Читать книгу China – ein Lehrstück - Renate Dr. Dillmann - Страница 19
Chinas Marine
Оглавление„Im jüngsten Bericht des Pentagons zur militärischen Rüstung der Volksrepublik China wird bestätigt, dass deren Marine zahlenmäßig die amerikanische Navy erstmals übertrifft. Sie wird Ende 2020 über 360 Kriegsschiffe verfügen, darunter 130 moderne Kreuzer, Zerstörer, Fregatten und Korvetten sowie 62 U-Boote, darunter 12 atomar betriebene. Zwei Flugzeugträger mit eingeschränktem Potenzial sind in Betrieb, sie dienen vor allem als Testplattformen. Der dritte steht im Bau und wird ein mit amerikanischen Flugzeugträgern vergleichbares Schiff mit Katapulten sein, das vermutlich 2024 einsatzbereit sein wird. Drei weitere Träger dieser Art werden bis in die Dreißigerjahre erwartet.
Im Inventar der Marine figurieren neuerdings große amphibische Helikopterträger, eigentliche Kopien der amerikanischen Wasp-Klasse. Diese und weitere moderne Docklandungsschiffe sind für das im Aufbau befindliche chinesische Marinekorps bestimmt, das dereinst bis zu 100.000 Mann umfassen soll.“1 Im Unterschied zur Darstellung der ökonomischen Potenzen lautet die Devise bei Militär und Aufrüstung offenbar, den chinesischen Gegner groß und gefährlich zu machen – eine aus dem Kalten Krieg und der Darstellung der sowjetischen Militärkräfte wohlbekannte Tradition. Die US-Navy verfügt nach eigenen Angaben zwar „nur“ über 280 Schiffe, allerdings über 11 Flugzeugträger und hat aktuell 340.000 Soldaten im Dienst.2 Zudem verfügen die USA nach offiziellen Angaben über 761 Stützpunkte auf der ganzen Welt – wobei nur die gezählt werden, auf denen aktuell US-Soldaten stationiert sind. Nimmt man die Anzahl der vertraglich vereinbarten und im Krisenfall nutzbaren, sind es nach Experten-Schätzungen etwa 1.000.
Bis jetzt gilt hier (wie auf der ganzen Welt), dass sich die US-Navy zur Schutzmacht der „Freiheit der Meere“ erklärt hat und sich selbst das Recht zuerkennt, diese Freiheit auf dem gesamten Planeten mit ihren Kriegsschiffen, Flugzeugträgern und Stützpunkten zu sichern. Diese Absicht trifft im südchinesischen Meer auf das Interesse der neuen Handels-Großmacht China. Deren Führung verlangt Sicherheit für ihre Im- und Exportrouten und will sich diese nicht durch eventuelle Boykott-Maßnahmen der USA stören lassen, wie sie aus vielen Fällen der jüngeren Geschichte bekannt sind und wie Chinas Strategen sie angesichts der zunehmenden Konkurrenz der beiden Mächte vorhersehen. Der Ausbau kontinentaler Verbindungswege im Zuge der BRI ist ein Teil des chinesischen Umgangs mit diesem Problem; der andere liegt in der Aufrüstung der Marine und dem Versuch, mit einer vorgelagerten Stützpunktpolitik zumindest einige Verteidigungslinien in relativer Nähe zu ziehen. Das ist der Kern des vor etwa zehn Jahren neu eröffneten „Inselstreits“, bei dem China einige völkerrechtlich umstrittene Inseln in Besitz genommen und militärisch ausgerüstet hat, wogegen diverse Nachbarstaaten (Japan, Vietnam, Philippinen) protestieren.45 Die USA „verteidigen“ in diesem Konflikt den Status quo, in dem sie ganz unangefochten die Oberhoheit haben, gegen den unangenehmen Aufsteiger, der zwar dasselbe macht wie sie, aber gerade deshalb ein Störenfried ihrer Ordnung ist.
In der Konsequenz ermuntern sie die Anrainerstaaten (Japan, Südkorea, Philippinen, Vietnam) in ihren Ansprüchen gegen China, was die Konflikte in der Region anheizt. Die Amerikaner vereinbaren, als dafür nötige Rückendeckung der „kleinen und schwachen“ Staaten, mit ihnen neue militärische Zusammenarbeit, zeigen mit ihren Aufklärungsflugzeugen Präsenz und traten auf der Shangrila-Konferenz 2015, einer regionalen (!) Sicherheitskonferenz, zu der die USA selbstverständlich dazu gehören (ebenso übrigens Deutschland, vertreten durch die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen) mit harten Angriffen gegen China auf: „Push back“ schrieb die New York Times und fand eine kompromisslose Haltung der damaligen Obama-Regierung für unbedingt notwendig.
China war und ist nicht gewillt, in diesem Konflikt einzulenken – auch nicht um den Preis der angedrohten Verschlechterung der Beziehungen und einer eventuellen militärischen Konfrontation. Es machte zwar gewisse diplomatische Angebote, indem es den militärischen Charakter des Inselausbaus kleinredete und umweltpolitische Zielsetzungen betont hat, um die Situation von sich aus nicht zu verschärfen. In der Sache aber blieb es hart. China lässt sich keine Eindämmung von Ansprüchen bezüglich dieser Inseln bieten – nicht von seinen Nachbarn und auch nicht von der existierenden Weltmacht. Auch die Volksrepublik agiert in diesem Streitfall sehr prinzipiell. Sie exerziert daran exemplarisch ihr ungehindertes Recht auf ihren weiteren weltpolitischen Aufstieg und dessen militärische Absicherung durch und will dieses Vorgehen international anerkannt bekommen.
Letztes Update:
Die neue US-Regierung wiederum hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen eine „Flugzeugträgergruppe“ unter Führung der „USS Theodor Roosevelt“ ins Südchinesische Meer geschickt, um dort das Manöver „Navigationsfreiheit“ abzuhalten.
So stehen auf beiden Seiten Rechte gegeneinander – und da entscheidet letztlich bekanntlich die Gewalt. Auch wenn momentan tatsächlich keine der Parteien die „große Auseinandersetzung“ will, ist das der sehr gewaltträchtige Kern ihres Verhältnisses (von dem es dann irgendwann wieder heißen wird, dass die Mächte in ihren Krieg „reingeschliddert“ sind ...).46