Читать книгу China – ein Lehrstück - Renate Dr. Dillmann - Страница 5

Weltweit führende Produktionsmacht!

Оглавление

Ihre eigene Darstellung dementiert allerdings vor allem die chinesische Führung selbst. Gegen das eventuelle Missverständnis, dass sie den Weg zur ersehnten „sozialistischen Gesellschaft“ in etwa so gemeint habe – einige Jahrzehnte harter Arbeit und danach endlich sichere, auskömmliche und behagliche Lebensverhältnisse für alle –, setzt sie regelrecht programmatisch ihre nächste mittel- und langfristige Zielbestimmung: „Der chinesische Staatsrat kündigte im Mai 2015 ,Made in China 2025‘ als nationale Initiative zur Verbesserung der verarbeitenden Industrie an – zunächst bis 2025 und dann bis 2035 und 2049. Das letztendliche Ziel ist die Umwandlung Chinas in eine weltweit führende Produktionsmacht.“4

Weltweit führende Produktionsmacht zu werden – das ist das Ziel, das Chinas Kommunisten sich selbst setzen. Das nimmt an etwas anderem Maß als an einer guten Versorgung und einem angenehmen Leben der eigenen Bevölkerung. Weniger Arbeit, weniger Stress, mehr Lebenssicherheit und mehr Genuss werden nicht angekündigt. Dauernde Sorgen um den Arbeitsplatz und das nötige Geld, um die Gesundheit angesichts der Belastungen an Arbeitsplätzen und im sonstigen Leben mit Lärm, Luftverschmutzung und schädlichen Lebensmitteln gehören auch im heutigen China einfach dazu – ein qualitativer Unterschied zum Leben in den westlichen kapitalistischen Staaten ist nicht zu erkennen. Die regierungsoffizielle Zielvorgabe in dieser Frage sieht vor, dass das Volk sich an Arbeitsplätzen aller Art, deren Zweck sich daran bemisst, dass an ihnen Geld produziert wird, ein Leben lang um „bescheidenen Wohlstand“ mühen darf (Original-Ton der KP).

Angesichts dessen, wie es im Rest der Welt aussieht, hat das in der Tat schon fast den Charakter einer Verheißung. Aber eben auch nur angesichts dessen.

Die staatliche Zielbestimmung zielt im Kern jedenfalls auf anderes: In ihr geht es programmatisch um die internationale Konkurrenz kapitalistischer Staaten. Darin will die Volksrepublik China eine führende Rolle einnehmen – auf allen Feldern, die dazugehören, von der Technologieführerschaft bis hin zur Konkurrenz der Militärmächte und der dafür nötigen Aufrüstung.

„Made in China 2025“ zeigt den Stand des bisher Erreichten und Zielsetzung für die nächsten Jahre an. Dieses Programm baut darauf auf, dass die Volksrepublik in den letzten Jahrzehnten bereits sehr weit damit vorangekommen ist, sich selbst international konkurrenzfähige Unternehmen zu verschaffen, sprich: die Abhängigkeit von ausländischem Kapital zu verringern5. Es zeigt zudem, dass der chinesische Staat eine aktive und zielgerichtete nationale Industriepolitik betreibt, auch wenn inzwischen 50 % seiner Unternehmen keine Staatsunternehmen mehr sind.

Einige Beispiele – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

 Die staatliche Förderung von 15 Megaprojekten im Bereich von KI (Künstlicher Intelligenz) im 13. Fünfjahresplan, der Einbezug von Unternehmensvertretern aus diesem Bereich in die zahlenmäßig kleine, aber einflussreiche Politische Konsultativkonferenz des Volkskongresses, der staatlich initiierte Aufbau von 8.000 Gründerzentren6.

 Der Aufbau des größten E-Auto-Markts der Welt durch Interventionen der chinesischen Regierung: jährlich steigende Quote für reine Elektro- und Hybridautos (2019); Ende der Zulassung reiner Verbrennungsmotoren für 2035 angekündigt7; Umrüstung auf E-Bus-Flotten, wie bspw. in Shenzen, wo 16.000 E-Busse fahren. Chinesische Autohersteller wie Baic und Geely erobern durch den Umstieg auf E-Mobilität inzwischen rasch wachsende Marktanteile in China, viele westliche Autohersteller (Buick, Chevrolet, Ford, Citroen, Peugeot, Fiat) verlieren dagegen oder sind bereits ausgestiegen. Umgekehrt wollen Chinas Autokonzerne mit ihren E-Modellen nun auf den europäischen Markt; Batterien für E-Autos muss die deutsche Autoindustrie aus Südkorea oder China beziehen.

 Der Aufbau einer konkurrenzfähigen Flugzeugproduktion in China: Comac (Commercial Aircraft Corporation of China) arbeitet seit einigen Jahren daran, die bisher mit Boeing- und Airbus-Modellen ausgerüsteten chinesischen Fluglinien mit „heimischen“ Flugzeugen versorgen zu können. Obwohl noch nicht fertig, liegen bereits 815 Bestellungen von chinesischen Airlines vor.

Diese und ähnliche Interventionen der chinesischen Staatsführung in ihre Wirtschaft werden der Volksrepublik von westlichen Politikern gerne als unlautere Eingriffe in den Wettbewerb zum Vorwurf gemacht; sie vergessen dabei gerne, welche Rolle auch in ihren Ländern staatliche (Kredit-)Hilfen bzw. Staatsunternehmen beim Aufbau konkurrenzfähiger Global Player gespielt haben und auch heute noch spielen (Volkswagen, Airbus, die Energiewirtschaft mit Atomkraftwerken wie alternativen Energien, Landwirtschaft, E-Mobilität, „Industrie 4.0“ – um nur einige deutsche Projekte zu nennen, die mit staatlicher Beteiligung, Staatssubventionen oder -krediten gegründet, reguliert oder gefördert werden)8. Umgekehrt gelten Chinas Staatseingriffe aus linker Perspektive als Anhaltspunkte dafür, dass China doch noch immer eine Art „Planwirtschaft“ sei – was einfach weglässt, welchem Ziel diese Eingriffe dienen. Es geht um den Aufbau von Unternehmen, die in der Weltmarktkonkurrenz erfolgreich abschneiden sollen – das ist das Unterfangen, bei dem die Volksrepublik erfolgreich sein will und das ihre Führung daher umsichtig und „planmäßig“ angeht.

Dass solche staatlichen Interventionen in den kapitalistisch erfolgreichen westlichen Staaten zumindest in der Zeit vor „Corona“ nicht die gleiche Rolle wie in China spielen, sondern in den letzten Jahren eher eine Tendenz zur Privatisierung von Staatsunternehmen vorherrscht, liegt vor allem am zeitlichen Vorsprung, den diese Länder beim Aufbau ihres nationalen Kapitalismus haben. Es wird eine interessante Frage sein, ob die dazu passende ideologische Vorstellung vom Vorteil einer al umfassenden Liberalisierung (Stichwort: Neoliberalismus) angesichts der nach vorne stürmenden chinesischen Konkurrenz ihre besten Zeiten hinter sich hat …

China – ein Lehrstück

Подняться наверх