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CHINA

Ein Lehrstück über alten und neuen Imperialismus, einen sozialistischen Gegenentwurf und seine Fehler, die Geburt einer kapitalistischen Gesellschaft und den Aufstieg einer neuen Großmacht

Vorbemerkung

Als China im November 2001 in die WTO eintrat, nahm die westliche Öffentlichkeit mehr oder weniger erstaunt zur Kenntnis, dass sich das bevölkerungsreichste Land der Welt, ein ehemals sozialistisches Entwicklungsland, in den letzten Jahren zum sechstgrößten Industriestaat und zu einer respektablen Exportnation gemausert hat. 2009 sind auch solche Mitteilungen schon wieder überholt: China ist inzwischen die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und wird Deutschland bald als Exportweltmeister abgelöst haben.

Es wird inzwischen viel über China geredet – aber wie? Leitender Gesichtspunkt der China-Berichte in der bürgerlichen Öffentlichkeit ist die Frage, was der Aufstieg dieses Landes für »uns« bedeutet. Der Eintritt Chinas in den freien Weltmarkt wird begrüßt und die Öffnung seines Marktes mit 1,3 Milliarden chinesischer Kunden stimmt uns enorm hoffnungsfroh; andererseits droht möglicherweise eine neue »gelbe Gefahr«. Denn dieses Mal tritt China an als kampfstarke wirtschaftliche Konkurrenz, die uns nicht nur mit ihren Dumping-Löhnen Teile des Weltgeschäfts abjagt und unsere Märkte überschwemmt, sondern längst zum organisierten Angriff auf unser Allerheiligstes, das technische Know-how des deutschen Mittelstands, geblasen hat. Politisch wiederholt sich die Ambivalenz: Deutschlands politische und ökonomische Elite verspricht sich durchaus einiges von der wieder erstarkten asiatischen Macht und den guten Beziehungen, die sie zu ihr unterhält. Andererseits registriert man in Berlin ebenso wie in Washington, dass man es mit einer zunehmend selbstbewussten Großmacht zu tun hat, die sich nicht so einfach einordnen und für eigene weltpolitische Interessen benutzen lässt. Bestürzt stellt man fest, dass die chinesische Führung eine Ansammlung »immer noch« ziemlich »kommunistischer Betonköpfe« ist, damit befasst, ihrem Volk Demokratie und Menschenrechte und dem Dalai Lama »sein Tibet« zu verweigern. Von der Öffentlichkeit abgeschottet, beschäftigt sie sich mit undurchsichtigen Intrigen und Konkurrenz um die Macht im Land, zu der bisher weder Oppositionelle noch westlich gesponserte NGOs Zutritt bekommen. Dass ihr das bisher ziemlich unangefochten gelingt, nötigt dann umgekehrt schon wieder Respekt ab. Es ist also eine ziemlich üble Mischung von Ignoranz, Feindschaft und Begeisterung, die das Urteil der bürgerlichen China-Beobachter kennzeichnet.

Das China-Bild der links-alternativen Öffentlichkeit präsentiert sich keineswegs sachlicher. Es ist auf der einen Seite geprägt von sentimentalen Reminiszenzen an frühere Tage, als man in Mao, die Volkskommunen und die Kulturrevolution eigene Hoffnungen und Wünsche hineinprojiziert hatte. Demgegenüber stellen sich Linke das heutige China gerne als Ausbund rohester kapitalistischer Verhältnisse vor. Ihre Reportagen und Analysen werden in vielen Fällen von Millionen hungernder Wanderarbeiter bevölkert – fast so, als wäre man in seiner Kapitalismuskritik entwaffnet, wenn es auch in China nach 30 Jahren Marktwirtschaft schon etwas gesitteter zuginge und als gäbe es an Chinas langem Marsch in den Kapitalismus nicht mehr zu erklären. Oder man bleibt einfach stur und schenkt der Kommunistischen Partei und ihren Interpretationen Glauben, denen zufolge sich das Land noch immer auf dem Weg zum Sozialismus befindet – nur dass dieser etwas länger ausfällt als angenommen und kleine kapitalistische Umwege zur Erhöhung der gesellschaftlichen Produktivkraft einschließt.

Das vorliegende Buch stellt sich quer zu solchen Deutungen. Es kritisiert den Sozialismus Mao Zedongs, ohne Partei zu ergreifen für Chinas Übergang zur Marktwirtschaft. Es verfolgt den Aufstieg eines Entwicklungslandes zur kapitalistischen Großmacht, ohne den Fortschritt dieser Nation mit dem Wohlergehen des chinesischen Volks zu verwechseln. Es konstatiert den Erfolg des modernen China und die Eindämmungsbemühungen der etablierten Weltmächte, ohne in der Auseinandersetzung, die längst begonnen hat, Sympathien für eine der Seiten zu bekunden. Stattdessen beobachtet dieses Buch nicht ohne Ironie, dass sich Marx’ Behauptung im »Kommunistischen Manifest« über den Charakter der bourgeoisen Ordnung – »Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen« – gleich mehrfach bewahrheitet. Die alten imperialistischen Mächte öffneten sich den Weg ins Reich der Mitte einst mit ihren Kanonenbooten. Nach Maos Tod haben sich die chinesischen Kommunisten aus nationalen Erwägungen heraus der westlichen Welt angenähert und ihren alternativen sozialistischen Entwicklungsweg Schritt für Schritt verworfen. Im Resultat ist es der westlichen Bourgeoisie also gelungen, »sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde zu schaffen« – ohne kommunistische Ausnahme. Inzwischen macht ihr ausgerechnet dieser Erfolg, das zum Kapitalismus bekehrte China, zu schaffen. Denn »die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie«, mit der die kapitalistisch gewendete Volksrepublik unerbittlich zurückschießt...

Dieses Buch ist im Oktober 2009 beim VSA-Verlag Hamburg erschienen; 2010 erschien eine zweite, 2012 eine dritte Auflage.

Zum Inhalt

Das Buch beginnt mit einem ausführlichen Rückblick auf Die Sozialistische Volksrepublik China. Teil I bespricht die gewaltsame Öffnung Chinas durch die imperialistischen Mächte, den damit einhergehenden inneren Zerfall und den langen Bürgerkrieg zwischen Guomindang und Kommunistischer Partei. 1949 proklamiert Mao Zedong mit den Worten »Das chinesische Volk hat sich erhoben« die sozialistische Volksrepublik. Ökonomie und Politik des chinesischen Nationalkommunismus werden anhand der Aufbauphase, des ersten Fünf-Jahres-Plans und der großen Massenkampagnen erklärt – und kritisiert. Das Buch analysiert die Prinzipien staatlich geplanter Wertproduktion und deren chinesische Besonderheiten. Es erläutert das Verhältnis zwischen sozialistischer Staatsmacht und ihrem Volk ebenso wie Maos Linie, die »auf die Schöpferkraft der Massen« baut und diese zunehmend für ein ehrgeiziges nationales Aufbauprojekt in Beschlag nimmt. Und es beschäftigt sich mit der Außenpolitik der Volksrepublik, dem Koreakrieg sowie Freundschaft und Bruch mit der Sowjetunion, der den Niedergang des kommunistischen Blocks einläutet: Nationalismus siegt über den staatsidealistischen Sozialismus der Kommunistischen Partei.

Teil II über Die kapitalistische Volksrepublik China erklärt, was China im eigenen Land politökonomisch auf die Tagesordnung gesetzt hat, als es sich 1978 entschloss, in den Weltmarkt einzutreten, um ab da mit Hilfe kapitalistischer Methoden und ausländischer Investitionen seinen Aufstieg zur Großmacht zu bewerkstelligen. Die gesamte Ökonomie mit all ihren Einrichtungen und samt ihrem lebendigen Inventar wird Schritt für Schritt einer neuen Maxime unterworfen: Alle müssen und dürfen, befreit von der Bevormundung durch Kollektiv und Plan, Geld und Weltgeld verdienen. Das scheidet die egalitäre chinesische Gesellschaft in Klassen. Es wird analysiert, wie Chinas »Systemtransformation« im Einzelnen vor sich gegangen ist, zu welchen Phänomenen und Resultaten sie es ökonomisch gebracht hat und welche Konsequenzen das für die chinesische Gesellschaft, ihren sozialistischen Staat und die Kommunistische Partei hat: Die Kommunistische Partei Chinas setzt eine »ursprüngliche Akkumulation« ins Werk.

Aus den ökonomischen Erfolgen, die es in den beiden letzten Jahrzehnten als Kapitalstandort erzielt hat, leitet China inzwischen den Anspruch ab, seinerseits alle möglichen Länder als Rohstofflieferanten und Exportmärkte zu benutzen – und nicht nur das: China ist eingestiegen in die strategische Konkurrenz um den globalen Gewalthaushalt.

Das letzte Kapitel von Teil II behandelt die Außenpolitik der Volksrepublik und die Eindämmungspolitik, die nicht nur die USA den chinesischen Ambitionen entgegensetzen. Das weltpolitische Novum dieser kriegsträchtigen Konkurrenz, die gerade ihre Anfangsjahre erlebt, liegt darin, dass die beiden Hauptkontrahenten »in Zeiten der Globalisierung« ökonomisch voneinander leben: China will Weltmacht werden.

Häufig verwendete Abkürzungen:

AS Deng, Xiaoping (1985): Ausgewählte Schriften (1975-1982), 1. Aufl., Beijing.
BR Liu, Suinian/Wu, Qungan (Hrsg.) (1984): Chinas sozialistische Wirtschaft.Ein Abriss der Geschichte 1949 bis 1984, Beijing.
CA China aktuell. Journal of Current Chinese Affairs, Hamburg.
CL Staiger, Brunhild/Friedrich, Stefan/Schütte, Hans-Wilm (Hrsg.) (2003): Das Große China-Lexikon, Darmstadt 2003.
GS Gegenstandpunkt. Politische Vierteljahreszeitschrift.

Der in der ursprünglichen Print-Version auf CD mitglieferte Anhang wird nun auf der Website renatedillmann.de zur Verfügung gestellt.

China – ein Lehrstück

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