Читать книгу Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1 - Reinhart Maurach - Страница 183
a) Der objektive Tatbestand
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aa) Allgemeines. Der objektive Tatbestand der Körperverletzung besteht alternativ in einer körperlichen Misshandlung oder in einer Schädigung an der Gesundheit. Beide Tatbestände werden häufig übereinstimmen (z.B. beim schmerzhaften Ausschlagen eines Zahnes); nötig ist dies aber nicht. Es sind Gesundheitsschädigungen denkbar, die das subjektive Wohlbefinden des Angegriffenen nicht beeinträchtigen, ja geradezu erhöhen, also keine „Misshandlungen“ darstellen können (z.B. Verabreichung von Rauschgiften, RG 77, 17), andererseits auch Misshandlungen ohne Gesundheitsschädigung (z.B. eine leichte Ohrfeige). Die beiden Tatbestände stehen also zueinander im Verhältnis zweier sich weitgehend, aber nicht völlig überdeckender Kreise (vgl. auch Hirsch ZStW 83, 142).
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Angriffsobjekt ist der Körper eines anderen. Infolge dieser „körperlichen“ Objektsbezogenheit besteht die Handlung in der Regel auch in einer körperlichen Einwirkung (mittels Schlagens, Stoßens, groben Anpackens usw.). Doch erschöpft sich die Körperverletzung darin nicht. Auch Einwirkungen ohne körperliche Berührung sind möglich, so durch Herbeiführung eines Herzinfarkts oder Nervenschocks durch Schreckschusspistolen, Verkehrsunfall[1], verkehrswidrige Fahrweise[2] oder telefonische Bedrohung (BGH NJW 96, 1069; OLG Köln NJW 97, 2191), durch hypnotische Einwirkung (RG 64, 119), durch „Gespensterspielen“, durch Erzeugung nächtlichen Arbeitslärms (OLG Koblenz ZMR 65, 223) oder durch die Überbringung einer unwahren Schreckensnachricht (LG Aachen NJW 50, 759).
Tatbestandsmäßig sind in allen diesen Grenzfällen aber nur Einwirkungen auf die Körperlichkeit, die u.U. erst durch Vermittlung des vegetativen Nervensystems zum Tragen kommen. Rein seelische Einwirkungen, Störungen des psychischen Gleichgewichts ohne gleichzeitigen Affekt der physischen Konstitution scheiden für die einfache Körperverletzung aus[3], können aber beim Hinzutritt weiterer Voraussetzungen nach § 225 (u. § 10) strafbar sein.
Auf die Mittel kommt es grundsätzlich nicht an, doch führt die Verwendung bestimmter gefährlicher Mittel zur Strafbarkeit nach § 224 (u. II A). Dass eine Körperverletzung durch Unterlassen (z.B. durch Vorenthaltung von Nahrung) begangen werden kann, ist selbstverständlich und häufig[4].
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bb) Die körperliche Misshandlung gliedert sich nach der Rechtsprechung noch einmal auf, und zwar in die Verletzung der körperlichen Integrität und die nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens. Auch diese Begriffe überdecken sich weitgehend, aber nicht völlig. Unter dem Einfluss der Lehre vom Handlungsunwert ist heute die normative Definition als „üble, unangemessene (sozialwidrige) Behandlung“ verbreitet[5]; sie kann jedoch nur ein zusätzliches Erfordernis sein[6].
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Zur Misshandlung gehören insbesondere die Fälle der Verletzung der körperlichen Integrität. Deren schwerste Gruppen werden von § 226 (u. II B) umfasst; im Übrigen sind sie nach dem Grundtatbestand zu beurteilen. Hierher gehört das Zopfabschneiden, Abrasieren der Haare[7], die Defloration (RG 56, 64), die Zertrümmerung der im Munde festsitzenden Zahnprothese, Entstellungen (Bemalen des Gesichts eines Schlafenden mit Ölfarbe) u.a. Die Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens besteht vor allem in der Zufügung von Schmerzen (Schroeder FS Hirsch 729, 733). Im Übrigen ist sie nur dann „Misshandlung“, wenn zu den physiologischen Grundvoraussetzungen noch eine gewisse Erheblichkeit von Einwirkung und Erfolg hinzutritt (z.B. Durchnässung mit Brennspiritus, BGH NStZ 07, 701). Bloßes körperliches „Unbehagen“ (erst recht also nur eine psychisch bedingte Missstimmung, hervorgerufen z.B. durch das Betrachtenmüssen eines hypermodernen Gemäldes) scheidet daher aus[8]. Sehr weit geht die ältere Rechtsprechung, die z.B. das Ekelgefühl durch Angespucktwerden oder beim Einnehmen eines schlecht schmeckenden, im Übrigen harmlosen Getränkes usw. als Misshandlung deutete[9]. Umstritten ist die Beurteilung kurzer „Schockwirkungen“[10].
Wolters SK 8 will auch unerhebliche Einwirkungen einbeziehen, sofern sie entsprechend der oben erwähnten neueren Definition als eine „üble, unangemessene Behandlung“ erscheinen. Indem er diese mit der bewussten Ehrverletzung gleichsetzt, reißt er jedoch die mühselige Aufspaltung der römisch-rechtlichen iniuria (s.o. § 8 Rn. 2) und die damit gewonnene Grenze gegenüber der Beleidigung wieder ein. Groteske Beurteilung des Fußtritts eines Polizeibeamten als unerhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens bei OLG Düsseldorf NJW 91, 2918. Schmerzerregung ist nicht unbedingt erforderlich: „misshandelt“ werden kann auch ein infolge sinnloser Betrunkenheit, Abstumpfung oder geistiger Erkrankung schmerzunempfindlich Gewordener[11].
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Als Gesundheitsschädigung gilt jede Herbeiführung eines vom relativen Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes; hierher gehört jede Herbeiführung oder Vertiefung (BGH NJW 60, 2253; NStZ 88, 25) einer bereits vorhandenen pathologischen Verfassung. Die Wirkungsdauer des nachteiligen Zustands ist unerheblich (Gesundheitsschädigung daher auch die Herbeiführung eines „gesunden“ Rausches ohne nachteilige Folgen, BGH NJW 83, 462), doch bleiben auch hier unerhebliche Wirkungen (leichte Kopfschmerzen als Folge übermäßiger Lärmentwicklung) außerhalb des Tatbestandes. Eintritt geistiger Störungen auf pathologischer Grundlage ist selbstverständlich auch Gesundheitsschädigung (s. aber § 226: Geisteskrankheit als Anlass der Umqualifizierung zum Verbrechen, u. II B). Auf die Mittel der Gesundheitsschädigung kommt es nicht an: auch die Ansteckung eines anderen mit einer Krankheit ist tatbestandsmäßig[12]. Bei bewusstem freiwilligem Kontakt mit dem Infizierten liegt allerdings eine Selbstgefährdung vor, die den anderen Beteiligten straflos lässt[13]. Versuche, die Selbstgefährdung auf jeden Sexualverkehr ohne Vertrauensbeziehung auszudehnen (Kreuzer ZStW 100, 801), sind bei aller Fürsorge für das Sexualleben der Infizierten letztlich sexualfeindlich. Eine Gesundheitsschädigung ist auch die übermäßige Bestrahlung, auch wenn Schäden klinisch noch nicht wahrnehmbar sind (BGH 43, 306, 346; dazu schon o. § 8 Rn. 25).
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Eine Schwangerschaft ist zwar keine Gesundheitsschädigung (Wolters SK 28), wohl aber eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens, sodass bei Täuschung der Frau und vor allem bei einer fahrlässigen Verwechslung der Antibabypille mit insoweit unwirksamen Medikamenten durch einen Apotheker eine Körperverletzung in Betracht kommt[14]. Der Schwangerschaftsabbruch als solcher ist keine Körperverletzung an der Mutter (s.o. §§ 1 Rn. 9, 6 Rn. 14).