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LEBEN IN FRAGMENTEN

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keine Festlegungen und Verbindlichkeiten

Postmoderne bzw. flüchtig-moderne Lebensqualität bedeutet in erster Linie, sich alle Optionen offen zu halten, Bindungen möglichst zu vermeiden, um keinesfalls in Abhängigkeiten zu geraten (Bauman 2007, S. 131ff.). Identität ist heute in soziologischer und sozialpsychologischer Sicht zu einem freien Spiel avanciert, das allen Festlegungen widerstehen und möglichst viele Gelegenheiten in Reichweite halten will. In der Moderne glich das Leben einer Pilgerreise, die auf ein bestimmtes Ziel zuführt, das meist theologisch bestimmt war. „Für Pilger in der Zeit liegt die Wahrheit andernorts; der wahre Ort liegt immer ein Stück weit und eine Weile entfernt.“ (ebd., S. 136) Die Lebenslinie hatte ein Ziel und damit einen Sinn. „Dieses ‚Erbringen‘ von Sinn wurde ‚Identitätsbildung‘ genannt.“ (ebd., S. 141) Der Pilger legt früh im Leben seinen Zielpunkt fest, um seinem Leben eine Richtung zu geben. Damit gelang es ihm, das Leben als eine zusammenhängende Geschichte, eine sinnvolle Geschichte zu erzählen. Heute jedoch, in der flüchtigen Moderne, gehen Eindeutigkeit und Kontinuität verloren. Identitäten können angenommen, aber rasch und ohne Aufsehen auch wieder verworfen werden. „Der Angelpunkt der postmodernen Lebensstrategie heißt nicht Identitätsbildung, sondern Vermeidung jeglicher Festlegung.“ (ebd., S. 146) Damit werden dauerhafte Bindungen entwichtigt, die Lebenszeit in eine Ansammlung von Beziehungssequenzen aufgespaltet. „Das Gesamtresultat ist die Fragmentierung der Zeit in Episoden, jede für sich. Losgelöst von Vergangenheit und Zukunft, jede in sich geschlossen und unabhängig. Die Zeit entspricht nicht mehr einem Fluss, sondern einer Ansammlung von Teichen und Tümpeln.“ (ebd., S. 148)

heimatlos

Der Nachfolger des Pilgers sind der Spaziergänger bzw. der Flaneur, der Tourist, der Vagabund und der Spieler. Das Leben wird zum Spaziergang, zum Bummeln in Einkaufsburgen, den Shopping Malls, die alles feilbieten, was man zum Leben braucht. Die (westlich-industrielle) Welt hat sich in ein gigantisches Einkaufszentrum verwandelt, das die Subjekte vor allem in eines verwandelt: in spazieren gehende, flanierende, bummelnde und vor allem zahlende Konsumenten bzw. Kunden. Neben dem Flaneur ist der Vagabund Sinnbild des heutigen Menschen: Im Gegensatz zum Pilger kennt er kein festes Ziel, keine Reiseroute, sondern entscheidet an jeder Kreuzung eher zufällig aufs Neue, wohin er sich wendet. Der Vagabund bleibt ein Fremder, wird nie einheimisch, ansässig, bleibt herrenlos, ungebunden, frei umher laufend wie ein Landstreicher. Die flüchtige Moderne kennt keine beständigen Orte mehr, Betriebe und Fabriken lösen sich zusammen mit den Arbeitsplätzen auf, sichere Bindungsnetze fallen auseinander. Unsicherheit wird zum Lebensmotiv.

Auch die Metapher des Touristen kann einen Aspekt heutiger Lebensumstände kennzeichnen (ebd., S. 156ff.). Seine innere Verfassung entspricht einer ruhelosen Unzufriedenheit, beseelt vom ständigen Wunsch nach Kontrast, nach neuen Erfahrungen, fremden und bizarren Erlebnissen auf der Reise in unvertrauten Gefilden. Im Gegensatz zum Vagabunden bezahlt der Tourist für seine Abenteuer und Erfahrungen. Die touristischen Eskapaden nehmen einen immer größeren Anteil in unserer Lebenszeit ein. Letztlich drücken sie die Furcht vor Heimatgebundenheit aus, können spielerisch das Weite suchen, ohne die letzten Bindungen zu verlieren. Der Spieler schließlich geht einen Schritt weiter. Seine Zeit unterteilt sich in eine Abfolge von Spielen. Er hat jederzeit die Möglichkeit, von vorne zu beginnen.

fragmentarische Beziehungen

Alle vier metaphorischen Personen sind miteinander verflochten und verkörpern gemeinsam das postmoderne Lebensgefühl. Die Grundtendenz, die alle verbindet, ist die zunehmende Fragmentarität menschlicher Beziehungen, die nicht länger durch feste, verlässliche Bindungsmuster charakterisiert sind und die kaum Verantwortung für den Anderen kennen. Beziehungen werden mehr und mehr flüchtig, oberflächlich und schnell widerrufbar.

Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung

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