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Von den Früchten der Natur leben
ОглавлениеIn Ragow wohnten wir direkt neben einem Bauernhof. Sobald ich mit den Schulaufgaben fertig war, halfen wir unseren Nachbarn bei der Arbeit. Dafür bekamen wir einen Laib Brot oder ein Stück Butter. In dieser Zeit lernte ich so gut wie alle landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Wenn auf den Feldern das Korn reif zur Ernte stand, haben wir mit der Hand die Manderln aufgestellt und die Körner mit dem Dreschflegel herausgeschlagen. Das Ackerland wurde mithilfe zweier Ochsen bestellt. Was heute maschinell in zehn Minuten erledigt wird, dauerte damals gut zwei Stunden. Zu meinen Aufgaben zählten auch Stallausmisten und Melken. Ich lernte auch, wie man Butter selber macht. Das war ein spannendes Unterfangen, denn wenn die Temperatur nicht optimal war, hatte man nach vier Stunden Stampfen nicht Butter, sondern einen riesigen Berg Schlagsahne! Das war natürlich lustig, nur gab es dann eben keine Butter … Aber wenn man Glück hatte und die Temperatur richtig war, hat sich die Butter am Boden des Fasses zusammengeballt, und man durfte sich obendrein auf ein Glas frische Buttermilch freuen!
Die Kartoffelernte erfolgte ebenfalls noch in reiner Handarbeit. Auf Leinensäcken kniend, haben wir die Kartoffeln mit einer Harke herausgeholt und nach ihrer Größe aussortiert. Das war eine ziemliche Prozedur – aber als Belohnung versammelten sich nach der Arbeit alle Helfer an einem riesigen Tisch und wir aßen die frisch gekochten Pellkartoffeln, die wir zuvor gerade geerntet hatten. Dazu gab es das berühmte Spreewälder Leinöl und Quark, was bis zum heutigen Tag zu meinen absoluten Lieblingsspeisen zählt! Keine Woche vergeht ohne dieses Gericht! Das weiß auch mein treuer Berliner Fanclub, der mir alle zwei Monate frisches Spreewälder Leinöl nach Wien schickt.
Mit Ragow verbinde ich noch etwas: den herrlichen Duft von frisch getrocknetem Heu. Nachdem die Männer mit Sensen die Wiesen gemäht hatten, hieß es für uns, das geschnittene Gras so lange sorgfältig zu wenden, bis es trocken war. Und zwar wirklich ganz trocken! Andernfalls bestand die Gefahr, dass das Heu schimmlig werden würde und somit als Futter unbrauchbar war. Also mussten wir wenden, wenden, wenden … Danach wurde stundenlang zusammengerecht und das Heu auf den Ochsenkarren verladen. Wenn abends der Heuwagen voll war, kletterte ich ganz hinauf und genoss dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, weich gebettet und eingehüllt von diesem herrlichen Duft nach Hause zu fahren – in der untergehenden Sonne … All das gehörte jetzt schon zu meinem Leben. Es hätte eine schöne Zeit sein können, wenn nicht dieser fürchterliche Krieg die Idylle ständig wie ein Damoklesschwert überschattet hätte.