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Vorwort

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Mit dem Sturz Kaiser Napoleons im April 1814 ging, so schien es zumindest, eine Periode in der Geschichte Europas zu Ende, die von der Hegemonie Frankreichs und mehr als zwei Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzungen geprägt gewesen war, die mehrere Millionen Menschenleben gekostet hatten. Der Ende Mai 1814 in Paris abgeschlossene Friedensvertrag berief einen „allgemeinen Kongress“ der kriegführenden Parteien ein, der binnen zweier Monate in Wien zusammenkommen sollte. Dort war eine territorial- und verfassungspolitische Neuordnung Europas zu vereinbaren, die auf gemeinsamer Verantwortung für die Erhaltung des Friedens basierte – der erste Anlauf zur Etablierung eines zuverlässig arbeitenden sicherheitspolitischen Systems auf dem Kontinent. Die „Wiener Ordnung“ sicherte Europa in der Tat eine lange währende Friedensperiode; die maßgebliche Forschung verortet hier einen grundlegenden Paradigmenwechsel der Akteure der internationalen Politik von rein konkurrenz- zu konsensorientierten Schemata.

Allerdings war der Wiener Kongress aus mehreren Gründen alles andere als eine sich selbst erfüllende Erfolgsgeschichte, und es ist ein Anliegen der hier vorgelegten Darstellung, Kontingenzen, Schwierigkeiten und Zufälle zu beleuchten, die seine Verhandlungen und Ergebnisse stärker prägten als die Intentionen der Akteure.

Die Herausbildung einer „konzertierten“ (heute würde man sagen: koordinierten) militärisch-politischen Strategie der Gegner Frankreichs in den Feldzügen von 1813 führte im Frühjahr 1814 zur formellen Allianz der Großmächte Russland, Preußen, Österreich und Großbritannien und zum militärischen Sieg über den Kaiser der Franzosen. Doch bei den sich anschließenden politischen Gesprächen, in London im Juni und danach in Wien ab September 1814, schlug die traditionelle Rivalität der Großmächte in Mitteleuropa erneut durch. Der Zar hielt seine Pläne in [<<7] Bezug auf Polen bewusst in der Schwebe, Preußen verlangte seine Wiederherstellung im territorialen Umfang von 1805 und die Briten wollten alle Agenden mit überseeischen Bezügen ausgeklammert wissen. Diese komplexen, widersprüchlichen Ereignisketten belasteten den europäischen Kongress mit einer Fülle ungelöster Probleme (Kap. 2, S. 19).

Der Kern des Kongressgeschehens wurde dominiert von der harten Konkurrenz Russlands, Österreichs und Preußens um die Sicherung von Einflusszonen in den von Frankreich geräumten Gebieten in Mitteleuropa und Italien. An der Frage der adäquaten Entschädigung Preußens für den Verzicht auf polnische Gebiete, die der Zar zur Gänze für sich beanspruchte, schienen die Verhandlungen an der Jahreswende 1814/15 so gut wie gescheitert. Erst nach einer Lösung für die Aufteilung Sachsens im Februar und unter dem Druck von Napoleons Rückkehr nach Frankreich für die Herrschaft der „Hundert Tage“ im März 1815 konnten tragfähige Kompromisse erarbeitet werden. Außerdem gab es für die Organisation einer derartig großen Zusammenkunft von Diplomaten keine Vorbilder oder Erfahrungswerte. Die Eröffnung der Verhandlungen musste mehrfach verschoben, sachgerechte Arbeitstechniken in Ausschüssen erst entwickelt werden. Auf Zeremoniell und formale Regelwerke wurde dabei recht wenig Bedacht genommen (Kap. 3, S. 47).

So ausführlich und präzise wie im vorgegebenen Rahmen möglich, dokumentiert die Darstellung den schwierigen Gang der Wiener Verhandlungen und ihre in der Schlussakte festgeschriebenen territorialen Ergebnisse bezüglich der neuen Königreiche Polen (nun im Verband des russischen Zarenreiches), Niederlande (vermehrt um Hinweise zur Interessenlage des Gesamthauses Nassau) und Hannover (dem Festlandsbesitz der britischen Könige). Der Erhalt des Königreichs Sachsens und die Neugestaltung der preußischen Monarchie durch Übernahme großer Gebiete am Rhein und in Westfalen gehören ebenso hierher wie die weniger bekannten, auf dem Kongress nicht mehr gelösten Streitigkeiten zwischen Österreich und Bayern um Salzburg und das Rhein-Main-Gebiet (Kap. 4, S. 91).

Zur Gewinnung einer dezidiert europäischen Perspektive auf die Bedeutung der Jahre 1814/15 geht die vorliegende Darstellung ausführlicher als bisher in deutschsprachigen Werken üblich auf die Neukonstitution [<<8] der schweizerischen Eidgenossenschaft, die Wiederherstellung der Staatenwelt Italiens und, etwas knapper, auf die skandinavischen Königreiche ein (Kap. 5, S. 137). Dagegen kann zu den Verhandlungen um die Ausgestaltung des vom Friedensvertrag vorgesehenen „föderativen Bandes“ für die „Staaten Deutschlands“ resümierend auf Eckhardt Treichels magistrales Werk von 2000 zurückgegriffen werden, das zugleich die einzige kritischen Ansprüchen genügende deutsche Quellenedition zum Wiener Kongress darstellt. Angefügt sind ein Abriss der Verfassung des Deutschen Bundes und einige Hinweise zu dessen kontroverser Beurteilung (Kap. 6, S. 175). Hier wie an anderen Stellen des Buchs wird dafür plädiert, die vielfach unter hohem Zeitdruck zustande gekommenen Wiener Ergebnisse in ihrem fragmentarischen, kompromisshaften Charakter zu sehen und nicht als Ausfluss eines konservativen Masterplans. Der Wandel des Deutschen Bundes zum Instrument einer konservativen Entwicklungsblockade war eine politische Entscheidung der Jahre 1819/20 und nicht als restaurativer Automatismus in der Bundesakte angelegt.

Die Darlegungen zur Wiener Festkultur verzichten auf die vielfach geübte Praxis, den Kongress mit der (Theater-)Bühne seiner Bälle, Salons, Konzerte und Theateraufführungen einschließlich galanter Boudoir-Geschichten gleichzusetzen. Vielmehr wird versucht, aus dem weiten Spektrum der vom Wiener Obersthofmeisterstab und zahlreichen Standespersonen der Residenzstadt organisierten Vergnügungen eine Typologie festlicher Veranstaltungen draußen unter freiem Himmel wie drinnen in den noblen Interieurs der Schlösser, Palais und Salons vorzuführen und dabei die neuartigen Formen monarchischer Präsenz zu akzentuieren (Kap. 7, S. 205).

Grundanliegen des Buches ist es, den Kernbereich des politischen Entscheidungshandelns (eingebettet in die zeitüblichen gesellschaftlichen Formen) bei der Darstellung und Bewertung des Kongresses hervorzuheben. In Wien ging es um Machtpolitik, um Kontrolle von Rivalität und vor allem um die Ziehung neuer Grenzen, nicht um Tanzfeste und Kulturveranstaltungen. Das Kongressgeschehen lässt sich auch kaum unter abstrakte Prinzipen fassen; die Erörterung gleichwohl gängiger Leitbegriffe der Forschung, darunter jenes besonders problematischen der „Restauration“, ist Gegenstand der Einleitung (Kap. 1, S. 11). [<<9] Gerahmt wird die Darstellung durch einen weiteren systematischen Teil, der wichtige Entwicklungen der internationalen Rechtsordnung, insoweit sie vom Kongress angestoßen wurden, vorstellt und einige Verbindungslinien zu den in der aktuellen Forschung wichtigen globalgeschichtlichen Themen auszieht (Kap. 8, S. 239).

Die hier vorgelegte Darstellung ist vor allem aus den Quellen erarbeitet und zielt auf die Vermittlung faktenbasierter Information zu den politischen Dimensionen des neunmonatigen Kongressgeschehens. Die Belege beschränken sich in der Regel auf den Nachweis wörtlicher Zitate; die eingehende Erörterung von Forschungsfragen oder eine handbuchartig breite Dokumentation der Literaturlage hätten den Vorgaben des Reihenformats widersprochen. Zitate aus dem Französischen, insbesondere aus den Quellensammlungen des 19. Jahrhunderts, wurden vom Verfasser ins Deutsche übersetzt. Nur in Ausnahmefällen, in denen es auf den genauen Wortlaut ankommt, wurden französische Wendungen im Text belassen. Ortsnamen sind in ihrer im Deutschen gewohnten Namensform angegeben; das Ortsregister nennt auch die in den slawischen Sprachen üblichen Namensformen. Die Ansetzung der Namen im Personenregister folgt der Gemeinsamen Normdatei (GND) bzw. der Library of Congress Control Number (LCCN).

Für Hilfe und Unterstützung bei der Erarbeitung des Buches danke ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Klagenfurt, vor allem Renate Kohlrusch, weiterhin Ingrid Groß, Florian Kerschbaumer, Marion Koschier, Walter Liebhart und Anton Zwischenberger.

Während der beiden letzten Jahre, als mich Dekanat und Manuskript doppelt in Beschlag nahmen, haben sich unsere Kinder Wolfgang und Magdalena ruhig und wie selbstverständlich auf den Weg in ihr eigenes Leben gemacht und sind mir gleichwohl als Ratgeber verbunden geblieben. Dafür bin ich dankbar. Und niemand schulde ich mehr Dank als meiner Frau. [<<10]

Der Wiener Kongress

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