Читать книгу Falsche Annahme - Renate Amelung - Страница 9
7
ОглавлениеRebecca wählt den Weg über die Fährstraße, eine lange Allee an dessen Seite die Neubauten sich langsam durch die Felder Richtung Innenstadt fressen. Ob sie allerdings je die brisanten letzten Meter mit der Bannmeile Straßenstrich und den Anschluss Mc-Drive macht reich erreichen ist fraglich. Rebecca vermindert die Geschwindigkeit als die Augen ihres Beifahrers den Straßenrand absuchen. Sie biegt in die Völklinger Straße und nimmt gleich links den Südring. Immer geradeaus auf der pulsierenden Verkehrsader. Oberbilk ist wirklich kein Stadtteil der ihr zusagt. Da taucht er auf, der Stadtteil in dem die Eisenkugel vor Jahren wütete und den nahezu völligen Niederriss der alten verkommenen Häuser einläutete. Aufwerten nennen es die Stadtväter und gestatteten wütigen Architekten durch glasüberzogene Stahl Konstruktionen, neuem Amtsgericht, und Einkaufszentrum das hintere Bahnhofsviertel neu zu gestalten.
“Tragen Sie eine Waffe? Nur im Dienst oder heben Sie die Pistole auch zu Hause auf? Würden Sie die Waffe auch privat einsetzen?”
“Herr Emilian!”
“Sagen Sie doch!”
“Warum?”
“Mich interessiert es eben”, sagt Elisa.
“Was ist Ihnen den zugestoßen?”
“Warum?”
“Psychiater sind verletzte kleine Kinderseelen - habe ich Mal so gelesen zumindest so interpretiert.”
“Und haben nicht alle Nadeln an der Tanne. Das ist Geschichte. Mindenerstraße”, sagt Elisa.
“Mindenerstraße?”, will sie bestätigt wissen. “Ehrlich gesagt ich hätte etwas Exklusiveres, Kultiviertes erwartet.”
“Tja, und die Erde ist doch eine Scheibe. Halten Sie auf dem Gelände der Bosch-Vertretung!”, fordert Elisa. Er legt den Kopf zurück und schließt die Augen und spürt seine lädierten Knochen des harten Nachtlagers. Er geht in Gedanken noch einmal die Internats Zimmer des Jahrgangs sieben durch, die er sich vom Hausmeister zeigen lassen hat. Ein sinnloses Unterfangen.
Rebecca bremst parkt den Wagen. So was geht in seinen grauen Zellen nun vor? Gerade hat sie beschlossen ihn zu wecken da schlägt er die Augen auf. Rebeccas Hand zuckt von seiner Schulter zurück. Ohne Umschweife erteilt Elisa die Anweisung, dass sie hier auf ihn wartet und er nur fünf Minuten benötigt um eine Kaffeemaschine zu kaufen. Damit lässt er sie im Unklaren zurück und verschwindet hinter der Glastür da verschluckt ihn diffuses Licht. Er hält sein Versprechen, kommt mit einer werbebedruckten Plastiktüte zurück und zerrt Rebecca hinter dem Steuer vor. Sie ist viel zu neugierig um sich ihm zu wiedersetzen. So begleitet sie ihn forschen Schrittes über die Straße und biegt mit ihm in die Kölnerstraße ein, die fernöstlich anmutende Einkaufsmeile in Oberbilk. Der Kaffeeröster mit Kaufhausatmosphäre ist sein nächster Anlaufpunkt, den er bald darauf mit einer Großfamilienration Kaffeemehl und Filtertüten verlässt um gleich durch die nächste Ladentür deren Schaufenster mit weißem Papier abgeklebt sind zu rennen. Die Tür von Rebecca mit Sicherheitsabstand genommen steht sie mitten im Chaos. Farbeimer und durchsichtige Plastikfolie von vielen Füßen in Stücke gerissen. Möbel die sie nicht wagen würde vor Peinlichkeit auf den Sperrmüll zu stellen, sowie schrillbund, angestrichene Stühle aus den Epochen eines Jahrhunderts. Eine Frau um 30 stürzt an Elisa vorbei. Sie stutzt, wendet sich in Zeitlupe um und geht auf ihn zu, dann reißt sie Elisa die Tüten aus der Hand und bedenkt ihn mit einem dicken Schmatzer auf der Wange, ehe sie die Beute begutachtet.
“Suuuper Elisa, endlich Mal ‘ne Maßnahme! Kalle schmeiß das in Gang!”, sagt die Frau, und leitet die Kaffeemaschine an eine zwei-Meterlatte mit aufgestelltem Haarkamm.
“Hey Elisa ...”
“High Mona, jetzt sag nicht die Treppe runtergefallen!”, sagt Elisa zerknirscht.
“Die Stiegen abgestürzt! Machst du jetzt auf Establishment? Wo ist der Zopf?”
“Wer hat Sie skalpiert Cheffe?”, fragt die 2-Meterlatte.
“Ich würde sagen, Cheffe ist mit der Effilierschere gebürstet worden”, kickst ein weiblicher Teenie.
“Wie steht es jetzt mit Kaffee?”, fragt Elisa.
“Bescheiden, Till hat die Leitung gekillt, Strom ist alle”, sagt der Teenie.
“Wie das?”, will Elisa wissen.
“Der Kühlschrank hat sich nicht mit der Sicherung vertragen, da hat Till die Sicherung gewaltsam reingedrückt und solange festgehalten bis es im Keller gekracht hat. ... jeder A-tommeiler hat ‘nen Stromabschalter, aber unsereiner der hat Till.”
Das lässt sich Elisa nicht nehmen. “Jedoch, ... jeder Psycho-Thriller hat ‘nen Schraubendriller und ‘nen Plan vom Keller, wenn er will.”
“Elisa“, warnt Mona, “da muss jemand von der Stadt ran!”
“Bin ich nicht von der Stadt, Mona?”
“Stadtwerke”, berichtigt Mona.
“Klar, Taten! Statt Werke - auf sich warten lassen!”, sagt Elisa. “Benjamin, Besteck!”
“Eh - Taten - Sie, Sie haben, haben nicht zufällig an mich, an mich gedacht?”, fragt ein blasser Flachskopf. “Mein Vater, der, wenn der...”
“Sicher Manuel”, antwortet Elisa, fingert sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und entnimmt eine Streifenkarte der Rheinbahn, steckt sie ostentativ in die Brusttasche des Jünglings.
Rebecca hat sich etwas umgesehen, sie ist jetzt sicher, dass diese Agitation seinem neuen Streetworker-Café gewidmet ist. Außerdem erfreut sie sich ihrer wohlgeratenen Tochter mit der sie zwar heftige Dispute über die Kleiderordnung pflegt und dabei doch stets nachgiebig reagiert. Elisa Emilian entfernt sich. Im hintern Trakt brodelt das Leben, quirlige Stimmen und Lachen. Da zwischen ganz dünn hört sie diese Mona, “hat sich das mit Christine eingerenkt?”
“Wir streiten nicht mehr, die Fronten sind definitiv abgegrenzt”, sagt Elisa.
“Dann war der Aufwand umsonst? Das tut mir leid, Elisa. Und was willst du jetzt machen?”
Der Mob stürmt in wilder Hatz in die ehemalige Ladenzone, Geschosse aus Papierkugeln wechseln die Seiten. “Halt, zu mir!” “Hilfe!” “Voll peinlich!” “Ins Klo gegriffen!” “Salve Cheffe!” “Wer ist die Maus?” “Kein Plan!” “High Cheffe!” “Werf’!” “Ich krieg ‘ne Krise!” “Wie sieht Cheffe denn aus!” “Weißt du was ‘Gute Zeiten Schlechte Zeiten’ auf Türkisch heißt? Aldi auf Aldi zu...”
Die Quaste wird von der zwei-Meterlatte gegriffen und in den Putzeimer getaucht, dann schlägt er die Wasser triefenden Borsten in die Gruppe der Mädchen. Plötzlich ein nasser Putzlappen auf Havarie mit Rebecca, sie duckt sich, prompt klatscht der Lappen über ihr an die Wand und zu Boden. Ein trauriger Fleck ziert die frisch gestrichene Wand. Rebecca hebt den Feudel auf wirft ihn in die Mischpoke zurück. Splotsch! Die weiße Farbe spritzt aus dem Tiegel.
“Merde!”, ruft Elisa. “Giga Merde”, flüstert er. Und ob Rebecca das unangenehm ist, seine Jeans zieren weiße Kuh-Flecken und das Volk schüttelt sich vor Amüsement. Erstaunt registriert Rebecca, dass er keine Standpauke hält, da er nicht sehen konnte wer der Übeltäter seiner Designer-Jeans war wäre das normal. Elisa schnipst mit dem Finger. Grabesstille! Unterbrochen von einem vorbeifahrenden Rettungswagen mit Martinshorn.
Elisa ist auf dem Weg in den Keller. Bald landet der erste Tropfen im Kaffeepulver und entwickelt ein herrliches Aroma welches sich zwischen Farbgerüche, Salmiak und Moder mischt, sogar für einen Moment unterdrückt, als Elisa mit einem Becher ohne Henkel vor ihr steht.
“Elisa, wirfst du Mal rasch dein geschätztes Auge auf die Wunsch-Liste damit ich sie weiterleiten kann. Es ist wirklich das Nötigste was wir brauchen”, sagt Mona.
“Oh Mona, bewahre mich davor. Setze das was du noch möchtest dazu. Ich habe ein untrügliches Gefühl die Stadt reagiert großzügig. Übrigens weiß ich jetzt wo wir die Schießbude herbekommen.”
“Schießbude!”, huscht es über Rebeccas Lippen, was bei Elisa unweigerlich sein smartes Lächeln anknipst. “Schlagzeug!”
Der elektronische Ding-Dong scheppert. Durch die Tür quetscht sich 100 Kilo Lebendgewicht verteilt auf 1-Meter-70, vor dem Bauch ein Wäschekorb. Vermutlich wegen der zu kurz gewordenen Arme kracht die Ladung unsanft auf den Terrazzoboden. Elisa zieht die Augenbrauen hoch und fragt, “was ist das, Leo?”
“Eine freundliche Spende des Gardinen-Hauses Schieper was ehemals auf der Friedrichstraße war. Mein Schwager arbeitet mit einem zusammen, der ist mit der Cousine von der Schwester des Bruders und der wiederum kennt...”
“Ist okay, ich weiß dein Organisationstalent zu schätzen”, unterbricht Elisa.
“Sag, in welchen Fettnapf bist du wieder getrampelt?”, fragt Leo.
“Wie schaut es denn mit der dazugehörigen Gardinenstange aus?”, fragt Elisa ungeachtet der Anspielung.
“Im Anmarsch, mein Bruder kennt den Dekorateur vom Kaufhof und der steht sich fabelhaft mit...”
“Verschon mich mit der Fabel!”, sagt Elisa.
“Übrigens Fabel, ich habe schon gehört. Du hast dir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen und die kleine Jessica in eine Bereitschaftsfamilie gebracht hast.”
“Ja, der Nachbar hat mich alarmiert. Und somit sind wir voll belegt und ich weiß nicht wo ich einen weiteren Notfall unterbringe.”
“Scheiße!”, brüllt Leo.
“Herr Emilian, ich muss mich auf den Weg machen. Danke noch für den Kaffee. So habe ich mir Ihre Arbeit nicht vorgestellt”, sagt Rebecca.
“Haben Sie geglaubt ich renn hier rum mit der alles-wird-gut-Mentalität? Ich bin einfach nur da und es ist gut zu wissen, dass ich da bin und riesen Arme habe in die man flüchten kann. Punktum!”
Rebecca verabschiedet sich mit einer Verabredung für den nächsten Tag, oder dass man sich vielleicht sieht, wenn er seinen Wagen holt.