Читать книгу Bon Camino - Mit 70 auf dem Jakobsweg - Reinhold Heers - Страница 7

Der noch freie Platz war meiner. Was Shirt und Socken anging: Die wollte ich am nächsten Tag noch mal tragen. Wozu hatte ich viel Geld für Merino-Sachen ausgegeben? Der Verkäufer hatte doch auf die Vieltrageeigenschaft extra hingewiesen. Und der nächste Tag würde wieder schweißtreibend sein. Jetzt kam eine entspannte Phase: Ich saß auf der Terrasse zusammen mit Bernd, ein (oder zwei?) Glas Wein bewirkten eine gewisse Lockerheit. Das Wetter klarte auf, und ein herrlicher Blick über das weite Land mit den Bergen und Tälern entschädigte wirklich für den mühsamen Aufstieg – und die erste Berührung mit einer Pilgerherberge. Für 18.30 Uhr war das gemeinsame Abendessen angekündigt: das berühmte Pilgermenü, das mich während der ganzen Zeit positiv begleiten sollte. An einfachen Holztischen versammelten wir uns alle im Speiseraum. Buntes Stimmengewirr sorgte für eine lebhafte Lautstärke. Nach einer Gemüsesuppe, die prima schmeckte und auch ausreichend vorgehalten wurde, gab es Hähnchenteile mit Kartoffeln und Gemüse. Selbst vegetarische Kost war nach Vorbestellung vorhanden. Dazu natürlich Weißbrot, Wasser und Rotwein. Es konnte nachgeschenkt werden. Abgeräumt wurde gemeinsam. Die Wirtin hielt eine kleine Ansprache, begrüßte uns und forderte uns auf, dass wir uns vorstellen sollten. Es war wirklich ein gemischter Haufen: US-Amerikaner, Engländer, Belgier, Italiener (einer von ihnen hielt eine Rede auf Italienisch, doch keiner verstand ihn!), Spanier, drei Deutsche, Japaner (sprach keine Fremdsprache), Südkoreaner, Taiwanese, Moldawier. In der Überzahl waren es Frauen, nur ein Paar war dabei. Und dann kam die Nacht! Katzenwäsche am Abend: Welcher Waschplatz ist frei? Welche von den zwei Herrentoiletten? Eine war gleich in einem Holzverschlag neben unserem Raum, aber nachts nicht beleuchtet. Es war schon speziell. Gegen 21.00 Uhr waren alle in den Betten. Irgendwie war ich auch in meinem oberen Bett angekommen. Die Ersten waren schon eingeschlafen, da ging immer wieder die Tür auf und zu. Bums! Raschel-raschel! Von Einschlafen bei mir keine Spur. Was ich allerdings jetzt gut kann, ist zu unterscheiden, ob Männlein oder Weiblein schnarcht. Und Schnarchen unterschiedlicher Menschen kann sogar in einem gewissen Einklang ablaufen. Irgendwann bin ich dann wohl doch eingeschlafen. Aber die Nacht war für mich kurz, denn gegen 06.00 Uhr war bereits allgemeines Aufstehen. Unruhe nicht nur in unserem Raum. Mein erster Gedanke: Gang zur Toilette, noch war sie frei. Tag 3 – 26.05.2018 Orisson–Pass Collado Lepoeder–Roncesvalles–Burguete Unterkunft: Hotel Rural Loizu Strecke: 22 km, 620 Höhenmeter,
Aufstieg auf 1420 m, 9 Stdn. Der Blick nach draußen verhieß nichts Gutes: Es regnete in Strömen. Um so sparsamer war ich mit dem Wasser beim Waschen. Kurzes Zähneputzen, und fertig. Und trotzdem brauchte ich meine Zeit, denn ich musste ja meine Sachen noch zusammenpacken: Auch das will geübt sein. Der Schlafsack musste schließlich in den kleinen Beutel. Mit allen Sachen ging es dann kurz nach 07.00 Uhr in den Speiseraum zum Frühstück – oder was man dazu sagen soll: Pott Kaffee, zwei halbe Weißbrotstangen, Butter und Marmelade. Nun ja, es war eine kleine Grundlage. Die ersten Pilger waren schon weg, andere zogen ihre Regensachen an, wieder andere liefen mit dem Poncho los. Sah nicht gerade aus wie auf einer Modenschau. Aber auch mir blieb nichts anderes übrig, als den Poncho aus dem Rucksack zu holen. Wie man damit wohl pilgern kann? Bernd hatte auch so seine Probleme, denn bei ihm war der Regenschutz noch original verpackt und musste erst ausgepackt werden. Doch irgendwann ging es los, und wir waren nicht die Letzten. Bernd lief mit flottem Schritt los – bis er anfing zu schnaufen und langsamer wurde. Wir fanden dann unser gemeinsames Tempo. Es sollte ja über 15 km fast immer nur bergauf gehen. Kräfte einteilen. Nach etwa 5 km stand eine Marienfigur auf einem großen Felsen und blickte über ein Tal, das wir wegen des miserablen Wetters nicht sehen konnten. Aber was war noch schlimmer? Ein Auto kam von unten angefahren und fünf Pilger stiegen aus, um von hier aus ihren Weg fortzusetzen. Das geht doch gar nicht! Auch wenn der Regen immer mal Pause machte, an ein Ausziehen des Ponchos war nicht zu denken. Zum einen war es relativ kalt, und es ging ein heftiger Wind. Hinzu kam, dass der Poncho dicht war und somit der Rucksack trocken blieb, ich selber aber stand im Schweiß. Nach etwa drei Stunden des Pilgerns verspürten wir beide Hunger und Durst. Wir fanden ein schönes Plätzchen, kurzzeitig ohne Regen, und ließen uns das in Orisson gekaufte belegte Baguette gut schmecken. Andere Pilger gesellten sich zu uns. Trotz allem: fröhliche Stimmung. Das sollte sich bald ändern. Wir waren nur wenige Minuten wieder auf dem Weg, als ein bis dahin in der Ferne grummelndes Gewitter immer näher kam. Und mit ihm Sturm, Regen und Hagel. Aber in so einer Stärke, dass es schwierig war, auf den Beinen zu bleiben. Die Hagelkörner prasselten auf uns ein, es schmerzte. Blutende Lippen waren bei einigen Pilgern zu sehen. Dabei hatten wir noch Glück: Die einzige Schutzhütte war in Sichtweite. Also nichts wie hinein. Wir standen wie die Heringe, dicht gedrängt. Es konnten nicht alle r ein. Die, die draußen bleiben mussten, verkrochen sich hinter Felswänden, legten sich in Mulden. Zwei Frauen wurden regelrecht umgepustet. Nach einer halben Stunde war das Schlimmste vorbei, was Gewitter und Hagel anging. Also: Weiter ging es, immer bergauf. Der Weg voller Geröll, die Wassermassen liefen den Berg runter, schwieriges Gehen. Ich musste immer an die sonnendurchfluteten Bilder im Pilgerführer denken. Das sollte ich so nicht erleben. Aber so schnell das heftige Wetter kam, so schnell war es dann auch wieder vorbei. Als wir am Pass ankamen, schien die Sonne. Es war zwar noch windig und nicht sehr warm, aber endlich war ein schöner Blick in die Ferne und zu den umgebenden Bergen möglich. Ein freies Durchatmen und Auftanken der Kräfte. Ja, es war sogar irgendwie ein erhebendes Gefühl, den Pass und damit die höchste Stelle der Pilgerreise erreicht zu haben.

Оглавление

Bon Camino - Mit 70 auf dem Jakobsweg

Подняться наверх