Читать книгу Falsche Annahme - Renate Amelung - Страница 6
4
ОглавлениеElisa schraubt den Abfluss zusammen. Stellt den Eimer in die Ecke und wäscht sich die Hände und sucht das Handtuch vergebens. Er streift das Wasser von den Händen und krempelt die Ärmel ganz langsam wieder runter. Rebecca sieht ihn verwundert an. Will er nicht endlich verschwinden? Mit ein paar Schritten steht Elisa am Schreibtisch, schaut auf den Drucker und legt den kleinen Hebel um von Umschlagformat auf Din A 4. Der Drucker benimmt sich anständig. Elisa grinst.
“Klempner am Drucker, ich spinne”, sagt Berthold.
“Handwerker kommen auch nicht um den Fortschritt herum”, sagt Elisa, “im Handwerk hat man schon mit dem Computer gearbeitet da haben Sie allesamt noch im Zehnfingersuchsystem auf der alten Adler gehämmert und die Tippfehler mit Tip-ex kaschiert.”
“Eine Frage, sind Sie der Chef?”, will Berthold wissen.
“Sozusagen, mein eigener Chef”, antwortet Elisa.
“Schade, dann kann ich mich nicht beschweren”, knurrt Berthold.
“Wer will sich beschweren?”, fragt Staatsanwalt Lachmann.
“Niemand”, sagt Rebecca.
“Und, Frau Eden, wie bist du mit ihm zurechtgekommen?”
“Gut das Wasser läuft wieder einwandfrei ab.”
“Das Wasser!?” Lachmann stutzt verwundert.
“Ja das Wasser im Spülbecken”, bestätigt Elisa.
“War der Klempner schon da? Ich versteh nicht, heute ist Sonntag”, sagt Lachmann.
“Elisa was hast du vor?”, fragt Rolf Lachmann.
“Stimmt es ist Sonntag!”, murmelt Rebecca. Oh verflucht! Lachmann duzt nie im Leben einen Klempner. Was ist alles gesagt worden? Der ausgewachsene Pfadfinder schmunzelt viel zu frech. Es wäre an der Zeit ihre Selbstverteidigungsübungen aufzufrischen und ihm das Grinsen aus dem Gesicht zu holen. Sie wirft ihre Vorstellung von hornbrilliger Psychologin über den Jordan und wandelt in handlicher Bursche im vollen Harnisch. Nur bitte, wie klärt sich dies jetzt auf?
“Auffallend!”, bekräftigt Bettina. Und rückt ihre Bluse zu recht.
“Kaffee trinken wäre gut”, sagt Elisa und schaut dabei in erstaunte Gesichter.
Rebecca tritt Bettina unauffällig auf die Füße und hemmt somit die Befehlsaufnahme, die Kaffeemaschine in Gang zu setzen. Machtübernahme von einem Mann in ihrem Reich und Macho freie Zone kommt nicht in Frage.
“Nun Frau Eden, wie schaut es denn aus mit einem Tässchen, für Herrn Doktor Emilian und mich?”, fragt Lachmann.
“Nur Emilian!”, betont Elisa zähneknirschend. Und nun will er endlich den Händedruck dieser Frau spüren. “Frau Eden, Frieden?”
“Herr Emlian, richtig?”, sagt Rebecca.
“Richtig!”, bestätigt Elisa.
“Also Herr Emilian, wenn Sie die Spielregeln beachten.” Sie reicht ihm die Hand und verbucht dabei die ersten Übertretungen. Der Händedruck erweist sich als zu fest und er tritt bedrohlich unter die Meter-Grenze, sein Aftersave kribbelt in ihrer Nase. Minutenlange Sekunden treffen sich ihre Augenpaare. Sie hatte vorhin richtig gesehen, moosgrün, warm und sensibel.
Rasch schiebt sie Bettina vor. “Frau Kämpf.” Bettina hat ihr süßestes Lächeln parat und startet gleich zur Kaffeemaschine durch.
“Herr Blume und Herr Möller”, sagt Rebecca.
“Und jetzt?”, fragt Elisa.
“Und jetzt”, sagt Rebecca, geht um den Tisch herum und gibt Elisa den Stapel frisch ausgedruckter Unterlagen. “Ich denke Sie lesen das und wenn Sie dann Fragen haben können wir das besprechen danach zeige ich Ihnen etwas.”
“Ich denke ich lese es nicht.”
“Aha, wie war das mit den Spielregeln?”, fragt sie.
“Ich kann es nicht lesen.”
“Sind Sie Analphabet?”
“Nein, fast blind, heute”, sagt Elisa.
“Und Morgen?”
“Habe ich meine Brille dabei.”
“Okay, dann kommen Sie mit!”
“Und der Kaffee?”, will er wissen. Erntet einen Tötungsblick und eilt ihr schnell hinterher. Im Türrahmen prallt er fast mit Rebecca zusammen. “Es war der Gärtner.”
“Wie bitte?”, fragt sie.
“Der Gärtner, es war immer der Gärtner, selbst wenn er es nicht war, auch in dem Fall Gärtner, er war es.”
Hilfesuchend schaut sie zurück in die Runde ihrer Kollegen die mit ebensolchen betretenen Mienen dastehen. Nur Lachmann schmunzelt und freut sich über den Kaffee den Bettina austeilt.
“Ich habe die Akte gelesen als ich auf Sie gewartet habe”, sagt Elisa, “es ist bestimmt der Gärtner. Er hat sich selber umgebracht und hat die Tat so fingiert, dass man Direktor Hauser verdächtigt, aus Rache und wenn Sie ihn schon nicht verhaften so wird es doch seinem Ansehen schaden.”
“Moment, ich denke Sie können heute nicht lesen!”
“Ich kann mich schlecht wieder mit Ihrer Lupe da hinsetzen, das schadet den Augen und meinen Nerven.”
Rebecca Eden bleibt auf der Stelle stehen, grübelt, schwenkt um. “Sie bleiben einen Moment hier auf dem Gang, ich komme gleich!” Die Anweisung ist unmissverständlich, dass er nicht anders kann und Folge leistet. Rebecca verschwindet hinter der nächsten Tür. “Hallo Bernd.”
Bernd schaut erstaunt auf. “Also, so schnell sind wir nicht Rebecca”, sagt Bernd. “Spurensicherung ist keine Sache von Minuten, das ist filigrane Arbeit.”
Das stört sie wenig. “Der Fall Gärtner.”
“Gärtner!? Wie kommst du jetzt auf den?”
“Gärtner! Kann er sich selbst hingerichtet haben?”
“Also nach Sachlage der Dinge wäre es sicher möglich, aber wieso...”
“Danke, dann will ich, dass ihr die Spuren dahingehend gründlich untersucht. Geht noch Mal raus und nehmt alles unter die Lupe, stellt es nach weiß der Geier was und packt alles in einen schönen satten Bericht den ihr mir kommende Woche vorlegt, ciao, Bernd!” Sie hört ihn beim Verlassen des Raums fluchen, dann warnt sie Elisa Emilian, “bleiben Sie dastehen, ich habe Sie nicht vergessen!”
Sie betritt ihr Büro, lächelt Lachmann so lange gekünstelt an, bis er die Tasse abstellt und das Terrain verlässt. “Wolltest du nicht eine Blindenführung in die Gerichtsmedizin machen?”, fragt Karsten.
“Ja, kommt noch. Der Bachmann ist doch geständig”, stellt Rebecca fest.
“Ja. Was willst du damit jetzt?”, fragt Bettina.
“Den Vorgang aus der Schublade holen. Bettina, du schreibst den Bericht neu und fuschelst ihn um. Du gehst zurück bis zu dem Zeitpunkt bevor das Alibi von Bachmann zusammenbricht, baust ein paar nette kleine Verwirrungen ein und druckst das Dokument schön groß aus. Und drapierst es unauffällig, auffällig auf deinem Schreibtisch. Ich will, dass man, Mann, die Akte ohne Alterssichtigkeitsbrille lesen kann, wenn man nicht gerade mit der Nase drauf hängt. Die Arme scheinen mir lang genug.”
Bettina rollt mit den Augen. “Er hat ein verdammt langes Fahrgestell, und was viel wichtiger ist, er ist Junggeselle!”
“Bettina!”, zischt Rebecca. “So und jetzt scheuch ich den Mann in die Kältekammer, damit er weiß, dass er keinen Spaziergang durch die Polizeischule, Abteilung hungrige Damen vor sich hat.”
“Er hat einen schönen Arsch! Den Bericht schreib ich”, sagt Berthold.
“Berthold! Übrigens ich hatte nicht den Eindruck, dass er auf den G-Punkt fixiert ist. Ach, ist egal wer ihn schreibt, Hauptsache Glatteis!”, sagt Rebecca.
“G-Punkt?”, fragt Bettina.
“Das ist, wenn du deinem Liebsten den kleinen Finger in den.... Lass dir das von Berthold erklären, er profitiert vom G-Punkt”, sagt Karsten.
“Schluss jetzt!”, sagt Rebecca, “und Berthold, wenn er zurück ist wird er einen starken Kaffee benötigen. Ich werde dafür sorgen, dass er sein Frühstück nicht vergisst.”
“Rebecca, musst du ihm gleich am ersten Tag beibringen wie wenig du vom starken Geschlecht hältst?”, mahnt Berthold.
“Ja, das kann er nicht früh genug wissen! Er muss nicht denken, dass er sich hier breitmachen kann, weil er ein Busenfreund von Lachmann ist. Karsten und Bettina ihr geht zu den Eltern der Toten.”
“Was?” “Wir?”
“Jetzt müsste Emilian da draußen langsam Wurzeln schlagen. Na warte Bursche, du wirst mich achten lernen!”, sagt Rebecca, “wollen Mal sehen ob wir zusammen Kirschen essen können.”
“Mir scheint das werden Piemont Kirschen, MON CHÈRI”, trällert Berthold.
Er steht tatsächlich noch brav auf dem Parkett, denkt Rebecca. Er hat also in der Kinderstube gelernt zu gehorchen und sie hätte, aus welchen Gründen auch immer gerne gewusst wo seine Wiege stand. Wie vorhin zieht Elisa die Hände aus den Hosentaschen. Die Geste wirkt genau wie vor einigen Minuten erotisch auf Rebecca, ohne zu wissen woher diese Erscheinung stammt. Flinken Schrittes geht sie an ihm vorbei und merkt, dass er im Schlepptau hängt. Brav, mein Lieber! Ein Seitenblick, reizvolles Profil, kecke gerade Nase, markantes Kinn. Möglicherweise ist er ja okay! Jedenfalls erlaubt ihm sein Rhythmusgefühl ihr Tempo exakt aufzunehmen.
“Hat Staatsanwalt Doktor Lachmann mit Ihnen gesprochen?”
“Ja, ziemlich genau.”
“Dann sagen Sie mir warum Männer das tun!”, fordert Rebecca.
“Kann ich nicht!”, antwortet er prompt.
“Sie sind doch ein Mann, dann müssen Sie mir doch die Vorgänge in diesen Hirnen erklären können. Was ich nicht verstehe ist, warum dieser Schweinehund sich nie an den Mädchen vergeht.”
“Ist das Leid nicht schlimm genug? Müssen sie noch aufgerissen werden und diese Pein ertragen?”
“Hoppla! Kommen Sie mir nicht auf einfühlsam!” Sie bleibt stehen und sieht in fordernd an. “Und wenn es ein Impotenter ist.”
“Glaube ich nicht.”
“Nein! Ist doch möglich. Ich mein es törnt ihn an und wenn er die Mädchen soweit hat fällt er zusammen wie Badeschaum. Der Spaß ist vorbei und er bringt die Kleine aus Verdruss über seinen Mangel um. Ist Ihnen das noch nie passiert?”
“Jemand umbringen?”
“Der Süße versagt zum schrumpeligen Wurmfortsatz.”
“Gelacht hat das Biest”, sagt Elisa.
“Und keine Erhärtungsversuche?”
“Das geht jetzt aber tief!”
“Pardon, ist mir so rausgerutscht”, sagt Rebecca.
“Ich habe an Mord gedacht, ab das tut ‘Mann’ doch nicht. Das ist nicht der Stoff aus dem ein Mord besteht. Der Stoff liest sich eher so; was vereint eine Frau und eine Fahrkarte? Einmal gelocht für immer entwertet, die unreine Gretel muss sterben wie bei Goethes Faust.”
“Schön dann sind Sie wieder bei der Wahrheit!” Rebecca schmunzelt, dabei muss sie das gütige Gesicht ihrer Mutter aufgesetzt haben. Er wirkt müde und doch hellwach.
“Könnten Sie ihr weibliches Sturmgepäck: Schnatterzunge, Lästermaul bei unserer Arbeit zu Hause lassen?”
“Kommen Sie! Ist das der Ausflug Ihrer Intelligenz an die Öffentlichkeit?”, fragt Rebecca.
“Stellen Sie mir eine Betriebsanleitung aus und sparen Sie solange ich noch lerne mich darin zurechtzufinden mit Ihren wundermilden Fouls. Kämpfen Sie nicht für eine Postemanzipation, wo die ersten Verfechterinnen der Frauenbewegung sich längst mit ihren Büchern eine goldene Nase verdient haben und von dem Geld nach Griechenland, Malediven oder Jamaika fliegen und sich da von einem richtigen Mann der Emanzipation nicht schreiben kann durch, vergessen Sie es, ...weil es hier keine Männer mehr gibt, außer solche die nachts ihre Stiefmütterchen bepinkeln. Im Sitzen!”
“Wo verbringen Sie Ihren Urlaub, in THAILAND! Doktor <emilian, was habe ich von Ihnen zu erwarten?”
“Nichts! Ich vernachlässige meine Privat-Praxis und halte mich im Hintergrund während Sie Ihre Arbeit tun, und werde wohl erzogen meinen Finger heben, wenn ich glaube mich mitteilen zu müssen. Und lassen Sie bitte den Titel weg! Ich habe ihn gemacht, weil es sein musste und nun steht er auf einem unbedeutenden Messingschild und auf Visitenkarten, das ist mehr als ich verkraften kann.”
“Doc-Landliebe in Wollsocken. Keine Sorge Vater Staat bezahlt, an statt Ihrer sozialpenetranten Politikerfrauen auf der Liege.”
“Das kann er nicht, dafür bin ich zu teuer.”
Elisa bleibt stehen. Das ist nicht nur ein muffiger alter Bau mit kleinen fast quadratischen Fenstern, sondern auch ein technisches Museum mit Erlebniseffekt. Er zeigt auf den Paternoster. “Muss ich da rein?”
“Nein, erste Tür. Gehen Sie voraus!”
“Was wird das?”, fragt Elisa.
“Gerichtsmedizin, ich meine Sie fangen da an wo alles anfängt!”
Elisa schluckt. “Muss das sein?”
“Bröseln Ihnen gleich die tönernen Füße weg?”
“Emanzenpipapo”, flüstert Elisa. “Ich weiß nicht was es ist, aber ich schlage vor, wir beginnen nochmals, und zwar ganz ruhig und mit Akzeptanz ohne anstrengende Programme scheinheiliger Schmeicheleien.”
“Okay, wer bezahlt Sie?”, fragt Rebecca.
“Der Regierungspräsident.”
Rebecca will die Tür öffnen, doch er hat die Klinke schon in der Hand. Sie rempeln heftig aneinander. Trottel, denkt sie. Elisa legt schützend den Arm auf ihre Schulter, Rebecca weicht mit dem Rücken an die Zarge. Das war ein fataler Fehler, er hat seine Hand am Türrahmen abgestützt und versperrt ihr den Weg. Es wäre ihr ein leichtes ihre Giftzähne in seinen Bizeps zu verbeißen und ihn allemal aus dem Verkehr zu ziehen. Es ist ihr wieder viel zu eng und er riecht verteufelt gut, aber er riskiert auch seinen warmen Tenor. “Das sind dann doch Steuergelder”, sagt sie, und schlupft unter seinem Arm durch.
“Ne, du, ab dem Vierzigsten...”, sagt eine weibliche Stimme.
Elisa Emilian ist über vierzig und unterdrückt die animalische Lust seiner rechten Hand über ihren Rücken zu gleiten, über ihren Po zu streichen, möglicherweise sich von dem Hauch ihrer erahnten Dessous erotisieren zu lassen.
“Ab vierzig sind sie megaout, ich habe doch keine Lust erst stundenlang an seinem Gemach zu manipulieren bis er startklar ist.”
“Ein Junger will immer und kann öfter.”
“Ein Alter kann länger.”
“Bedingt!”
Von der Kacheloptik ernüchtert, mit Druck in der Magengrube folgt Elisa Rebecca Eden. Der süßliche Geruch des Todes kriecht ihm in die Nase, setzt Erinnerungen frei, die Durchblutung seines Gehirns lässt merklich nach. Durch Watte hört er seinen Namen, fremde Namen die er sich in dem Zustand nicht merken kann. Er würgt. Der Lachs von gestern Abend verlangt nach einem Schluck Wasser. Besser ein Wodka, dann hält er hoffentlich das Maul. Wieder sein Name.
“Erst 13 Jahre.” Die Pathologin öffnet die Metallklappe in der Wand. In seiner Augenhöhe saust der Schubkasten aus dem Kühlschrank, wird barsch abgebremst. Der Kopf des jungen Mädchens fällt auf die Seite. Elisa eilt aus der Szene, rennt den Gang runter, erwischt unbestimmt wo eine Tür mit zwei Nullen drauf und tritt ein, irgendwo muss er mit der Galle im Mund bleiben. Die Handtasche saust knapp an seiner Schläfe vorbei dabei überfällt ihn schriller Zickengesang. Elisa schluckt bitter und wendet sich ab.
Türen am Sonntag sollst du meiden, sinniert Rebecca. Das ist bisher der heftigste Zusammenstoß mit diesem blassen Mann. Einem Impuls folgend streift sie Elisa sanft über die Wange. Das Ergebnis ist wie erwartet etwas rau? Sie eskortiert ihn an die frische Luft und organisiert ein Glas Wasser. Sie bereut den Entschluss der Pathologin Doktor Miller das winzige Zeichen gegeben zu haben so unsanft verfahren zu sein.
“Wann haben Sie gelernt zu wollen was Sie tun?”, fragt Elisa.
“Und, Sie, wann haben Sie es gelernt?”
“Bringen Sie mich zurück, ich will das Mädchen noch einmal sehen!”, fordert Elisa.
“Nein, vielleicht kommen Sie mit einem Foto auch zurecht.” Rebecca schaut auf die Uhr, wenn Bernd so zuverlässig ist wie sonst müssen die auf dem Schreibtisch liegen. “Bettina kocht einen ausgezeichneten Kaffee. Den können Sie sicher vertragen.”
Berthold sitzt wie erwartet vor dem Rechner und tippt unermüdlich.
Karsten hat eine besorgte Mimik aufgesetzt, während Bettina warmherzig lächelt und Elisa mit dem Aufputsch versorgt und ihm einen Stuhl anbietet. Rebecca nimmt gleich die Fotos zur Hand.
“Keine Parallelen, absolut nichts außer, dass sie auf der gleichen Schule waren und Hanna Nöll wie die Tote Nummer 3 Leonie Schmied erwürgt worden sind.”
“Mit viel zu kleinen Händen”, sagt Elisa. “Was Leonie Schmied betrifft. Ich glaube nicht, dass ihre Pathologin das als Todesursache in ihren Bericht schreibt. Es ist nie der gleiche Typ, sehr blond oder sehr Rot, das gefällt mir nicht.”
“Gut”, flüstert Rebecca. Sie dreht eine Schleife und tritt an das Fenster. Löcher in die Luft gucken war schon immer eine hervorragende Gedankenstütze. Der blaue Renault Rapid weckt wieder ihre Aufmerksamkeit. Im Augenwinkel sieht sie Emilian mit der Lupe hantieren und sein Kaffeebedarf ist außerordentlich hoch. Das stört Bettina nicht, die eifrig um ihn herum wuselt.
“Also fassen wir zusammen was es nicht gibt an Fakten”, sagt Karsten.
Rebecca übernimmt das Wort, “Jasmin haben wir an der Lauswardh gefunden. Da treibt die Strömung des Rheins alles an was zwischen Flehe und dem Düsseldorfer Hafen ins Wasser fällt. Das hat der Schäfer ausgesagt. Er hat selbst schon seine Lämmer da wiedergefunden und eine Menge brauchbarer Gegenstände. Es könnte also ein Unfall gewesen sein.“
Berthold steht auf und marschiert auf den Stadtplan an der Wand zu. Sein Finger fährt das rechte und linke Rheinufer in besagtem Planquadrat ab. Er schüttelt den Kopf. “Da ist nirgends ein Ufer an dem ein 13-jähriges Mädchen ins Wasser stürzt.”
“Was ist mit dem Neusser Hafen gegenüber”, wirft Bettina ein.
“Nichts, da ist keine Strömung außer die der Schiffsschrauben. Da dümpel ‘se ewig auf der Stelle”, belehrt Berthold.
“Außer”, sagt Elisa, “die Pritsche des Düsseldorfer Rudervereins.”
“Sie wird auch von den Germanen benutzt”, wirft Bettina ein.
“Was?”, stutzt Berthold. “Das ist doch unwichtig.”
“Die hatten 1960 die Goldmedaille in Rom”, bemerkt Bettina.
Berthold zeigt ihr einen Vogel. “Jedenfalls ist das Ding manchmal so glatt, dass es einem Eistanz gleichkommt. Und da schwimmse nit einfach ans Ufer. Bei dem Wasserstand ist an der Stelle verdammter Druck.”
“Dann ist aber auch oberhalb Flehe die Jücht überspült, dass bedeutet die Kleine kann auch in Benrath ins Wasser gekommen sein. Das bringt uns nicht weiter”, seufzt Rebecca. „Dazu hätte ich gerne Arndt von Kleist von der Wasserschutzpolizei gesprochen, aber der hat sich vom Acker gemacht.“
“Eher vom Kahn“, meinte Berthold.
“Sie kennen von Kleist?“ fragt Elisa.
“Ja. Schwer zugänglicher Bursche, aber äußerst kompetent was den alten Vater Rhein betrifft. Und Sie, kennen ihn auch?“
“Ich habe ihn kennen gelernt. Sehr gut sogar. Man kommt an ihn ran.“
“Lassen Sie mich raten. Nach dem Unfall, bei dem seine Frau starb, musste er bei Ihnen auf die Couch.“
“Korrekt.“
“Und war er an dem Unfall schuld?“
“Sie haben gestritten, wie so oft. Sie hat ihm ins Lenkrad gegriffen. Das ist doch bekannt.“
Rebecca zuckt mit den Schultern. “Sie meinen er ist eine ehrliche Haut.“
“Absolut.“
“Und das Geld aus dem Raub?“
“Er hat die Motoryacht vor der holländischen Grenze gestellt, mehr nicht.“
“Kurz danach hat er sich ein Segelboot gekauft und ist ausgestiegen.“
Elisa lacht. „Nein, von Kleist, niemals.“
“Karsten, Bettina, solltet ihr nicht die Eltern benachrichtigen?”, fragt Rebecca dazwischen.
“Nun, wir haben gedacht, wo wir doch neuerdings unter uns einen Spezialisten beheimaten...”, druckst Karsten.
“Ja, da ist es doch nur selbstverständlich, dass er das übernimmt”, bekräftigt Bettina, “Herr Doktor Emilian wird das doch sicher sehr einfühlsam erledigen können.”
Freundlich lächelnd kommt Rebecca auf Bettina zu, an welche Einfühlsamkeit Bettina dachte steht in ihren glänzenden Augen.
“Außerdem wohnen die Eltern in der Eifel, also, wenn Doktor Emilian das nicht übernimmt schicken wir einen Kollegen”, sagt Berthold, “ich würde mich natürlich zur Verfügung stellen ihn, Herrn Emilian, wenn sie mich benötigen, aber lieber würde ich noch Mal raus gehen in den Grafenbergerwald und meine Nase in den Boden stecken und wenn ihr mich nachher oben im Gehege des Wildparkes unter den Trüffelschweinen suchen müsst.”
“Telefon! Geh ran Karsten!”, sagt Rebecca.
“Warum ich?”
“Weil es auf deinem Schreibtisch steht und ich noch darüber nachdenke wo der Klempner nun wirklich steckt”, antwortet Rebecca. Berthold greift über den Tisch und hebt ab.” Ja - selbstverständlich - ja - ja - ach du dicke Scheiße!” Der Hörer sinkt vom Ohr, Berthold sieht Elisa an und streckt ihm den Hörer entgegen. “Für Sie.”
“Emilian, ja, ich komme!” Er legt auf, rafft alles zusammen was man ihm bereitstellte und sagt kurz, “addio! Ich melde mich wenn ich das durchgeackert habe.” Seine Visitenkarte klatscht auf den Tisch. Elisa verlässt den Raum. Rebecca sieht ihn wenig später in den Rapid steigen, unweigerlich schüttelt sie den Kopf. “Was war das für ein Auftritt jetzt?”
“Oh Scheiße, Scheiße!”, wiederholt Berthold.
“Berthold, wir wissen es.”
“Dem haben irgendwelche Leute sein Streetworker-Café in den frühen Morgenstunden abgefackelt.”