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4. Rückblick 1928
ОглавлениеSchmitts „dezisionistische“ Verfassungslehre argumentiert mit politischen Entscheidungen und „Grundentscheidungen“: Positive Verfassungsentscheidungen profilieren sich in „substanziellen“ Alternativen. Das Lehrbuch Verfassungslehre von 1928 führt die „grundlegenden politischen Entscheidungen“ Weimars eingehend aus:
„Dadurch charakterisiert sich das Deutsche Reich der Weimarer Verfassung als eine konstitutionelle Demokratie, d. h. als ein bürgerlicher Rechtsstaat in der politischen Form einer demokratischen Republik, mit bundesstaatlicher Struktur. […] Alles, was es innerhalb des Deutschen Reichs an Gesetzlichkeit und an Normativität gibt, gilt nur auf der Grundlage und nur im Rahmen dieser Entscheidungen. Sie machen die Substanz der Verfassung aus. Daß die Weimarer Verfassung überhaupt eine Verfassung ist und nicht eine Summe zusammenhangloser, nach Art. 76 RV. abänderbarer Einzelbestimmungen, welche die Parteien der Weimarer Regierungskoalition auf Grund irgendwelcher ‚Kompromisse‘ in den Text zu lanzieren verstanden, das liegt nur in dieser existentiellen Totalentscheidung des deutschen Volkes.“ (VL 24)
Schmitt schreibt 1928 auch:
„Die Weimarer Verfassung ist eine Verfassung, nicht nur eine Reihe von Verfassungsgesetzen. Sie enthält die grundlegenden politischen Entscheidungen für eine konstitutionelle Demokratie. Im übrigen aber findet sich sowohl in der verfassungsgesetzlichen Ausführung wie in einzelnen Anordnungen – insbesondere des zweiten Teiles unter der Überschrift ‚Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen‘ – ein Nebeneinander von Programmen und positiven Bestimmungen, dem die verschiedenartigsten politischen, sozialen und religiösen Inhalte und Überzeugungen zugrunde liegen. Bürgerlich-individualistische Garantien von persönlicher Freiheit und Privateigentum, sozialistische Programmsätze und katholisches Naturrecht sind in einer oft etwas wirren Synthese miteinander vermengt. Dabei ist zu beachten, daß zwischen den letzten Gegensätzen echter religiöser Überzeugungen, ebenso zwischen echten Klassengegensätzen ein Kompromiß im allgemeinen kaum möglich und jedenfalls sehr schwierig ist. Wenn es sich um eine Verfassung handelt, wird er nur dadurch möglich, daß der Wille zur politischen Einheit und das staatliche Bewußtsein alle religiösen und klassenmäßigen Gegensätze überwiegt, sodaß jene kirchlichen und sozialen Verschiedenheiten sich relativieren. Die unmittelbar mit der politischen Situation zur Entscheidung gestellten, grundlegenden politischen Fragen – im Jahr 1919 also die Frage: Monarchie oder Republik? Konstitutionelle Demokratie oder Rätediktatur? – konnten nicht umgangen werden und sind nicht umgangen worden.“ (VL 30)
Solche und ähnliche Formulierungen finden sich in der Verfassungslehre vielfach. Schmitts Kampf für eine systematische Auslegung der Verfassungsgesetze von den substantiellen „Grundentscheidungen“ her klingt aber im Zitat schon ebenso an wie eine leise Stigmatisierung der Rolle der Parteien, Kirchen und sozialistischen Bewegung bei der Formulierung des heterogenen Verfassungskompromisses. Es ist hier nicht weiter zu zeigen, wie Schmitt die Systematik des „bürgerlichen Rechtsstaats“ nach 1928 in Richtung auf einen „autoritären“ Exekutivstaat dekonstruierte und die tragenden „rechtstaatlichen Bestandteile“ der modernen Verfassung – den rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff, Grundrechte und die liberale Gewaltenunterscheidung – der Reihe nach abbaute. Hier ist zunächst nur zu fragen, was er von der „existentiellen Totalentscheidung des deutschen Volkes“ im Jahre 1918/19 dachte.