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Tausche Babyface gegen Charakterkopf

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Ja, die Erfahrung, die Erkenntnisse, das Wissen, das Standing, all das ist sicher mit zunehmendem Alter erstrebenswert, denkst du jetzt vielleicht. Aber was ist mit dem Aussehen?

Gerade Frauen legen es nicht selten darauf an, noch mit fünfzig irgendwie in das schon erwähnte Kindchenschema zu passen: große, erstaunt aufgerissene Augen, Schmollmund, Löckchen, glatte Haut und eine hohe Stimme. Das soll jede halten, wie sie will. Doch mein Ding ist es nicht. Ich suche nämlich keinen, der mir ein Eis kauft, und auch niemanden, der mir sagt, wo es langgeht. Ich kann alleine über die Straße gehen, und wenn ich Streicheleinheiten brauche, hole ich sie mir. Und ich finde, all das darf man(n) durchaus schon auf hundert Meter sehen.

Mir gefallen Frauen und Männer, denen ich ansehe, dass sie viel erlebt und viel begriffen haben. Kluge Augen, vielsagende Münder, Individualität, Gesichter, die einiges darüber verraten, was sich dahinter abspielt, die wie ein offenes Buch sind, in das ich gerne reinlese und mich vielleicht darin vertiefe. »Von einem bestimmten Alter an ist jeder Mensch für sein Gesicht verantwortlich«, hat Albert Camus geschrieben. Genau das meine ich. Es fällt nicht immer leicht, sämtliche der äußeren Anzeichen dieser Selbstwerdung zu akzeptieren. Doch alles an uns ist wandelbar und veränderlich, auch Gesichter und Haltungen. Nichts bleibt, wie es war. Aber auch: Nichts muss bleiben, wie es ist.

Wir können nicht zurück in die Vergangenheit. Was wir können, ist, vertrauensvoll und mutig voranzugehen. Zugegeben, in einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn verfallen ist, bedeutet das altersgemäße Aussehen ein ständiges Schwimmen gegen den Strom. Es gilt, sich gegen eingefahrene Sehgewohnheiten zu behaupten. Auch ich muss mir dies immer wieder klarmachen und es im Alltag praktizieren. Wir sind von so vielen fremdbestimmten Bildern umstellt, dass es eine Menge Autonomie erfordert, eigene Vorstellungen zu entwickeln und den Fokus auf das zu richten, was sonst unbeachtet bliebe.

Wenn ich in Berlin unterwegs bin, sei es zu Fuß oder mit dem Doppeldecker, schreibe ich regelmäßig den Germanys-Next-Top-Oldie-Contest aus und halte Ausschau nach interessanten und schicken grauhaarigen Männern und vor allem Frauen. Dabei kommen viele Menschen zusammen, die anzusehen mir große Freude bereitet. Zur Nachahmung empfohlen!

Sehgewohnheiten zu verändern kann etwas Spielerisches haben. Wer sich für Mode interessiert, weiß das. Jede Saison kommen neue Styles auf den Markt. Anordnungen von oben wie »Diese Hosen sind im Herbst in und diese nicht mehr« sind out! Wir tragen, was uns gefällt, und entdecken mit jeder neuen Farbe und jedem neuen Schnitt bestenfalls eine neue Seite an uns. Was gestern als hässlich und geht-gar-nicht angesehen wurde, erscheint heute im neuen Licht. Plötzlich gibt es »ugly sneakers« zu kaufen, Socken in Sandalen sind hip und Pullunder der letzte Schrei. (Wahrscheinlich gilt sogar der Ausdruck »der letzte Schrei« bald nicht mehr als retro.) Warum sollte das, was in der Mode geht, nicht auch beim Blick auf ältere Frauen möglich sein: dass die Begriffe von »attraktiv« und »unattraktiv« sich wandeln und Charakterkopf statt Babyface gefragt ist.

Wer keine Falten hat, hat nie gelacht

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