Читать книгу Die Urgeschichte Europas - Reinhard Pohanka - Страница 15
Religion und Bestattung
ОглавлениеEine viel diskutierte, aber bis heute nicht klar entschiedene Frage ist, ob der Neandertaler im Laufe seiner Entwicklung bereits eine Religion und damit einen Glauben an ein Weiterleben im Jenseits entwickelt hat. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu sehen, ob der Neandertaler die verstorbenen Mitglieder seiner Art in Gräbern bestattet hat oder ob die Toten einfach liegengelassen oder regelrecht »entsorgt« wurden.21 Durch die zahlreicher werdenden Funde von mehr oder weniger vollständigen Skeletten von Neandertalern setzt sich immer mehr die Vorstellung durch, dass auch die Neandertaler und nicht nur die modernen Menschen des Paläolithikums ihre Toten bestatteten. Vor allem die Funde aus La Chapelle-aux-Saints und La Ferrassie belegen die Existenz von Neandertalergräbern. Besonders die zahlreichen völlig erhaltenen Skelette, deren Reste noch im ursprünglichen Verband gefunden wurden, lassen darauf schließen, dass es sich hier um geregelte Bestattungen gehandelt haben dürfte.
Manche der Gräber wurden mit rotem Ocker besprengt, einige Skelette hatten eine Unterlage für den Kopf, wie der Junge aus Le Moustiér mit einem Polster aus Feuersteinklingen. Es erscheint in heutiger Sicht als unwahrscheinlich, dass in Fundstellen wie La Ferrassie, wo sieben Bestattungen von Neandertalern entdeckt wurden, darunter vier Kinder und Neugeborene und sogar ein Fötus, ihre teilweise fragilen Skelettreste nur durch zufällige natürliche Sedimentation konserviert wurden. Die Existenz von weiteren Kinderskeletten aus Dederiyeh in Syrien, die zu Individuen gehörten, die zum Teil nur ein geringes Lebensalter von wenigen Monaten oder Jahren erreicht haben, zeigen, dass Kinder wie Erwachsene gleichermaßen behandelt wurden. Immerhin machen die Kinderbestattungen etwa 40 Prozent der gesamten Anzahl mittelpaläolithischer Bestattungen, im Gegensatz zu denen des Jungpaläolithikums mit nur 27 Prozent, aus.
Unklar ist, ob die Neandertaler ihre Toten mit einem Ritual bestatteten und ob es rudimentäre Grabbeigaben gegeben hat. Funde von kleinen Perlen von Muscheln und von Blütenpollen in Neandertalergräbern des Nahen Ostens lassen annehmen, dass es ein Totenritual und Beigaben gegeben hat, was den Gedanken nahelegt, dass sich schon der Neandertaler die Frage nach einer Existenz des Verstorbenen nach dem Tode gestellt haben könnte. Die Anlage der Gräber zeigt wenige Gemeinsamkeiten, so wechseln die Orientierung, die Lage der Toten im Grab und ihre Ausstattung stark. Die Körper wurden meist in angehockter Beinstellung in Seiten- oder Rückenlage niedergelegt, dabei wurde eine sehr variable Ost-West-Orientierung bevorzugt. Weder gestreckte Totenhaltungen noch eine Orientierung in der Nord-Süd-Achse wurden bislang dokumentiert. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass alle bekannten Bestattungen von Neandertalern ausschließlich in Höhlen oder unter Abris vorkommen. Im Gegensatz zu den späteren Bestattungen des jungpaläolithischen Gravettiens ist kein einziger Fall einer Bestattung in einer Freilandstation bekannt.
In Europa beschränken sich die »Neandertalergräber« im Wesentlichen auf eine Region in Frankreich und hier vor allem auf die im Süden gelegene Dordogne (z. B. La Ferrassie, La Chapelle-aux-Saints22, Le Moustier und Le Régourdou). Bei anderen Fundorten wie der Feldhofer Grotte kann eine Bestattung zwar angenommen, aber nicht bewiesen werden.
Geht man davon aus, dass der Anlage von Gräbern durch den Neandertaler auch eine Vorstellung von Religion zu Grunde liegt, so ist die Frage, wie eine solche ausgesehen haben könnte. Eine der frühen Theorien ging von der oftmaligen Vergesellschaftung von Neandertalerresten mit Knochen von Höhlenbären aus (Drachenloch-Höhle in der Schweiz) und konstruierte einen Kult des Höhlenbären durch den Neandertaler. Darauf hindeuten könnte auch der Fund von Régourdou in der Dordogne, eine rechteckige Grube, in der die Schädel von 20 Höhlenbären lagen und in deren unmittelbarer Nähe sich das unvollständige Skelett eines Höhlenbären und das vollständige Skelett eines Neandertalers fanden.