Читать книгу Wer keine Falten hat, hat nie gelacht - Renate Georgy - Страница 18
Altern Frauen anders als Männer?
ОглавлениеMänner kommen in die »besten« Jahre, Frauen werden unsichtbar: So lautet die allgemeine Meinung über das Älterwerden der Geschlechter. Doch was ist schon die allgemeine Meinung? Vielleicht nur das, was von »Meinungsführern« gebetsmühlenartig wiederholt wird, ohne dass es stimmt?
Männer werden meist auf Erfolg gepolt, Frauen auf Schönheit. Wenn Männer zusätzlich passabel bis gut aussehen und Frauen zusätzlich einigermaßen erfolgreich sind, umso besser. Das gilt für Frauen und Männer jeden Alters. Doch da Erfolg sich üblicherweise erst in mittleren bis späteren Jahren einstellt, können ältere Männer ein Plus verzeichnen. Schönheit dagegen schwindet im Alter – jedenfalls nach landläufigen Kriterien –, weshalb ältere Frauen im Nachteil sind. Doch weder Erfolg noch Schönheit sagen etwas darüber aus, wie es in den Menschen aussieht. Mit Glück im Sinne von Lebenszufriedenheit und Erfüllung haben sowohl Erfolg als auch Schönheit allenfalls am Rande zu tun.
Ich sage seit vierzig Jahren, dass die Gleichstellung der Geschlechter erst dann erreicht ist, wenn auch Frauen, die unattraktiv und inkompetent sind, ebenso gute Karrierechancen haben wie die entsprechenden Männer. Ist dieser Punkt bereits erreicht? Ich glaube nicht.
Wenn wir Hollywood-Filme als Abbild gesellschaftlicher Machtverhältnisse in der westlichen Welt nehmen, sieht es noch ziemlich düster aus. Es gibt wesentlich mehr männliche als weibliche Hauptrollen. Während ältere Männer als interessant und leistungsfähig dargestellt werden, ist das bei älteren Frauen deutlich seltener der Fall.
Immer wieder werden Schauspielerinnen als Mütter älterer Mimen besetzt, obwohl ihr Altersunterschied nur wenige Jahre beträgt. Frauen um die siebzig oder gar achtzig werden auf diese Weise raffiniert aus dem Bewusstsein ausgeblendet.
Eine Liebesgeschichte zwischen einem Siebzigjährigen und einer Dreißigjährigen wird als selbstverständlich dargestellt, während beim umgekehrten Fall, sollte es dieser überhaupt auf die Leinwand schaffen, das tragische Ende vorherzusehen ist. So wird auf subtile Weise das Älterwerden von Männern auf-, das von Frauen dagegen abgewertet.
Ein anderes Thema: Wie unterscheidet sich die Gesundheit älterer Frauen von der älterer Männer? Am interessantesten finde ich das sogenannte Geschlechterparadoxon: Frauen haben die höhere Lebenserwartung und zugleich die höhere gesundheitliche Beeinträchtigung. Und es gibt noch weitere paradoxe Tatsachen: Frauen erkranken doppelt bis dreimal so häufig an Depressionen wie Männer, begehen aber deutlich seltener Suizid. Im Jahr 2015 töteten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 1065 Frauen und 2715 Männer sich selbst.
Wie lässt sich das erklären?
Bisher nicht wirklich. Möglicherweise hängt die Tatsache, dass Frauen öfter als depressiv diagnostiziert werden, schlicht und einfach damit zusammen, dass sie schon mit beginnenden emotionalen Problemen zu Ärzt*innen gehen und eher bereit sind, über ihre Beschwerden zu sprechen. Betrachtet man nämlich nur die Fälle, in denen eine schwere Depression diagnostiziert wurde, gleichen sich die Zahlen von Frauen und Männern an. Die Bereitschaft von Männern, Therapie in Anspruch zu nehmen, scheint also geringer zu sein.
Die höhere Suizidrate bei Männern mag auch damit zusammenhängen, dass sie bei der Selbsttötung effektiver vorgehen. Fast könnte man sagen, dass ihnen ihr Erfolgsstreben zum Verhängnis wird; denn obwohl Suizidversuche bei Frauen häufiger sind, sterben sie seltener dabei.
Trotzdem rütteln solche Zahlen an unseren Klischees. Auf den Punkt gebracht: Wenn es so schrecklich ist, eine ältere Frau zu sein, im Vergleich dazu, ein älterer Mann zu sein: Warum beenden dann so viel mehr Männer als Frauen im fortgeschrittenen Alter ihr Leben? Denn bei Männern ab fünfundsechzig Jahren steigt die Zahl der Selbsttötungen noch einmal deutlich an. Auf eine Frau, die sich das Leben nimmt, kommen dann fünf Männer.
Vielleicht ist das alles aber gar kein Widerspruch: Um richtig alt zu werden, muss man gut mit sich in Kontakt sein, muss spüren, was einem guttut und was nicht, was man braucht und was man meiden sollte. Nur so lassen sich die richtigen Entscheidungen treffen, und nur so lässt sich ein gutes, stimmiges Leben einrichten.
Das Risiko sensibler Menschen besteht darin, zu leiden, wenn es (noch) nicht gelingt, die eigenen Bedürfnisse zu verwirklichen.
Spürt man jedoch gar nicht, was man braucht, und verfährt nach der Devise »Augen zu und durch«, wirkt man zwar auf den ersten, oberflächlichen Blick stark und unangreifbar, doch das dicke Ende kommt später. Ebenso verhält es sich, wenn man nie über die eigenen Probleme spricht und sich gegebenenfalls Hilfe dabei sucht.
Das könnte das Dilemma der Männer und ganz besonders der älteren und alten unter ihnen sein. Sie merken nicht, wenn in ihrem Leben etwas schiefläuft, oder sie setzen sich darüber hinweg. Sie klagen nicht, sondern fallen einfach tot um.
Das sollten wir uns nicht zum Vorbild nehmen.