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6. Rekapitulation

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Schmitts Binder-Rezension von 1916 wurde hier als ein missing link in der Kritik der neukantianischen Rechtsphilosophie betrachtet, die 1914 mit dem Wert des Staates begann und mit der Politischen Theologie zu einem Abschluss gelangte. Der Neukantianismus beschränkte den erkenntnistheoretischen Grundansatz Kants stark auf Wissenschaftstheorie und Methodologie. Wie gelangte man philosophisch über ihn hinaus? Der philosophische Gegenwartsdiskurs antwortete mit einer Wendung zu Hegel31 oder (etwas später) einer erneuten Rückkehr zu Kant und zu strikter Kant-Philologie (Julius Ebbinghaus u.a.). Die juristische Rezeption folgte mit Binder und Larenz der Wendung zu Hegel und entwickelte einen stark politisierten Rechtshegelianismus, der sich dem Nationalsozialismus empfahl. Schmitt dagegen prüfte seine schwache transzendentalpragmatische Auslegung der Rechtsidee (aus dem Wert des Staates) vergleichend und lehnte Binders Auslegung ab. Mit der Politischen Theologie nahm er 1922 dann seinen Abschied vom Neukantianismus, indem er seine schwach-transzendentale Auslegung der „Rechtsidee“ als Souveränitätslehre explizierte und sich vom Bonner Kollegen Erich Kaufmann absetzte, indem er seinen Referenzkanon umstellte: Wo Kaufmann einen Rückgang auf Kant, „Leben“ und „Metaphysik“ gegen den Neukantianismus (und namentlich auch Kelsen) setzte, proklamierte Schmitt einen souveränitätstheoretischen und „gegenrevolutionären“ Rückgang auf Thomas Hobbes und Donoso Cortés. Seine schwache Lesart der Rechtsidee hatte 1914 vor allem besagt: Der Staat muss sich als „Diener des Rechts“ darstellen und die Differenz von Macht und Recht konstitutionalisieren, indem er sie für sich reklamiert und behauptet. Mit seiner Souveränitätslehre betont Schmitt 1922 nun die konstitutive Ordnungsleistung des Souveräns als Koinzidenzfall von Macht und Recht: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet; das heißt auch: Wenn die Machtbehauptung Gehorsam findet, ist sie im Recht; sie setzt dann die Differenz von Macht und Recht als Ordnungsund Friedensfunktion.

Mit dieser Auslegung der „Rechtsidee“ als Souveränitätslehre war Schmitts Bedarf an rechtsphilosophischer Fundamentierung gleichsam erschöpft. Er sprach nicht weiter im Namen der Rechtsphilosophie, entsagte jeder naturrechtlichen Philosophie, kritisierte philosophische Grundlegungen als Rechtfertigungsideologien und Bürgerkriegsparolen und sprach stattdessen nur noch von Legalität und „Legitimität“. Seine Lage als Jurist situierte er stets „zwischen Theologie und Technik“. Der Theologie billigte er dabei immerhin zu, im Namen der „Offenbarung“ die diskursive Zugänglichkeit letzter Fragen zu tabuisieren und die philosophische Kritik zu suspendieren. Zwar rekurrierte Schmitt auf den „Dezisionismus“ von Thomas Hobbes, wo Kaufmann Kant gegen den zeitgenössischen Neukantianismus ausgespielt hatte. Den philosophisch-naturrechtlichen Ansatz von Hobbes ignorierte er aber stets. Sein Leviathan-Buch interessierte sich 1938 nur noch für den Mythenpolitiker. Philosophisch neigte Schmitt zwar in mancher Hinsicht Hegel zu; niemals äußerte er sich darüber aber eingehender. Seine Reserve gegenüber dem zeitgenössischen Neuhegelianismus war nicht zuletzt politisch motiviert: nicht nur gegenüber dem Links-Hegelianismus (Lukács), sondern auch gegenüber einem politisierenden Rechts-Hegelianismus, der dem Nationalsozialismus nach 1933 eine Philosophie schenken wollte und so, in anderer Weise als Heidegger, den Traum vom Philosophenkönigtum träumte, den „Führer“ zu führen. Schmitts Entscheidung gegen starke philosophisch-naturrechtliche Legitimierungen der herrschenden Legalität stand eigentlich schon 1922 fest; die Entwicklung des Links- wie Rechtshegelianismus vor und nach 1933 bestätigte ihn dann in seiner Reserve gegenüber starken rechtsphilosophischen Fundamentierungsansprüchen.

Mit der Binder-Rezension markiert Schmitt 1916 bereits seinen Auszug aus der Rechts- und Staatsphilosophie. Seine Transformation der “Rechtsidee“ in die Souveränitätslehre ist im scharfen Rückgang hinter Kant auf Hobbes nur dann deutlich zu sehen, wenn die Erstausgabe der Politische Theologie von der späteren Fassung von 1934 unterschieden wird, die alle Verweise auf Kaufmann gestrichen hat. Schmitt positionierte sich 1922, gerade in Bonn angekommen, zu Kaufmanns Kritik der neukantianischen Rechtsphilosophie, indem er dessen Rückruf zu Kant mit einem Rückruf zu Hobbes konterte. Eine starke Rechtsphilosophie hat er nie zu schreiben beabsichtigt. Er verblieb aber auf dem Boden der zeitgenössischen Lebensphilosophie und Weltanschauungslehre, indem er metaphysikgeschichtliche Voraussetzungen seines starken Dezisionismus und Personalismus problematisierte und historisierte. Schmitt bezog einen verlorenen Posten und sah sich nach seiner Politischen Theologie fortan als unzeitgemäßer Autor und Außenseiter an. Es ließe sich also von einer doppelten Transformation des Transzendentalismus sprechen: Einerseits schrieb Schmitt den Transzendentalismus in das historische Apriori einer Weltanschauungslehre um und andererseits hoffte er doch auf die Selbstbehauptung des Staates in der Setzung der Differenz von Macht und Recht, im außerordentlichen Notrecht des „Ausnahmezustandes“.

Carl Schmitts Gegenrevolution

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