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Rast unter dem Baum

25 JAHRE DIÖZESE INNSBRUCK
(1989)

„Das Senfkorn ist zwar das kleinste unter allen Samenkörnern, aber wenn es ausgewachsen ist, ist es das größte von allen Gartengewächsen und wird zu einem Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und darin wohnen …“

(Mt 13,32)

Mit dem Blick auf diese Stelle des Evangeliums darf ich wohl nicht nur die Kirche als Ganzes, sondern auch die Kirche von Innsbruck im Besonderen mit einem Baum vergleichen. Es ist ein uralter Baum in unserer Heimat Tirol, unter den ich mich da niederlasse, fast so alt wie jene berühmten, gewaltigen Lärchen im Ultental, für die die Wissenschaftler ein Alter von beinahe 1800 Jahren errechnet haben sollen.

Da sind 25 Jahre Diözesangeschichte natürlich nichts. Aber es sei mir erlaubt, mich zu diesem Anlass unter diesem Baum hinzustrecken und über dieses merkwürdige Gebilde nachzudenken, den alten Stamm mit der rissigen Rinde, die ausladenden Äste und das doch immer wieder sich erneuernde Grün des religiösen Lebens, durch das die Sonne schimmert.

Romantisches Träumen erlaubt dieser Baum nicht. An seiner Krone zerren die Wetter und Winde der Zeit, und beides fällt von ihm herunter: Früchte und dürre Äste.

Aber es tut gut, die Hektik des kirchlichen Alltags mit dem verwirrenden Vielerlei des Aktuellen zu unterbrechen, und einmal dem lebendigen Ganzen nachzusinnen, das dieser breitausladende Baum des Gottesreiches darstellt, die tragenden Äste hinaufzuverfolgen, wie sie sich verteilen, verzweigen und überschneiden und schließlich doch irgendwo eine gemeinsame Gestalt finden, wie es bei jedem Baume ist.

Es geht mir nicht um Analyse und exakten Überblick. Mit den Instrumenten der Statistik und der Sonde des Soziologen vermag ich nicht besonders gut umzugehen. Es gelingt mir nicht, distanziert-exakt prüfend hinaufzuschauen in diese Lebendigkeit der Strukturen, die man sieht. Es geht mir auch um das, was man nicht sieht.

Natürlich müsste man sich darüber klar werden, an welchen Ästen die Früchte zukunftsträchtig schwerer hängen, oder wo ein Ast in einen Schattenwinkel hineinwächst, in dem nicht viel gedeihen kann. Wer einen Baum betrachtet, muss freilich alle Ungeduld ablegen. Bäume wachsen nicht im Zeitraffertempo der Macher. Vielleicht hat Christus für sein Reich absichtlich so viele Gleichnisse der Geduld gewählt: sprossende Bäume und reifende Saaten, nächtelang rudernde Fischer und wartende Jungfrauen mit den Lampen … Und noch eines hat der Herr vom Baum wie vom Weinstock betont: dass die Vielfalt eine geheimnisvolle Einheit bildet, dass sich alles aus einem Stamme verzweigt, und sein Leben aus Wurzeln erhält, die in der Tiefe verborgen liegen.

Aber nun hinein in das Geäst und Gezweig des kirchlichen Lebens!

Die Heilige Feier

Der erste Ast, den ich verfolge, wächst aus der innersten Mitte empor – und bleibt in der Mitte: Es ist der Ast der Heiligen Feier, der Ast der Mysterien, der Eucharistie, der Sakramente. Es war die besondere Sorge des letzten Konzils, sich um das strömende Leben und Blühen dieses Astes zu kümmern. Wie steht es bei uns mit diesem Ast? Wenn ich zum Beispiel an den Sonntag denke, dann gibt es da natürlich auch Entfremdungserscheinungen, Verständnisverlust und zeitgemäße Unverbindlichkeit. Aber im Ganzen gesehen ist dieser Ast doch in dem Menschenalter, das ich überblicke, um eine Welt lebendiger geworden, verjüngt und wesentlicher. Ob ich jetzt an die leise Intimität einer Roratemesse in der Hochschulgemeinde denke, oder an irgendeinen Firmgottesdienst im kleinen Bergdorf, an die große Liturgie mit dem Papst am Bergisel oder an die Osterzeremonie in den Pfarrgemeinden – es hat sich viel getan an diesem Ast. Und dass bei einem derartigen Vitalitätsschub der eine oder andere wilde Trieb ausschießt, ist mehr Naturereignis als Katastrophe.

Mit gläubigem Herzen und wachem Geist

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