Читать книгу Terras kosmische Bestimmung: SF Abenteuer Paket - Reinhard Köhrer - Страница 6
Das Meer der Finsternis Alfred Bekker
ОглавлениеDa war nichts, außer einem unergründlichen Meer aus Dunkelheit. Kein Gefühl, kein Licht, kein Geräusch. Nicht einmal so etwas wie ein Gedanke. Er hing im Nirgendwo, ohne sagen zu können, was vorher war oder später einmal sein würde, ohne zu wissen wer er war... Ohne überhaupt etwas zu wissen. Sein Bewußtsein war dumpf und voller Furcht, die er nicht zu erklären vermochte. Es war finsterste Nacht um ihn herum und er hatte das Gefühl, zu schweben, zu schwimmen, zu taumeln, sich zu drehen. Und zu fallen. Es herrschte eine abgrundtiefe Furcht in ihm, die alles regierte. Diese Furcht schien das Hauptelement seines verschwommenen Ichs zu sein. Eine Furcht, die nicht durch die alles umgebende Finsternis verursacht war, sondern durch ihr Gegentetl, der brennenden Flut greller Bilder. Langsam kam er hinauf zur Oberfläche seines Bewußtseins. Es wurde heller, aber alles war nach verschwommen und unklar. Es war so viel Licht, daß da plötzlich von allen Seiten auf ihn zuströmte, daß es kaum auszuhalten war. Konturen zeichneten sich ab. Manche waren ihm bekannt, andere nicht. Ständig gewann alles um ihn herum an Klarheit und Schärfe bis es weh zu tun begann. Er hörte jetzt auch Geräusche, so viele unklare, scheinbar zusammenhanglose Stimmen und Laute, deren Intensität in stetigem Zunehmen begriffen war und schließlich ohrenbetäubend wurde. Das alles war ihm auf furchtbare Weise vertraut und schmerzte. Es schien ihm, als müßten seine sämtlichen Nervenenden längst von diesem Feuerwerk verbrannt sein. Die Furcht ergriff ihn wieder mit ihren eisernen Klauen, ließ ihn augenblicklich zurückfahren und wieder untertauchen. Tief, immer tiefer, immer weiter weg von der Oberfläche, immer weiter weg von der Oberfläche und dem Licht und den Bildern und Stimmen... Es war wieder dunkel um ihn. Und stille.
***
Ein Strand, ein Meer und ein Himmel, der vom konkurrierenden Zwielicht einer Doppelsonne beherrscht wurde. Weit draußen brachen sich die Wellen, die Luft war erfüllt vom Geruch nach Salz und anderen Dingen, die undefinierbar waren. Später wußte er, daß dieser Strand auf dem vierten Planeten des Sebuan-Systems lag, aber damals war er kaum älter als zweieinhalb Standardjahre und gerade aus dem Nebel der Unbewußtheit erwacht.
***
Er saß dumpf und reglos in seinem computergesteuerten Rollstuhl und blickte leer auf den endlos scheinenden Ozean von Rigel III (Trivialname: Asimov - nach einem altterranischen Schriftsteller). Salz lag in der Luft und man konnte sehen und hören, wie sich die Wellen an der steinigen Küste von Morrow Island brachen. Der apathische Patient wurde von Larus den betonierten Weg entlanggeschoben. Larus tat das nicht aus unmittelbarer Notwendigkeit heraus, denn erstens hätte er auch dem Computer die Fortbewegung des kleinen Gefährts überlassen können und zweitens fiel diese Art der Betreuung auch überhaupt nicht in den Bereich seiner Pflichten. Sein elektronischer Kofferpsychiater hatte ihm den Grund verraten - und im Grunde seines Herzens hatte er ihn immer gewußt. Der Patient wandte nicht den Kopf, als die Strahlen der Sonne, um die Asimov seine Bahn zog, ihm ins Gesicht schienen. Er reagierte nicht auf seine Umwelt. Vielleicht konnte er es nicht, vielleicht wollte er es auch gar nicht. Larus empfand eine tiefe Schuld gegenüber diesem pflanzenhaften Wesen.
Es ist unverantwortlich gewesen, das Experiment durchzuführen! dachte Larus zum hundertsten Mal. Wir hätten es nicht tun dürfen! Das Risiko war viel zu groß!
Larus hatte von Anfang an Bedenken gehabt und diese auch geäußert. Die wissenschaftlichen Grundlagen waren lückenhaft und unzureichend gewesen, die Versuche an Tieren hatten nicht den erwünschten Durchbruch gebracht. Aber es war dennoch geschehen und obwohl es Malejew gewesen war, der das letzte Wort gehabt hatte, konnte sich Larus eines unguten Gefühls nicht erwehren.
Du bist nur ein kleines unbedeutendes Rädchen in der Hierarchie des Cartani-Konzerns! versuchte er sich stets einzureden. Er war zwar wissenschaftlicher Leiter des Forschungscamps, aber das hörte sich nach mehr an, als es in Wirklichkeit war. Malejew war der Bevollmächtigte des Cartani-Konzerns für dieses Projekt, aber kein Wissenschaftler. Und allein schon in dieser Befehlshierarchie manifestierte sich etwas, das Larus während seiner Arbeit gerne vergaß: Die Tatsache nämlich, daß es auf Morrow nicht in erster Linie um einen Dienst an der Wissenschaft ging, sondern darum, eine Möglichkeit zu schaffen, die Bevölkerung eines Planeten absolut kontrollieren und beobachten zu können. Natürlich würde man als Nebenprodukt tiefe Einblicke in die Natur der menschlichen Wahrnehmung und des bisher kaum ausgeloteten Konflikts zwischen subjektiver und objektiver Realität erhalten. Außerdem - wer hätte das mit Sicherheit ausschließen mögen? - bestand die Möglichkeit, daß durch ein Gelingen der Symbiose zwischen menschlichem Gehirn und gentechnologisch gezüchteten Plasmawesen ein Schritt nach vorn in der evolutionären Entwicklung des Menschen geschähe: Ein mit der Gabe der objektiveren (weil umfassenderen) Wahrnehmung ausgestatteter Übermensch. Larus hatte sich trotz des unübersehbaren und in seinen Augen zurmindest fragwürdigen Hauptzwecks des Projektes, der Faszination, die im Allgemeinen von dieser Arbeit ausging, nicht entziehen können. Es war etwas Großes, Bedeutsames an dem er mitarbeitete; etwas, das einen besessen machen konnte und dem irgendwo auch etwas Gefährliches, Abgründiges innewohnte. Das erste Opfer gab es bereits zu beklagen: Es hieß Jesper Greene und war statt zum Übermenschen zu einer Pflanze geworden. Es schien wie ein überaus zynischer Witz, den sich die Plasmawesen ausgedacht hatten, um alle, die auf der Morrow-Insel arbeiteten der Lächerlichkeit preiszugeben. Armer Greene! Aber war er nicht ohnehin auf dem besten Weg in den Wahnsinn gewesen?
Laß deine kläglichen Versuche, dich zu rechtfertigen und zu entschuldigen! wies Larus sich selbst zurecht. Es git keinerlei Anlaß, deinen Anteil an Greenes Untergang zu relativieren!
***
Diese tägliche Ausfahrt des Patienten empfand Larus als sehr deprimierend. Er fragte sich, wie es Dr. Lemieux und all den anderen (aber vor allen Dingen Malejew) gelang, so zu tun, als hätten sie mit dem Schicksal Greenes nichts zu tun, ja, als hätte er nie auf ihrem Operationstisch gelegen und als hätten sie ihn nie als ihr Versuchskaninchen benutzt. Er konnte nicht verstehen, weshalb sie so wenig menschliche Regung zeigten (und wieder kam ihm dabei in besonderem Maße Malejew in den Sinn).
Larus sah deutlich Malejews kahlgeschorenen Schädel vor seinem geistigen Auge; um den Mund spielte ein zynisches Grinsen und auf dem Arm trug er seinen hirnlosen Pudel. Vom Anfang ihrer Bekanntschaft an, als Larus hierher nach Morrow auf Asimov gekommen war, um die wisseschaftliche Leitung des Projekts zu übernehmen, war sein Verhältnis zum Bevollmächtigten des Cartani-Konzerns gleichermaßen von Furcht und Unbehagen auf der einen und Interesse auf der anderen Seite geprägt gewesen.
Aber bis zum heutigen Tage war es Larus nicht gelungen, größere Einblicke hinter Malejews äußere Fassade zu bekommen. Der Kahlkopf schirmte sich geschickt gegen jegliche Versuche ab, in sein Inneres zu dringen. Daher war es fast unmöglich, mit ihm außerhalb des dienstlichen Bereiches Kontakt aufzunehmen - es sei denn, es ging um den Austausch einiger zynischer Bemerkungen. Aber da konnte Larus nicht mithalten. Wenn Malejew nicht gerade mit irgendwelchen dienstlichen Angelegenheiten beschäftigt war, fand man ihn stets allein, nur in Begleitung seines Pudels, der das einzige Wesen zu sein schien, mit dem ihn mehr, als nur das unmittelbar Notwendige verband.
So kühl auch seine Beziehungen zu den ihn umgebenden Menschen gestaltet sein mochten, so war sein Verhältnis zum Projekt gänzlich anderer Natur. Hier zeigte sich Malejew von geradezu fanatischer Besessenheit und konnte mitunter in einen Zustand überschwenglicher Euphorie gelangen. Wenn Larus es recht betrachtete, dann wußte er nur sehr wenig über Malejew. In den Datenspeichern von Morrow war fast nichts über ihn zu finden. Nicht einmal Angaben auf welchem Planeten er geboren war.
"Hallo, Dr. Larus!" rief eine Männerstimme und riß den wissnschaftlichen Leiter des Camps damit aus seinen Grübeleien. Er hatte die rasch und mit langen Schritten daherschreitende Gestalt Dan Lemieuxs nicht bemerkt und war für den Bruchteil eines Augenblicks etwas verwirrt.
Als Lemieux Larus erreicht hatte, blieb er stehen, um zuerst ihn und dann Greene mit einem nachdenklichen Blick zu bedenken.
"Ich mache mir Sorgen um Sie, Larus!"
"Weshalb?"
"Weil Sie sich die bedauerliche Angelegenheit mit Greene zu sehr zu Herzen nehmen!" Und nach kurzer Pause fügte er noch hinzu: "An Ihrem Gesicht sehe ich, daß ich Recht habe. Widersprechen Sie mir also nicht!" Larus' Züge wurden sichtlich angespannter und es schien ganz offensichtlich so, daß ihm dieses Thema unangenehm war.
"Unser aller Versagen ist Schuld daran, daß ein Mensch mit eigenständiger Persönlichkeit zu etwas degeneriert ist, das dumpf und stumm vor sich hin vegetiert wie ein Baum oder wie Gras!"
"Greene wußte, daß das Risiko hoch war", erklärte Lemieux so ruhig es ihm möglich war. "Was geschehen ist, ist bedauerlich und aller Wahrscheinlichkeit auch nicht wieder rückgängig zu machen." Er packte Larus bei den Schultern und die beiden wechselten einen Blick, der jedem von ihnen das Unverständnis des anderen zeigte.
Larus schätzte Lemieux als sachkundigen und intelligenten Mitarbeiter, aber seine Art über die Sache mit Greene zu reden fand den eindeutigen Widerwillen des Projektleiters. Er spürte, daß es Lemieux nicht wirklich darum ging, ihm seinen Schuldkomplex zu nehmen. Das Wohlwollen und das Mitgefühl, das der Arzt mit seinen Worten zu vermitteln suchte, schien irgendwie nicht wahrhaftig zu sein, auch wenn Larus nicht genau zu sagen vermocht hätte, weshalb er so empfand. Ein unsicheres, flüchtiges Lächeln spielte um Lemieuxs Mund und irritierte Larus ein wenig. Ich frage mich, ob er wirklich begreift, was mich bewegt! überlegte Larus. Während sie einige Momente lang schwiegen, schien sich die Atmosphäre zwischen ihnen aufzuladen. Beiden bereitete die Situation jetzt Unbehagen, wenn auch aus verschiedenen Gründen.
"Die Wissenschaft...", meinte Lemieux schließlich und kratzte sich am Ohr. "Wir stehen alle im Dienst der Wissenschaft und des Fortschritts. Wir beide ebenso wie seinerzeit Carlott. Leider kommt es immer wieder vor, daß diese große Aufgabe, die wir uns stellen, die Aufgabe der Erkenntnisvermehrung, Opfer fordert. Opfer, die uns manchmal unverhältnismäßig erscheinen mögen, aber sind sie nicht letztendlich durch das hohe Ziel gerechtfertigt, die Menschheit in ihrer Entwicklung weiterzubringen?"
Wenn Lemieux derartige Plattitüden dahersagte, gelang ihm dies in der Regel nie ohne einen Schuß unfreiwilliger Komik, der von Larus nicht unbemerkt blieb.
Die Wahrheit ist höchstwahrscheinlich, daß er über solche Dinge überhaupt nicht nachdenkt! dachte Larus mit einem bitteren Gefühl. Deshalb klingt es so merkwürdig, wenn er so etwas sagt!
Die beiden Wissenschaftler verabschiedeten sich voneinander und Larus war wieder allein mit Greene, dessen Augen matt ins Leere starrten und weder das Meer noch die Steilküste und den wunderschönen Himmel von Asimov wahrzunehmen schienen. Bisweilen kamen Larus absonderliche Gedanken, wenn er Greene so ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt dahinvegetieren sah.
Was, wenn sein Bewußtsein - entgegen allen Prognosen - eines Tages doch zurückkehrte? Mußte es nicht ein verbitterter, von Haß- und Rachegedanken erfüllter Greene sein, der dann aus dem Abgrund der Unbewußtheit emportauchen würde? Wie würde er reagieren, wenn er begriffen hatte, was mit ihm geschehen war? Welche ungeahnten Deformationen mußte eine Seeie davontragen, die so schrecklichen Leiden ausgesetzt wurde? Larus war sich in solchen Augenblicken mit sich selbst nicht ganz darüber einig, ob es am Ende nicht gar ein für den Betroffenen positives Faktum darstellte, daß ein Zurückholen seines Bewußtseins aus der autistischen Einsiedelei fürs Erste völlig ausgeschlossen war und aller wissenschaftlichen Voraussicht nach auch bleiben würde. Vielleicht, so überlegte Larus manchmal, würde man ihm gar keinen Gefallen damit tun, ihn aus seiner Dumpfheit zu wecken.
Während Larus seine gewohnte Runde mit Greene zu Ende führte, hatte er - wie stets - das Gefühl, die Zeit schritte gerade jetzt besonders langsam voran. Sie schien deutlich zähflüssiger als zu anderen Tageszeiten und jede Minute hatte zu seinem Leidwesen Platz genug für ein gutes Dutzend unliebsamer Gedanken. Am Schluß dieser täglichen selbstauferlegten Bußehandlung, brachte Larus den Patienten zurück in sein Quartier. Wenn er dann wieder hinaustrat in das heiße Sonnenlicht, war das jedesmal wie eine Erlösung. Er fühlte sich dann ein wenig besser und gestattete es sich, Greene für den Rest des Tages nicht die beherrschende Rolle in seinem Leben und seinen Gedanken spielen zu lassen. Was dann folgte war zum größten Teil Routine. Er gab hier und da Anweisungen, ließ sich Laborergebnisse und Computerberechnungen zeigen und ging durch die verschiedenen Versuchsanlagen. Wenn er dann später in seinem Büro am Terminal saß und sich den Gesamtstand der Forschungen auf Morrow ansah, so mußte er wohl oder übel zugeben, daß offensichtlich auf der Stelle getreten wurde. Der anfängliche Elan, der das Projekt die erste Zeit hindurch begleitet hatte, war verflogen; Fortschritte ließen sich immer schwieriger erreichen. Larus war nicht der einzige, der das bemerkte. Überall im Camp machte sich eine resignative ratlose Stimmung breit.
"Wir müssen unbedingt die Großcomputer des Sol-Systems anzapfen!" erklärte Dr. Dr. Sora Samabi, als sie am Abend in Larus Büro kam und dort einen verzweifelten Projektleiter vorfand. "Das mag zwar ein Vermögen an Gebühren kosten, aber ohne eine massive Aufstockung unserer Computerkapazitäten werden wir auf absehbare Zeit hinaus keinen Durchbruch erzielen. Oder ist Cartani zu geizig, die dafür anfallenden Gebühren aufzubringen?"
Samabi war eine kleine, stämmige Frau mit glattrasiertem Kopf, auf dem es nur zwei zentimeterdicke Haarstreifen von der Form ihrer Initialen gab und die zu einer heftigen, fast beschwörend wirkenden Gestik neigte. Larus nickte ihr zu und lehnte sich hinter seinem Terminal zurück.
"Sie wissen so gut wie ich, daß das unmöglich ist, weil dieses Projekt geheim bleiben muß. Mit den Gebühren hat das nichts zu tun!"
"Dann sorgen sie bitte dafür, daß ein Großcomputer nach Morrow geschafft wird!"
"Malejew befindet sich zur Stunde auf der Erde. Vielleicht kann er die Konzernoberen für den von ihnen schon so lange geforderten Großrechner erweichen."
Samabis Züge wurden finster.
"Ich möchte es hoffen!" brummte sie.
Larus sah in ihren Zügen ehrlichen Zorn, aber da war noch etwas anderes, etwas, das schwer zu bestimmen war. Besorgnis vielleicht.
"Ich weiß, daß sie vollkommen Recht haben, aber ich bin nicht der Mann, der hier etwas ändern könnte", sagte Larus hilflos.
Sora Samabi beugte sich daraufhin über den Tisch und meinte fast flüsternd: "Könnte es sein, daß man auf den oberen Etagen von Cartani dieses Projekt bereits mehr oder weniger abgeschrieben hat?"
Larus erstarrte.
"Es ist nur ein ganz vager Verdacht. aber..." Sie zog die Augenbrauen in die Höhe. "Vielleicht wird man das Camp in nächster Zeit schließen..."
"Das ist Unsinn!" rief Larus. "Ich weiß nicht, wer ihnen das eingeredet hat, aber mir ist jedenfalls von solchen Dingen nichts bekannt!"
***
Dr. Connet Larus betrachtete stumm Greenes matte Augen, die auf die an der Wand hängenden Musikinstrumente gerichtet waren. Der Patient war vollkommen reglos. Nicht ein Muskel zuckte in seinem zur Maske erstarrten Gesicht. Fast wie eine Puppe saß er da und Larus konnte sich vom Anblick dieses Seelenlosen einfach nicht lösen.
Er ist kein Mensch mehr! dachte er. Nicht im eigentlichen Sinne jedenfalls... Vielleicht hat Dr. Samabi mit ihrer Ansicht Recht, daß es das Beste wäre, ihn einzuschläfern... Larus erschrak über seine eigenen Gedanken. Ja, für dich wäre das die einfachste Lösung! entlarvte er sich selbst und das Gefühl, das ihn dabei überkam, war sehr bitter. Greene führt dir ständig dein Versagen vor: als Mensch und als Wissenschaftler gleichermaßen! Aber was, wenn nun doch etwas von Greenes Bewußtsein übriggeblieben ist? Was, wenn er seine gegenwärtige Existenz als angenehm empfindet und sich auf seine Weise am Leben freut? Man müßte wissen, was hinter dieser verdammten Stirn abläuft! überlegte Larus. Ist es nicht eine Ironie? Unsere Raumschiffe sind tief in den Weltraum gedrungen, haben fremde Galaxien erforscht - aber die paar Zentimeter, die unser Gehirn ausmachen, bieten uns immer noch mehr Rätsel als die Millionen Parseks da draußen...
Ein Stöhnen entrang sich unvermittelt Greenes Mund und Larus erschrak. Seit der Operation war nichts über die Lippen des Patienten gekommen. Kein Laut. Was konnte das zu bedeuten haben? Larus suchte sofort nach den möglichen Ursachen für diese Lautäußerung, aber er fand nichts. Vielleicht hatte Greene Schmerzen. Vielleicht hatte er auch einfach nur ungeschickt geatmet, sodaß es sich wie ein Stöhnen anhörte. Larus postierte sich so, daß er dem Patienten ins Gesicht sehen konnte. Aber dieser einmaligen Lautäußerung, von der man nicht sagen konnte, was sie bedeutete oder wodurch sie bewirkt worden war, folgte keine Zweite. Greenes Lippen waren geschlossen. Seine Züge blieben starr und unbeweglich. Für Larus war es jedesmal schmerzhaft in dieses Gesicht zu schauen, das ihm jedesmal aufs Neue wie ein Vorwurf schien. Aber er zwang sich dazu, hinzusehen, so als würde durch die Qual, die er fühlte, etwas von der Schuld abgetragen werden können, die er auf sich geladen zu haben meinte. Warum mußte er auch so empfindsam und dünnhäutig sein und sich diese Sache so sehr zu Herzen nehmen? Warum war er nicht wie Lemieux oder Malejew, die für solche Situationen deutlich besser gerüstet zu sein schienen. Manchmal wünschte er es sich wirklich.
***
Es war finsterste Nacht um ihn herum und er hatte das Gefühl, zu schweben, zu schwimmen, zu taumeln, sich zu drehen. Und zu fallen. Es herrschte eine abgrundtiefe Furcht in ihm, die alles regierte. Diese Furcht schien das Hauptelement seines verschwommenen Ichs zu sein. Eine Furcht, die nicht durch die alles umgebende Finsternis verursacht war, sondern durch ihr Gegenteil, der brennenden Flut greller Bilder. Es war dunkel um ihn. Und stille.
(c) Alfred Bekker