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Einführung

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Reinhold Stecher war nicht nur ein im ganzen Land geschätzter Bischof, Autor von Büchern, die auf Bestsellerlisten stehen, und begabter Hobbymaler, dessen Bilder Jahr für Jahr auf einer Vernissage versteigert wurden, um mit dem Erlös beachtliche Brunnenprojekte in Albanien, Brasilien und vor allem in Afrika zu finanzieren, er war auch ein begnadeter Redner, ein Meister des gesprochenen Wortes. Wo immer er zu Vorträgen und Ansprachen bei festlichen Anlässen eingeladen wurde, war er es, der dem Ereignis das eigentliche Glanzlicht aufgesetzt hat. Hilde Domin hat einmal geschrieben:

Wir Pächter und Weinbauern des Lebens essen Brot und trinken Wein, aber wir leben vom Glanz.

Reinhold Stecher hatte die Gabe, dem Leben in seiner ganzen Vielfalt jenen Glanz zu verleihen, der den Alltag aufbricht und das Ewige ahnen lässt.

Geprägt von einer selbstverständlichen Gläubigkeit in der Familie, von der Lebensfreude seiner Mutter und ebenso durch die große Bibliothek seines früh verstorbenen Vaters, wurde er als junger Theologiestudent wegen der Organisation und Teilnahme an einer verbotenen Wallfahrt nach Maria Waldrast in Gestapohaft genommen und dann zur Wehrmacht einberufen. Er überlebte als einer der wenigen seiner Kompanie die fürchterliche Schlacht vom Ilmensee (1941/42) und wurde dann nach Nordkarelien in Russland abkommandiert. Dort begann der 3600 Kilometer lange Rückmarsch nach Norwegen mit Heimkehr nach Innsbruck im Herbst 1945. Gerade die dunkelsten Stunden im Angesicht des Todes haben sein Vertrauen in Gott und in gute Menschen vertieft und gestärkt. Aus der Zuflucht zu Gott erwuchs ihm Zuversicht. Nicht bloß in seinem bischöflichen Wahlspruch „Dienen und Vertrauen“, sondern auch in seinen vielen Vorträgen und Ansprachen geht es ihm immer wieder um das grundlegende Vertrauen, das dem Leben Weite und Tiefe verleiht. In Psalm 34,6 heißt es: „Blickt auf zu ihm und euer Antlitz wird strahlen“. Ja, es war so etwas wie eine geheimnisvolle Ausstrahlung, die in seinem Auftreten und seinen Reden spürbar wurden.

Gefragt war er nicht bloß als glänzender Redner, sondern immer auch als Bischof, der für alle da ist und Fenster öffnet hin zu dem Geheimnis, das wir Gott nennen.

Es gibt in der Biografie von Reinhold Stecher noch einen kaum wahrgenommenen Bereich, der für sein gesamtes Wirken bedeutungsvoll wurde. Nach seiner Priesterweihe hat er neben seelsorglichen Aufgaben über mehrere Jahre hinweg an einer Dissertation über die Weisheitsliteratur im späten Judentum gearbeitet. Diese zum Teil erst im zweiten und ersten Jahrhundert vor Christus entstandenen Bücher des Alten Testamentes zielen auf die Vermittlung von Lebenswissen, das zum einen in der Glaubenserfahrung Israels und zum anderen im Gespräch mit der zeitgenössischen Kultur wurzelt. So will der Verfasser des Weisheitsbuches den Gebildeten seiner Zeit zeigen, dass sein Glaube echte Weisheit ist, und den Glaubensgenossen sagen, dass ihr Glaube der philosophisch-heidnischen Welt ebenbürtig ist. Im Buch der Sprüche geht es um Lebensbewältigung im umfassenden Sinn, oft in enger Berührung mit der Weisheit Ägyptens und des Zweistromlandes. Zentrales Thema ist die menschliche Existenz unter individuellen, gesellschaftlichen und religiösen Gesichtspunkten, aber auch die unbelebte Natur, Pflanzen- und Tierwelt. Aber alles steht unter der großen Überschrift „Initium sapientiae est timor domini“ – „Der Anfang aller Weisheit ist die Achtung vor dem Herrn“ oder frei übertragen „Die Kenntnis des Heiligen ist Anfang und Wurzel aller Erkenntnis und Bildung“. Der Weise ist ein Mensch, der überlegt, sich geschickt und sachkundig verhält, der klug und kundig das Leben bewältigt und meistert. Die Sprache der Weisheit ist eine poetische, die primär nicht Wissen, sondern gläubige Lebenserfahrung vermitteln will, oft in kurzen und prägnanten Sprüchen. Diese äußerst knappen Hinweise auf die Weisheitsliteratur des Alten Testamentes nehmen sich beinahe wie ein Porträt von Reinhold Stecher aus! Vergeblich sucht man in seinem schriftlichen Nachlass nach wissenschaftlichen Arbeiten, aber hinter allem, was er gesprochen und geschrieben hat, blitzt immer wieder ein großes und breitgefächertes Wissen auf. Kurze Hinweise auf bedeutende Gestalten der Humanwissenschaften, der Literatur und Theologie legen Zeugnis davon ab. Mit „wachem Geist“ suchte er in den verschiedensten Themenbereichen nach einer tragfähigen Synthese von Glaube und Vernunft mit dem Ziel, den Menschen zu dienen, wie er es in seinem programmatischen Wahlspruch „Dienen und Vertrauen“ zum Ausdruck gebracht hat.

Reinhold Stecher war auch mit Leib und Seele Tiroler. Er kannte Land und Leute wie wenig andere. Er hat das Gespräch mit Universitätsprofessoren und Künstlern genauso gesucht und gepflegt wie mit einfachen, kranken und alten Menschen. Daher waren seine Vorträge auch wirklich geerdet, ganz gleich, vor welchem Kreis er gesprochen hat.

Neben vielen anderen Ehrungen wurde er im Jahr 1994 „für seine Verdienste um die Schaffung eines Klimas der Toleranz und des Dialogs“ von der Universität Innsbruck mit dem Ehrendoktorat der Philosophie ausgezeichnet.

„Kirche im Wandel der Zeit“, „Natur und Heimat“, „Christsein in der Welt von heute“, „Berufe und Berufung“, „Wachsen und Reifen“ und „In Sorge um das Humanum“ sind die Themen dieses Buches. Den Abschluss bildet die Festansprache zum 50- und 25-jährigen Bischofsjubiläum von Kardinal Franz König und Weihbischof Helmut Krätzl im Rathaus von Wien.

Die hier abgedruckten Vorträge und Ansprachen wurden in der Zeit von 1985 bis zum Jahr 2012 gehalten und tragen selbstverständlich auch Spuren dieser Zeit- und Gesellschaftssituation. Wenn sich einzelne Bilder und Gedanken wiederholen, so ist das ein Hinweis darauf, welches Gewicht sie für Reinhold Stecher haben.

Jeweils am Beginn der einzelnen Kapitel werden Adressaten und Themen vorgestellt.

Innsbruck, im Herbst 2013 Klaus Egger
Mit gläubigem Herzen und wachem Geist

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