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Geleise in die Geborgenheit

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Auf dem Bahnhof der Kirche der Gegenwart müssen Geleise in die Geborgenheit angeboten werden. Christentum besteht gewiss nicht nur in Streicheleinheiten. Es gibt aber eine unausrottbare Sehnsucht des Menschen nach Geborgenheit. Ich glaube, dass dieses Angebot an Geborgenheit zutiefst dem entspricht, was der Herr gesagt hat, aber in der Kirche von heute zu wenig gepflegt wird. Wir sind unzählige Male in den Beichtstühlen gesessen. Was hat es da für Fixierungen gegeben. Für zahlreiche ganz brave Christen ist die Todsünde der normale Zustand gewesen, aus dem sie vielleicht zu Ostern, Portiunkula, Allerheiligen, Weihnachten herausgekommen sind. Wir haben die Züge in die Geborgenheit blockiert.

Züge in die Geborgenheit sind deshalb so wichtig, weil die Menschen von heute in einer entbergenden Welt leben. Schauen Sie die Kinder an, die aus zerbrochenen Ehen kommen. Schauen Sie die Städte an mit ihrer Dichte und ihrer Hast. In diesem Vielerlei gibt es eine Entbergung durch Vermassung und Isolation. Je mehr die Zusammenballung der Menschen erfolgt, umso mehr gibt es Isolation, die Entbergung ist, mangelnde Geborgenheit. Dann gibt es Entbergung durch ständige Überproblematisierung. Wenn der Glaube immer nur ein Problem ist, dann geht einem das auf die Nerven. Es gibt dann Entbergung durch optische Kaskaden und Lärm, durch mangelndes Wertebewusstsein. Werte bieten Geborgenheit. Verfall der Werte nimmt dem Menschen die Heimat. Dann gibt es die Entbergung durch praktischen Gottesverlust. Makaber und symbolisch zugleich ist es, dass das Urbild der Geborgenheit durch Kultur und Theologie herauf der Mutterschoß ist. Dies ist der gefährlichste Ort heute. Nicht in Kroatien, nicht im Zweiten Weltkrieg, nicht in Somalia starben und sterben die meisten Menschen, sondern im Mutterschoß. Deshalb muss die Kirche auf dem Bahnhof der Gegenwart Züge in die Geborgenheit anbieten. „Schalom“4 drückt diese Geborgenheit aus. Wir kennen aus dem Alten und Neuen Testament das hebräische Wort: „Rächäm“. Wir übersetzen es mit Gnade. „Denn ewig währet seine Huld.“ Dieses Wort begleitet uns durch die ganze Offenbarung hindurch. Damit ist alles ausgedrückt, was aus liebender Zuneigung Gottes für den Menschen da ist. „Rächäm“ bedeutet Mutterschoß. Ein mütterliches Element ist zum Ausdruck der Liebe Gottes geworden. Der Sprache nachzuforschen, führt zum Kern.

Schreiben wir uns aus der Schrift heraus, wie oft Christus als der Bergende auftritt. „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid …“ Dieses Wesentliche des Bergenden müssen wir betonen. Wir dürfen aber auch das menschlich Bergende nicht vergessen. Bergende Bezüge wie Wiederholung gehören zum Menschen. Wenn es jedes Mal anders wird, wird der Mensch verunsichert. Es gibt viele Formen des Bergenden, aber jeder weiß, dass der Mensch, damit er sich geborgen fühlt, gewisse bleibende Formeln braucht. Sie sollen einfach sein, nicht theologisch überladen. Das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, das Ave Maria sind solche Formeln. Dies darf zwar nicht übertrieben werden. Nehmen Sie einem Tier den Rhythmus, den es hat. Wenn man dem Wild mit einem Zaun den Wechsel verändert, reagiert es aggressiv. Manche Tiere sterben.

Das Kind braucht bergende Vollzüge, die bleiben müssen. Das heißt nicht, wir bleiben die Alten. „Singt dem Herrn ein neues Lied“ habe ich vergangene Woche hier im Priesterseminar gesagt. Es braucht aber auch die bergende Weise, die das alte Weiblein vor 70 Jahren gehört hat. Es braucht Dinge, die den Leuten vertraut sind: die bergende Formel, das bergende Bild, die bergende Musik. Die Heilige Schrift hat, Gott sei Dank, sich mehr mit Bildern befasst als mit Begriffen.

Ich bin überzeugt, dass der Zug in die Geborgenheit voll wird. Nur wenn der Mensch ein gewisses Maß an Geborgenheit hat, kann er auch Mut entwickeln, hinausgehen, aufeinander zugehen. Es ist wie beim Eisklettern. Ich kann eine Extremität nur bewegen, wenn die drei anderen Extremitäten an der Wand kleben. Das ist im Spirituellen ganz gleich. Nur der Mensch, der eine innere Beheimatung hat, kann etwas wagen. Papst Johannes XXIII. hatte eine tiefe traditionelle Frömmigkeit und einen Mut, der nicht nachvollziehbar ist.

Mit gläubigem Herzen und wachem Geist

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