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Staatliche Armutsbekämpfung – das deutsche Fernsehen berichtet
Оглавление„Fließend Wasser gibt es bei Li Mingxing nicht. Er und seine Familie haben nur das Nötigste zum Leben. Kartoffeln und Mais baut der 23-jährige Li auf den kleinen Feldern in den Hügeln an. Die Mingxings im Westen Chinas gehören zu den über 16 Mio. Chinesen in absoluter Armut. Doch Li Mingxing soll es einmal besser gehen als seinen Eltern. Darum macht er nun eine Ausbildung zum Nudelsuppen-Koch. Heute kümmert er sich um die Brühe für die Suppe. Später soll er lernen, die landestypischen Bandnudeln herzustellen. „Der Dorfvorsteher hat mir von dem Ausbildungsprogramm erzählt. Ich wollte mitmachen, weil meine Familie arm ist und ich hier in der Ausbildung was lerne und verdiene. Ich gebe jetzt meinen Eltern etwas Geld.“
Das Nudelsuppen-Programm ist Teil eines großen Planes. 15.000 junge Menschen will die Provinz-Regierung allein in diesem Jahr ausgebildet und somit aus der Armut geholt haben. Armutsbekämpfung hat derzeit in China ganz hohe Priorität. Die Abendnachrichten des staatlichen Fernsehens berichten regelmäßig von Xi Jinpings Überprüfungsbesuchen. Bis 2020 will der Partei- und Staatsführer alle von der Armut befreit haben. Nicht ganz uneigennützig: Bisher hat stetig wachsender Wohlstand der Bevölkerung der Führung ihre Macht gesichert. Gibt es genügend Essen und Kleidung, fragt er bei jedem dieser Besuche. Ja, antworten die lokalen Beamten. Ihre Bezahlung ist an den Erfolg der Programme geknüpft – so wurde es in der Zentralregierung beschlossen.
775.000 Offizielle wurden demnach zur Armutsbekämpfung in abgelegene Regionen geschickt. Auch zu Li Mingxing, dem angehenden Nudelsuppen-Koch. Wachsen die Kartoffeln bei Ihnen?, fragt der Parteisektretär. Li Mingxing tischt die eigene Ernte auf. Nicht nur wenn das deutsche Fernsehen da ist, auch sonst sind Tür-zu-Tür-Besuche Teil des Programms. Niemand soll bei der Armutsbekämpfung übersehen werden.
Den Kampf gegen Armut führt die Kommunistische Partei auch mit Beton.Überall im Land lässt sie solche Wohnblöcke bauen. Siedelt rund 11 Millionen Menschen um, aus Dörfern in Städte. Hier in Shi Cheng ist Herr Liu zuständig. Mehr als 600 Familien hat er aus dem Hinterland umgesiedelt. „Unser Ziel ist es,sie aus der Armut zu holen“, erklärt Liu Bi Ying vom Amt für Armutsbekämpfung.„Es einfacher für sie zu machen, zum Arzt zu gehen, zur Arbeit oder zur Schule. Zu verhindern, dass sich Armut von Generation zu Generation vererbt. Und dafür zu sorgen, dass sie Wohlstand erlangen.“
Lei Wei Xiu hat daher nun Einbauküche, zwei Zimmer und Balkon. Und dank massiver Subventionen von der Zentralregierung in Peking und der Provinz alles für einen Kaufpreis von umgerechnet nur 1.300 Euro. Das Geld haben ihr Verwandte geliehen. „Vorher in den Bergen habe ich Gemüse angebaut und Feuerholz geschlagen, Geld brauchte ich gar nicht. In der Stadt zu leben heißt aber Ausgaben für Gas und anderes. Da steigen die Lebenshaltungskosten.“ Geld verdient Lei Wei Xiu jetzt in dieser Textilfabrik – von der Partei vermittelt. Wie glücklich sie über die Umsiedlung ist? Offen sprechen kann sie nicht. Interviews gibt es nur unter Aufsicht. „Manchmal vermisse ich die Vergangenheit, ich hänge da noch dran. Aber jetzt ist mein Leben hier besser. Ich muss mich erst noch daran gewöhnen. Mich umzustellen dauert etwas.“1
Es handelt sich offensichtlich um ein Programm, das gemessen an allen hiesigen Maßstäben (Armutsbekämpfung, aktive Arbeitsmarktpolitik, Integration, sozialer Wohnungsbau, Teilhabe an sozialen Leistungen sichern …) eine ganze Menge leistet. Das wird auch durchaus informativ dargestellt – darin ist dieser Bericht eine Seltenheit! Andererseits darf China natürlich nicht zu viel zugutegehalten werden. Im Unterschied zur deutschen Sozialpolitik passiert all das nämlich nicht selbstlos: „Bisher hat stetig wachsender Wohlstand der Bevölkerung der Führung ihre Macht gesichert.“ (Eine wirklich üble Art der Machtsicherung!). Zudem trauern die chinesischen Menschen, die natürlich nicht „offen sprechen können“, alten, angestammten Verhältnissen nach, selbst wenn die armseliger waren. Was hierzulande ein klarer Fall von „alternativlos“ wäre, spricht in China letztlich doch eindeutig gegen die Regierung und ihren Reformwillen.
Ideologisch rechnet sich Chinas KP den inzwischen fast vollständigen Einbezug des Volks in die kapitalistische Lohnarbeit als „erfolgreiche Armutsbekämpfung“ an. Während 1978 noch rund 700 Millionen chinesische Menschen arm waren – zugrunde gelegt ist die Armutsdefinition der Weltbank, nach der „absolute Armut“ dann vorliegt, wenn ein Mensch über weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag verfügt –, waren es 2012 noch 98,5 Millionen. Bis 2021, dem 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei, soll diese Zahl auf null gedrückt werden; so strebt es jedenfalls das seit 2013 laufende Regierungsprogramm an, für das (s. o.) viel getan wird.
Es ist gut vorstellbar, dass eine solche Staatsaktion alles Mögliche an Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der zu befreienden „Armen“, bürokratischer Idiotie und dazu ein gehöriges Maß an Erpressung aufbringt – gerade wenn sie auch noch mit dem Gedanken, dass zu einem nationalen Feiertag zumindest symbolisch alles bewältigt sein soll, antritt.
Allerdings: Gemessen an den Maßstäben dieser kapitalistisch verfassten Welt ist der Umbau Chinas zu einer modernen Industrienation mit „bescheidenem Wohlstand“ und einer urbanen Gesellschaft ohne Massenelend, städtische Slums und relevante Bevölkerungsteile, die in „absoluter Armut“ verharren, selbstverständlich eine durchaus bemerkenswerte Leistung.
Kein anderes „Entwicklungsland“, kein „Hinterhof“ der westlichen Staaten hat staatliche Anstrengungen dieser Art aufzuweisen, und die Fortschritte bei den UN-Millenniumszielen zur Beseitigung absoluter Armut auf der Welt leben fast ausschließlich von den in China erzielten. Und erinnern wir uns einmal einen Augenblick an den deutschen Planeten. Hier heißt es seit den Hartz-Reformen „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ – was jede Menge Druck, Sanktionen mit existenziellen Bedrohungen und gesellschaftliche Ächtung gegen die mehr als sieben Millionen „Hartzis“ einschließt, die dauerhaft ohne Tafeln und Kleiderkammern nicht überleben können.
Es ist also schon eine gedankliche Glanzleistung, wenn westliche Politiker, die für diese Zustände verantwortlich zeichnen, oder ihre stets konstruktiv-besorgten Journalisten die chinesische „Armutsbekämpfung“ zum Gegenstand von Vorwürfen an die Adresse Beijings machen.
In einigen Provinzen, insbesondere Tibet und Xinjiang, hat dieses Programm neben dem allgemeinen Zweck einer kapitalistischen In-Wert-Setzung des gesamten Landes und seiner Bevölkerung zusätzlich den einer „Integrationsmaßnahme“ (so würde es jedenfalls hierzulande bezeichnet) für die ethnisch-religiösen Minderheiten, die zum Teil noch als Nomaden und Hirten leben. Auch sie sollen in die moderne kapitalistische Industrie und verstädterte Gesellschaft eingegliedert werden (und nicht in „Parallelgesellschaften“ abdriften, wie es hierzulande heißt).
Davon verspricht sich die Beijinger Zentralregierung auch einen Rückgang des religiös-fundierten Autonomie-Bedürfnisses, das es in diesen Provinzen latent immer gegeben hat und das von außen immer wieder berechnend angestachelt wurde: Unterstützung für den Dalai Lama und seine Politik eines „Groß-Tibet“ und die uigurische Exil-Regierung vor allem durch Indien und die Türkei, die USA und Deutschland.
Das Vorhaben der Regierung besteht also in der Unterwerfung aller Bürger unter Markt & Staat – mit allen Härten, die ein solches Programm an sich hat. Falsch wäre es allerdings, das als spezielles (han-chinesisches) Kampfprogramm gegen die dort lebenden Minderheiten, ihre Kultur und ihre hergebrachte Lebensweise zu interpretieren – so als sei es Ziel der chinesischen Regierung, die in ihrem Land lebenden Minderheiten aus ethnischen Gründen zurückzudrängen oder gar zu „vernichten“. Für eine solche Interpretation braucht es eine ziemliche Ignoranz gegenüber den Regelungen der chinesischen Minderheiten-Politik.10