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C. Zur Feindschaft das Feindbild: Ein neues
„Reich des Bösen“

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Mit den wachsenden Erfolgen Chinas kommt auch das Feindbild in großen Schritten voran. Aktuell vergeht kaum ein Monat, ohne dass ein neuer „Skandal“ in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wird: Chinas „neokoloniale Politik“ der „Neuen Seidenstraße“, Spionageaktivitäten seiner IT-Kapitale, die Behandlung der Protestbewegung in Hongkong, die angeblich in Konzentrationslagern internierten Uiguren, die vom Standpunkt westlicher Werte indiskutablen Methoden zur Eindämmung der Corona-Epidemie, die Verdächtigung, dass China überhaupt schuld sei am Corona-Virus und seinen Folgen usw. usf. Diese Art öffentlicher Feindbildpflege trifft nicht nur China – auch Russland und der Iran sind in dieser Hinsicht Dauerbrenner der westlichen Öffentlichkeit. Und sie ist natürlich auch nicht neu. Erinnern wir uns: In den Mao-Zeiten galt das damals noch sozialistische Land als „gelbe Gefahr“, und seine Einwohner firmierten als „blaue Ameisen“ – was heute vielleicht als „politisch inkorrekt“ gelten würde.

Die Wende der kommunistischen Staatspartei hin zum Kapitalismus wurde im Westen dann erleichtert bis euphorisch begrüßt. Deutsche Unternehmer und Politiker waren ganz vorne dabei, als es darum ging, Beziehungen zu knüpfen und erste Joint-Ventures zu gründen. Kaum aber stellte sich heraus, dass an diesen Geschäften auch chinesische Firmen verdienten und sich zu weltmarktfähigen Konkurrenten entwickelten, kaum wurde deutlich, dass Chinas Regierung sich keineswegs so behandeln ließ, wie man es von anderen „Dritte-Welt-Staaten“ gewohnt war, gingen die Beschwerden los.

Fangen wir – ganz jenseits der Attacken der Bildzeitung47 – mit den seriösen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen an. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier zunächst einmal ein Blick auf die Titel einiger Publikationen zu China in den vergangenen 20 Jahren: „China – eine Weltmacht kehrt zurück“ (Konrad Seitz, 2000), „Herausforderung China“ (Wolfgang Hirn, 2005), „Das asiatische Jahrhundert“ (Karl Pilny, 2005), „Globale Rivalen – Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens“ (Eberhard Sandschneider, 2007) und natürlich die zeitweise im Jahresrhythmus veröffentlichten Bücher des Handelsblatt-Journalisten Frank Sieren wie zum Beispiel „Der China-Schock: Wie Peking sich die Welt gefügig macht“ (2008), „Zukunft? China!“ (2018). Gerade erschienen ist das Buch des Zeit-Korrespondenten Matthias Naß „Drachentanz. Chinas Aufstieg zur Weltmacht und was er für uns bedeutet“ (2021). Dazu kommen die Specials der Wochenblätter: „China – Aufstieg zur Weltmacht“ (2004) bzw. „China, die unberechenbare Supermacht“ (2008) und „Chinas Welt – was will die neue Supermacht“ (2011) (alle Spiegel), „Chinas Wirtschaft – Bedrohung oder Chance?“ (Fondsmagazin) usw.

Eine fast endlose Reihe mit der immer gleichen Fragestellung: Was bedeutet das „neue China“ für Deutschland und seine Erfolge auf dem Weltmarkt bzw. in der Staatenkonkurrenz? Das ist die offenbar selbstverständliche Fragestellung, mit der sich deutsche Wissenschaftler und ihre populären Dolmetscher einer „Länderanalyse“ zuwenden. Diese Wahrnehmung Chinas als neuer und mächtiger Konkurrenz veranlasst sie einerseits zu viel Hochachtung. Beeindruckende Wachstumszahlen und Exporttabellen, die PISA-Ergebnisse der Shanghaier Schüler, die Summen chinesischer Universitätsabschlüsse sollen zeigen, dass sich das Land mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit zum neuen Zentrum des Weltkapitalismus entwickelt. Und seit es das chinesische Projekt der „Neuen Seidenstraße“ gibt, überschlagen sich die Berichte über die gigantischen Investitionssummen. Zugleich verraten die verwendeten Vokabeln allerdings vor allem die vorherrschende Sorge: „Herausforderung“, „unberechenbar“, „Bedrohung“, „Schock“. Das ist aufschlussreich.

Offensichtlich ist es – nicht einmal auf der Ebene der Berichterstattung und Länderkunde – so, dass sich die deutsche Politik, Presse und die Bevölkerung unbefangen freuen, wenn es einem Land gelingt, Armut und Unterentwicklung hinter sich zu lassen. Erinnern wir uns einmal kurz an die seit den Siebzigerjahren gern propagierte Vorstellung von den „Entwicklungsländern“. Die sah bekanntlich so aus, dass sich die aus dem Kolonialismus entlassenen bzw. befreiten Staaten in den Weltmarkt integrieren sollten, um sich dort – mit Unterstützung der erfolgreichen westlichen Nationen – „zu entwickeln“, mit dem Versprechen, ökonomisch und politisch zu ihnen aufzuschließen. Und gerade vom maoistischen China – dem weltgrößten „Entwicklungsland“ – hatte der Westen jahrzehntelang verlangt, es solle von seinen sozialistisch-spinösen Ideen lassen. Jetzt, da sich das Land zum Kapitalismus gewendet hat und nach den Kriterien dieser ihm immerzu ans Herz gelegten Produktionsweise offenbar ziemlich vieles richtig macht und entsprechende Erfolge feiert; jetzt, da man es im Westen mit einem (dem einzigen!) „Entwicklungsland“ zu tun bekommt, das tatsächlich ökonomisch aufgeholt hat und den Nutznießern dieser Weltordnung auf Augenhöhe gegenübertritt – was geschieht? Wird China als Vorzeigeland und Modell für jene Länder gefeiert, die es „noch nicht geschafft“ haben? Keineswegs, im Gegenteil.

Offensichtlich war die Rede von den „Entwicklungsländern“ ein Teil der westlichen Propaganda im Kalten Krieg, als in der „dritten Welt“ noch ein sozialistischer Block mitmischte und der Westen sich etwas mühen musste, die jungen Staaten in Afrika und Asien auf seine Seite zu bringen. Das ist heute lange vorbei, also werden auch die entsprechenden Ideologien angepasst. Zweitens aber – und das ist das gewichtigere Argument: Weil in dieser Welt der Marktwirtschaft und Staatenkonkurrenz jeder Erfolg des einen letztlich auf Kosten anderer erfolgt, gibt der chinesische Newcomer neben allen Geschäftsmöglichkeiten, die er anderen eröffnet, ganz offensichtlich auch Grund zur Sorge um die eigenen Erfolgsaussichten und damit zur immer auch latent feindseligen Stellung zu ihm (und beweist damit übrigens auch, wie die westlichen Länder es immer gemeint hatten mit ihrer Heuchelei von der „Entwicklung“).

Die in der hiesigen Öffentlichkeit lancierte Fragestellung lautet generell ungefähr so: Ist der Erfolg, den dieses Land vorzuweisen hat und dem man seinen Respekt nicht ganz versagen kann, eigentlich mit rechten Dingen zustande gekommen? Die Antwort lautet wenig überraschend: nein, natürlich nicht! Denn, so ist allenthalben zu lesen: Der Produktivitätsfortschritt, der Chinas Weltmarkterfolge möglich macht, beruht zum großen Teil auf Industriespionage und purer Ausbeutung (von Mensch und Natur). Die Waren, mit denen das Land seine Devisen verdient, sind nach allen Regeln der Kunst kopiert, gefälscht und vielleicht sogar vergiftet! Die Geschäftsmöglichkeiten, die das Land unseren Unternehmen bietet, sind so gestrickt, dass die chinesischen Partner stets viel besser dabei wegkommen. Auf Dauer haben sich die chinesischen Kapitalisten so nicht nur ihren heimischen Markt gesichert (dessen Eroberung „wir“ offenbar fest für „uns“ verbucht hatten), sondern kommen uns jetzt auf allen Märkten dieser Welt in die Quere (was offensichtlich nicht in Ordnung ist, da „unser“ Besitzstand!).

Allgemein zielen diese Berichte auf das Urteil: Chinas Aufstieg kommt mit unlauteren Mitteln zustande. Seine Geschäftsleute agieren nicht kapitalistisch, sondern – es folgen bedeutsame Differenzierungen – „brutal“, „früh-“ bzw. „manchester-“ oder wahlweise auch „staatskapitalistisch“. Zu solchen Formulierungen greift, wer das Prinzip aus gutem Grund ungeschoren lassen, aber einen Vorbehalt gegen den Konkurrenten vorbringen will, der es erfolgreich anwendet.

Vor allem aber wendet man sich in seinem Ärger gegen den chinesischen Staat und die Führung seiner Kommunistischen Partei (KP). Zwar ist klar, dass man es einzig und allein dieser KP zu verdanken hat, dass die westlichen Geschäftsleute und Staaten mit China einen für sie inzwischen unverzichtbaren Zuwachs ihres Weltgeschäfts bekommen haben. Das hindert aber keinen westlichen Journalisten, genau in dieser KP ein eigentlich unerträgliches Hindernis zu sehen und sie dauernd zu attackieren – und das sicher ein ganzes Stück fundamentalistischer als diejenigen, die tatsächlich ganz praktisch Geschäfte in China machen oder mit der Regierung in Beijing zu verhandeln haben. Mit süffisantem Unterton werfen hiesige Journalisten der chinesischen „Kommunistischen Partei“ vor, dass es in ihrem Land schlimmste Ausbeutung, Korruption und soziale Missstände aller Art gibt. Vorgetragen wird das von denselben Leuten, die ihren lohnabhängigen Lesern und Zuschauern in Deutschland so gerne vorhalten, dass ihr Lebensstandard zu hoch, ihre (Lebens-)Arbeitszeit zu kurz und überhaupt die sozialstaatliche „Vollkaskomentalität“ von gestern sei.

Der schlimmste Vorwurf, den man gegen die KP vorzubringen hat, ist allerdings der, dass diese Partei ihrem Volk das Wählen verweigert, also jene Veranstaltung gelebter Demokratie, bei der Figuren antreten, die sagen, was ohnehin feststeht: Die Geschäfte der Unternehmen und Banken müssen (wieder) laufen, die Wirtschaft muss wachsen, und dafür müssen die entsprechenden Opfer vom Volk erbracht werden. Weil es die bei uns übliche Konkurrenz um das Personal der in der Sache alternativlosen Machtausübung in China nicht gibt (stattdessen andere Formen der Ämterbesetzung, vgl. Teil 2, Kapitel 9), lasse sich – so der allgemeine Tenor – der ganze Staat dort auf eines zusammenkürzen: Er unterdrückt, er ist (was man hierzulande an keiner gleichgearteten Maßnahme entdecken will) Gewalt gegen seine Gesellschaft – und dieses ziemlich eindimensionale Urteil lässt sich natürlich wieder unterschiedlich illustrieren:

 Niemand braucht zu wissen, wie viele Zeitungen es in China gibt und schon gar nicht, was in ihnen drinsteht, um in einer Frage ganz sicher zu sein: In der Volksrepublik wird die Pressefreiheit mit Füßen getreten. (Umgekehrt wundert sich anscheinend niemand darüber, dass unsere freie Presse ganz ohne jede Zensur die immer gleichen Kommentare produziert – und das nicht nur zum Thema China.).

 Jeder weiß, dass China gemein mit seinen Oppositionellen verfährt, ob mit seinem Nobelpreisträger Liu Xiaobo, dem Künstler Ai Weiwei oder den Demonstranten in Hongkong. Ganz im Unterschied zu hiesigen Verhältnissen, wo erklärte Systemgegner bekanntlich als willkommene Bereicherung des Meinungsspektrums aufgefasst und in jede TV-Talkrunde eingeladen werden.48

 Während bei uns „islamische Fundamentalisten“ und ihre störenden Parallelgesellschaften völlig zu Recht ins Visier genommen, verfassungsrechtlich einwandfrei als Terroristen bekämpft und öffentlich diffamiert werden, stellen „wir“ uns in China ganz selbstverständlich auf die Seite der nationalen Minderheiten der Uiguren und Tibeter, deren separatistische Forderungen und gewaltsame Unruhen so eindeutig wie sonst nirgends auf der Welt gegen die böse Zentralgewalt sprechen.

Ökonomische Ausbeutung, rücksichtsloser Umgang mit der Natur, Korruption, ein ausgeprägtes staatliches Überwachungsbedürfnis und Repression gegenüber Oppositionellen und Separatisten, außenwirtschaftliche Expansion, militärische Aufrüstung (die ja nicht China erfunden hat, geschweige denn, dass es die größte Militärmacht ist) und geostrategische Positionierung, ja selbst die patriotische Begeisterung des Volks für seinen Staat (die man hier permanent einfordert) – im Falle China wird all das zum außerordentlichen Skandal stilisiert. Dabei weiß man selbstverständlich in den meisten Fällen sehr genau, dass es die genannten Hässlichkeiten in ähnlicher Form auch hierzulande gibt und Fälle offener Diskriminierung und politischer Unterdrückung spätestens bei den von Deutschland und der EU unterstützten „befreundeten Regierungen“ in Afrika, dem Nahen Osten und in Lateinamerika an der Tagesordnung sind. Doch das sind dann bloß „Ausnahmen“, korrigierbare Fehler, ist staatliches „Versagen“. In China dagegen desavouiert jeder einzelne Kritikpunkt ein für alle Mal „das System“ – zu verbessern ist da nichts, und „konstruktive Kritik“, die bei „uns“ ganz selbstverständlich jeder Form von Unzufriedenheit abverlangt wird, ist nicht angebracht.

Umgekehrt werden Fakten, die das negative Bild dieses Staats etwas ins Wanken bringen könnten, nicht so gerne in den wichtigen Medien thematisiert. Chinas außerordentliche Erfolge bei der Bekämpfung absoluter Armut oder bei der Zurückdrängung von Wüsten durch Aufforstung passen offenbar nicht so richtig in das Bild, das die Mainstream-Medien vermitteln wollen.49 Ebenso wenig wollen deutsche Journalisten sich und ihr Publikum im Falle Chinas mit Analysen und Hintergrundinformationen belasten, die das klare Bild von der bösartig-repressiven Staatsmacht 50 gegen liebenswerte Uiguren oder Hongkonger Studenten erschüttern könnten. Die Redaktionen der großen Medienhäuser könnten leicht auch selbst herausfinden, was einige linke Journalisten recherchiert haben: Terroristische Aktionen uigurischer Fundamentalisten, deren geistige Führer als „Exilregierung“ seit den 1970er-Jahren in München sitzen; die zweifelhaften Ziele und das rüde Vorgehen der Demonstranten in Hongkong (Erstürmung und Verwüstung des Parlamentsgebäudes. Man vergleiche einmal die Berichterstattung zum „Sturm auf das Capitol“, der „Herzkammer der amerikanischen Demokratie“!); die Merkwürdigkeiten um die dortige Galionsfigur Joshua Wong, der seit bereits fünf Jahren Verbindungen zu US-amerikanischen Thinktanks und zur CIA unterhält.51

China – ein Lehrstück

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