Читать книгу Bon Camino - Mit 70 auf dem Jakobsweg - Reinhold Heers - Страница 6

Der Weg Tag 1 – 24.05.2018 Bremen–Paris–Biarritz–Bayonne Unterkunft: Ibis Styles Bayonne Centre Gare Eigentlich sollte man annehmen, dass die Nacht unruhig verlief. Aber nein, gut geschlafen, pünktlich aufgestanden und wie jeden Morgen: ab zum Bäcker und Brötchen geholt. Derweil lief die Kaffeemaschine. Nach einem Frühstück konnte es losgehen. Pünktlich um 09.00 Uhr erschien das Taxi. Mit meinem gepackten Rucksack unter dem Arm startete ich. Das Einchecken problemlos, bei fast voller Maschine war mein Nebenplatz frei. In Paris Charles de Gaulle dann viereinhalb Stunden Wartezeit bis zum Weiterflug nach Biarritz. Hier kam zum ersten Mal eine innere Unruhe auf: Wird alles gut gehen? Bin ich auf dem richtigen Weg? Aber auch: Jetzt geht es endlich los. Konzentriertes Lesen war nicht möglich. Immer wieder habe ich den Pilgerführer in die Hand genommen – aber auch immer wieder in der Hosentasche verschwinden lassen. Dann die Ansage: Der Abflug wird sich verzögern, weil die Maschine aus Biarritz wegen schlechten Wetters verspätet reinkommen wird. Schlechtes Wetter? Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Sollte es etwa gleich mit Regen und Sturm losgehen? Im Pilgerführer waren nur Fotos im Sonnenschein! Der Flug war ein wenig unruhig. Nach der Ankunft gab es zwar dunkle Wolken, aber es war mild und blieb trocken. Für die Suche nach dem richtigen Bus nach Bayonne fehlte mir der Schwung, also mit dem Taxi Richtung Hotel. Bayonne: eine einzige Baustelle! Straßen gesperrt, Brücke zum Hotel dicht; also Umwege fahren. Nach kurzer Suche fand der Taxifahrer auch den Weg zum Hoteleingang. An der Rezeption stand bereits ein Paar mit Rucksäcken: auch Pilger. Mein Zimmer wurde mir unkompliziert zugewiesen. Da es ein Doppelzimmer war, konnte ich mich ausbreiten und den Rucksack so packen, wie ich es für sinnvoll erachtete. Irgendwie kam bei mir die Frage auf, ob ich nicht selbst den einfachen Standard des Hotels noch mal auf dem Weg vermissen würde (es sollte so sein!). Das Hotel lag direkt neben dem Bahnhof, und so zog ich los, um mir das bereits bezahlte Bahnticket nach Saint-Jean-Pied-de-Port aus dem Automaten zu holen, was auch problemlos funktionierte. Nach einem Spaziergang Richtung Altstadt aß ich in einem kleinen Restaurant direkt am Fluss Adour zu Abend. So gestärkt ging es zurück ins Hotel und auch pünktlich ins Bett. Tag 2 – 25.05.2018 Bayonne–Saint-Jean-Pied-de-Port–Orisson Unterkunft: Albergue de Orisson Strecke: 8 km, 600 Höhenmeter,
Aufstieg auf 800 m, 3 Stdn. Um 06.00 Uhr klingelte der Wecker. Das war vor meiner gewohnten Zeit zu Hause. Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht den hektischen Aufbruch der Pilger mitzumachen, die zum Teil bereits im Dunkeln starten, um früh am Ziel zu sein und so ein gutes Bett zu bekommen. Aber hier war es etwas anderes: Der Zug sollte um 07.42 Uhr starten, und vorher war ja noch Frühstücken angesagt. Ich saß allein im Frühstücksraum und genoss den Kaffee und das Weißbrot. Und dann den Rucksack umgehängt: schon ein merkwürdiges Gefühl! Unsicherheit machte sich breit: Sitzt er auch richtig, wie stramm muss ich ihn festziehen? Eigentlich noch gar nicht, denn es ging ja nur einige Meter bis zum Bahnhof. Dort angekommen stellte ich fest, dass gar kein Zug fuhr, sondern ein Bus: Schienenersatzverkehr sozusagen, denn in einem Tunnel für den Zug wurde gebaut. Etwa zehn Personen mit Rucksack stiegen ein, einer ohne Gepäck. Auch die Pilger von der Hotelrezeption waren dabei. Kurze Begrüßung, aber noch ohne Pilgergruß. Irgendwie ist man ja noch nicht auf dem Weg. Die Fahrt führte durch reizvolle Landschaften. Als dann die ersten hohen Berge auftauchten, gab es schon ein gewisses Kribbeln im Bauch: Da willst du rüber. Jetzt wird es ernst! Nach gut eineinhalb Stunden Fahrt Ankunft am Bahnhof von Saint-Jean-Pied-de-Port. Die Bahnhofstoilette war geöffnet: Ich war der Erste, andere folgten. Aufregung! Dann ein vager Blick auf andere Pilger: Was machen die? Wie setzen die den Rucksack auf? Wo geht es lang? Nur nicht anmerken lassen, dass man unsicher ist. Ach, einfach erst einmal folgen. Saint-Jean-Pied-de-Port ist ein kleines, typisch baskisches Städtchen mit etwa 2000 Einwohnern. Die Altstadt mit ihren engen Gassen und die Zitadelle stammen aus dem 17. Jahrhundert. Auf Baskisch heißt die Stadt Donibane Garazi. Die Straßenschilder und Ortsnamen sind im baskischen Teil der Navarra in Baskisch und Spanisch beschriftet. Zunächst begab ich mich ins Pilgerbüro und hatte Glück, dass die Schlange von Pilgern noch nicht so lang war. Der erste Stempel auf dem Weg landete in meinem Pilgerpass, dem credencial de peregrino. Zugleich legte ich mir gegen eine Spende die obligatorische Jakobsmuschel zu und befestigte sie hinten am Rucksack. Verpflegung für unterwegs musste ich noch besorgen: Obst, ein kleines Brot. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Auch hier war ich nicht der einzige Pilger. Vor mir wollte ein Kunde mit Karte bezahlen: nein, nur Bargeld. Er legte einen 50-Euro-Schein hin: böse Blicke der Kassiererin. Wie gut: Ich hatte Kleingeld. Vor dem Laden verstaute ich nun das Gekaufte im Rucksack, als plötzlich ein dicker Tropfen auf meinen Kopf fiel. Sollte es etwa anfangen zu regnen? Der Blick zum Himmel verriet aber Wolken mit Sonnenschein. Der Griff auf meinen Kopf brachte es an den Tag: ein Vogelschiss!!! Das kann nur Glück bedeuten! Und nun ging es wirklich los. Acht Kilometer mit einer Höhendifferenz von 600 Metern lagen vor mir. Um es vorweg zu sagen: Drei Stunden habe ich gebraucht. Es war mal Teerstraße, es war mal Feldweg, mal ging es steil bergauf, mal sehr steil! Schritt für Schritt ging es aufwärts, und immer wieder eine Pause. Ja, auch getrunken habe ich unterwegs. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis die Einsicht kam, wie wichtig es ist, Pausen einzulegen. Zumal es anderen Pilgern nicht viel anders erging. Ich war nicht allein unterwegs: Mal überholten mich Pilger – immer mit einem „Bon Camino!“ –, dann überholte ich sie wieder. Auch das war eine Möglichkeit, irgendwann in ein kurzes Gespräch zu kommen. Grundsätzlich bin ich aber allein gegangen. Nur so konnte ich meine Gehgeschwindigkeit finden, konnte frei sein in den Gedanken und mich auf mich und den Weg konzentrieren. Und ich stellte fest: Das ist nicht langweilig. Aufnehmen, was am Wegesrand ist, erkennen, was der Blick in die Ferne bietet, und spüren, wie doch das Gehen anstrengend in bergigen Gegenden ist. Und dann die Erfahrung, dass nach jedem Hügel und Berg ein neuer kommt. Das Ziel der heutigen Etappe war auch nicht auszumachen, denn ich ging bereits seit einiger Zeit in Wolken. Erst wenige Meter vorher waren die Umrisse der Herberge zu erkennen. Mein Pilgerbruder Bernd, den ich auf dem Vorbereitungsseminar kennengelernt hatte, war bereits vor Ort. Ohne uns abzusprechen, hatten wir beide denselben Anflugtag. Bernd hatte allerdings in Saint-Jean übernachtet und konnte so früher starten. Tagesziel erreicht: Ein erfrischendes kleines Bier weckte wieder die Lebensgeister. Während alle Pilger auf die Bettenverteilung warteten, klarte es etwas auf, und der Blick war frei über ein wunderschönes Tal, in dem die Wolken unter uns lagen. Die Terrasse direkt am Hang wurde zu einem beliebten Platz, auch wenn die Temperaturen durchaus etwas wärmer hätten sein können. Jetzt wurde es spannend! Die Betten wurden verteilt. Nach welchem Muster? Ich weiß es nicht. Jedenfalls landete ich in einem Zimmer mit fünf Doppelstockbetten, natürlich oben. Gemischte Belegung, drei Männer, sieben Frauen. Etwas hilflos stand ich vor dem Bett. Die Pilgerschwester unter mir fing sofort an, sich einzurichten. Einmalbettlaken und Kissenbezüge lagen auf jedem Bett. Platz für die Rucksäcke gab es eigentlich nicht, also irgendwie auf den Fußboden am Bettende. Ohne aktiv zu werden, ging ich erst einmal raus. Ich musste meine Gedanken sortieren. Wo bist du hier gelandet? Aber alles innere Gejammer nutzte nichts; auch ich musste mich einrichten. Also zurück ins Zimmer, Bettlaken ausgebreitet, Schlafsack rausgeholt und ausgebreitet (nur gut, dass ich zu Hause schon mal eine Nacht darin geschlafen hatte und so wusste, dass es funktioniert). Was brauchte ich denn sonst noch aus dem Rucksack? Waschzeug, Handtuch, neues Shirt, Socken? Irgendwann war ich so weit, dass ich auch duschen gehen konnte. Jeder hatte bei der Bettzuweisung eine Münze bekommen, die für fünf Minuten Wasser in der Dusche ausgelegt war. Zwei Duschen für Männer waren da. Jetzt hieß es aufpassen, wann wieder eine frei war. Wie gut, dass ich Badeschuhe mitgenommen hatte. Der Raum stand unter Wasser. Münze in den Automaten und Wasser marsch. Warmes Wasser kam von oben, und die Zeit reichte tatsächlich, um vernünftig zu duschen. Ich musste ja auch meine Haare waschen, denn der Vogelschiss war noch in Erinnerung. Da ich nicht wusste, wie ich die Handtücher hinterher wieder trocken bekommen sollte, hatte ich nur das kleinere von beiden mitgenommen. Wie aber damit alles abtrocknen? Und dann das merkwürdige haptische Gefühl beim Anfassen des Handtuches. Aber irgendwie hat es geklappt: Mit einem sauberen Gefühl ging es in den Schlafraum zurück. Ich hatte bemerkt, dass meine Vorduscher, insbesondere die Frauen, ihre jeweiligen nassen Sachen auf eine Leine gehängt hatten.

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