 Menschen ermordet. Am 19. Oktober kamen in Tel Aviv 22 Israelis durch die „Brigade der Märtyrer Abd‘ Al-Din Qassem27“ ums Leben. Am 22. Januar 1995 starben bei einem Anschlag in Bet Lid, gelegen zwischen Tulkarem und Nablus, durch den „Islamischen Djihad“ („Djihad Al-Islami“) 22 israelische Soldaten.

Um seine ins Chaotische abgleitende Planungs- und Handlungsschwäche zu vertuschen, entschied Arafat mit dem Bescheid vom 20. Mai 1994, die Souveränität Jordaniens wieder ins Spiel zu bringen, nachdem König Hussein (1935 – 1999) – der „ehrenwerte Feind“ mit seiner „sehr geregelte[n] Diktatur, ein sehr netter Polizeistaat“ (Uri Avnery), ein „Amateur-König“ (Shimon Peres) – im Juli 1988 die Westbank preisgegeben hatte. Mit dem Verzicht leistete er den Palästinensern einen Bärendienst. Mit Arafats Anordnung sollten „alle Gesetze, Vorschriften und Anordnungen, die vor dem 05. Juni 1967 in der Westbank und im Gazastreifen galten, bis zur Vereinigung [beider Territorien] in Kraft bleiben“. Zur Bekräftigung seiner bescheidenen Expertise forderte er, dem Unmut über seine Sprunghaftigkeit neue Nahrung gebend, von Israel neue Verhandlungen, auf die er faktisch schwerlich vorbereitet war. Zum anderen ermutigte er den Einsatz von Gewalt, wenn Verhandlungen zu misslingen drohten, und ließ Täter gewähren, um sich im Nachhinein auf äußeren Druck hin zu distanzieren, damit er als „Partner“ ernst genommen würde.

26 Israels aschkenasischer Oberrabbiner Shlomo Goren 1988.

27 Iz Abd‘ Al-Din Mustafa Yussuf Qassem wurde 1882 in Damaskus geboren. Als charismatisch veranlagter Agitator gewann er aufgrund seiner Gegnerschaft gegen die korrupte palästinensische Führung große Sympathien unter der arabischen Bevölkerung Palästinas, wo er Brigaden auf dem über Haifa gelegenen Carmel ausbildete. Amin Al-Husseini versuchte Qassem zum „Djihad“ gegen Briten und Juden zu bewegen. Qassem wurde nach einer Verfolgungsjagd von britischen Soldaten getötet.

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