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Gesundheit und Krankheit

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Es heißt, Alter und Krankheit seien Zwillinge. Ein langes Leben werde am Ende mit längerem, zunehmendem Siechtum bezahlt. Doch stimmt das wirklich?

Zuerst einmal sind die verschiedenen Alter zu unterscheiden. Haben wir es mit Menschen über fünfzig oder über neunzig zu tun?

Die nächste Frage ist die nach der Definition von Krankheit. Ist die subjektive Einschätzung entscheidend, die Fähigkeit, den Alltag selbstständig zu bewältigen, oder kommt es darauf an, welche ärztlichen Diagnosen gestellt und welche Medikamente verordnet werden? Fragen über Fragen. Doch es ist besser, Fragen zu haben, als vorschnell Antworten zu geben.

Tatsache ist, dass Menschen immer älter werden und gleichzeitig länger fit bleiben als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Gesundheitszustand der älteren und alten Bevölkerung in Deutschland verbessert sich ständig. Auch deshalb machen Aussagen die Runde wie: Sechzig sei das neue vierzig, siebzig das neue fünfzig und so weiter. Andererseits erhöht die gestiegene Lebenserwartung das Risiko chronischer Erkrankungen und lässt degenerative Prozesse an Bedeutung gewinnen. Doch die Fortschritte in der medizinischen Versorgung – so sie denn zum Wohle der Patient*innen eingesetzt werden – ermöglichen trotz Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Rheuma ein im Wesentlichen lebenswertes Leben.

Immer mehr ins Bewusstsein rückt die Bedeutung des Lebensstils. Wer Gesundheitsrisiken wie Rauchen, übermäßigen Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel vermeidet, erhöht seine Chancen erheblich, im Alter gesund zu bleiben. Und sogar in späteren Jahren kann der Wechsel von schlechten zu guten Gewohnheiten noch Wunder wirken.

Neben der körperlichen ist die seelische Gesundheit und die mentale Fitness nicht hoch genug einzuschätzen. Eine chronische Erkrankung muss nicht zwangsläufig die Lebensqualität mindern. Erstaunlich vielen älteren und alten Menschen gelingt es, trotz verschiedener Handicaps ihre Lebenszufriedenheit aufrechtzuerhalten.

Zur mentalen Gesundheit gehört es, den Fokus auf das auszurichten, was möglich ist, statt sich auf das zu konzentrieren, was nicht mehr geht. Soziale Teilhabe sowie ein sinnerfülltes, aktives und selbstbestimmtes Leben haben enormen Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit.

Die Zauberformel guten Alterns heißt: »Use it or lose it« oder auf gut Deutsch »Wer rastet, der rostet«. Fähigkeiten, die nicht abgerufen werden, verkümmern. Das gilt für Fremdsprachenkenntnisse ebenso wie für soziale Kompetenz, psychische Flexibilität und – entgegen der weitverbreiteten Ansicht – auch für das Fahrradfahren, das man sehr wohl verlernt, wenn man es nicht trainiert. Nur etwas, das wir regelmäßig tun, ist jederzeit abrufbar. Wer anfängt zu glauben: »Dafür bin ich zu alt!«, stellt sein Training ein und erlebt in der Folge den schleichenden Verlust seiner Fähigkeiten. Es entsteht ein Teufelskreis, der mehr und mehr zu einer Abnahme des Könnens führt. Dies wird dann fälschlicherweise dem Alter zugeschrieben, während es in Wirklichkeit auf mangelnder Übung beruht. Wir alle kennen Menschen, die zwar gleichaltrig, aber ganz unterschiedlich fit sind. Nicht nur Ältere büßen ihre Fähigkeiten infolge Nichtgebrauchs ein. Dieselbe Erfahrung machen bereits Jüngere, wenn sie aufhören, ihr Können einzusetzen. Erst will man nicht mehr, und dann kann man nicht mehr. So wundern sich Vierzigjährige, dass sie nicht mehr so sportlich sind wie mit zwanzig. »Ich fange an, alt zu werden«, glauben sie dann, statt zu begreifen, dass sie mal wieder – so wie früher – trainieren müssten.

Mittlerweile wissen wir, dass Demenzerkrankungen zwar zunehmen, aber keine zwangsläufige Folge höheren Alters sind. Es gibt mehr Menschen, die nie daran erkranken, als Betroffene. Einige Expert*innen auf dem Gebiet der Gerontologie behaupten sogar, es handele sich überhaupt nicht um eine Alterserscheinung, sondern schlicht und einfach um eine behandelbare und – jedenfalls im Frühstadium – heilbare Krankheit. Bildung, körperliche und geistige Aktivität, ausreichender Schlaf, wirksames Stressmanagement und das Meiden bestimmter Medikamente sind gute Voraussetzungen dafür, NICHT an Demenz zu erkranken.

Gesundheit und Krankheit hängen nicht zwangsläufig vom Alter ab, wenn auch die Krankheitshäufigkeit jenseits des achtzigsten Lebensjahres zunimmt. Aber das ist nur eine Beschreibung des Ist-Zustands und keine Aussage über das, was bei rundum gesunder und glücklicher Lebensführung möglich wäre. Im Alterssurvey 2002 gaben nur sieben Prozent der über Siebzigjährigen an, an keiner Krankheit zu leiden. Bei den Vierzig- bis Fünfundvierzigjährigen sind es 32 Prozent, was bedeutet, dass auch unter denjenigen, die noch nicht als alt gelten, erstaunliche 68 Prozent mit einer Erkrankung leben. Immerhin sind unter den Siebzig- bis Neunundsiebzigjährigen 50 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen mit ihrer Gesundheit zufrieden oder sehr zufrieden. Diese Zahlen lassen sich unterschiedlich werten. Einerseits sind bereits rund zwei Drittel der jüngeren Menschen gesundheitlich beeinträchtigt. Andererseits zeigt sich knapp die Hälfte aller jüngeren Alten mit ihrer Gesundheit zufrieden bis sehr zufrieden.

Doch ist nicht irgendeine Krankheit – spätestens im hohen Alter – erforderlich, weil wir alle sterben müssen? Nicht einmal das, denn es gibt durchaus Menschen, die ohne leidvolle Vorerkrankung ihr Leben beschließen, einfach weil ihr Herz eines Tages oder Nachts stehen bleibt.

Beim allgemeinen Schreckgespenst Pflegebedürftigkeit lohnt sich ebenfalls eine genauere Betrachtung. Je höher das Lebensalter, desto höher ist auch der Anteil an pflegebedürftigen Menschen. Trotzdem haben über 30 Prozent der Frauen über fünfundachtzig keinerlei Bedarf an fremder Hilfe. Nicht einmal die Pflegebedürftigkeit im hohen Alter ist also ein Automatismus. Wobei Frauen deutlich häufiger als Männer pflegebedürftig werden, nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch prozentual. Allein an der höheren Lebenserwartung von Frauen kann es demnach nicht liegen.

Zwei Erklärungsansätze lassen sich hören: Zum einen könnten Männer, die – anders als die meisten ihrer Geschlechtsgenossen – überhaupt ein sehr hohes Alter erreichen, gesundheitlich besonders widerstandsfähig sein. Zum anderen pflegen deutlich mehr ältere Frauen ihren alten Lebenspartner, als das umgekehrt der Fall ist. Möglicherweise wird deswegen kein Antrag auf Pflegeversicherungsleistungen gestellt und die unterstützungsbedürftigen Männer gehen nicht in die Statistik ein.

Wer keine Falten hat, hat nie gelacht

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