Читать книгу "Wer seiner Seele Flügel gibt …" - Renate Holm - Страница 20
ОглавлениеIn meiner Mühle werde ich immer wieder mit dem natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen, von Geburt und Sterben konfrontiert, und zwar auf eine ganz direkte, unvermittelte Art und Weise. Es ist ein besonderes Erlebnis zu beobachten, wie im Frühjahr die Natur erwacht, die grünen Halme des Korns aus der Erde schießen, die Büsche und Bäume austreiben und die ersten Blumen sich zu entfalten beginnen. Auch die Tiere schütteln die Müdigkeit des Winters ab und bekommen ein neues, glänzendes Fell. Im Sommer zeigt die Natur, wie kraftvoll und prächtig sie sein kann, bis dann im Herbst, wenn die Tage immer kürzer werden und die Natur zu welken beginnt, sich überall schon die Ahnung der Wintermüdigkeit einschleicht … Dieser jährliche Wechsel, bei dem die Schönheit der Natur in jedem Frühling wiedergeboren erscheint, zählt zu den großen Mysterien unserer Schöpfung. Da ist der Rosenstrauch voller Knospen, die eines Tages aufbrechen, erblühen, sich entfalten – und vergehen, um im nächsten Jahr in der gleichen Schönheit wieder zu erstrahlen.
Manchmal denke ich, wieso können wir Frauen nicht auch wie die Rosen Jahr für Jahr in der gleichen Schönheit neu »erblühen«?
Aber man soll nicht unbescheiden sein … Die Mühle schenkt mir in ihrer Stille und Abgeschiedenheit so viele Möglichkeiten, mental und körperlich zu regenerieren – das alleine schon ist für mich ein unschätzbar wertvoller »Jungbrunnen« …
Meinem ersten Pudel Glöckchen zu Ehren wurde dieser wunderbare Weg nach ihm benannt.
Der »Glöckchenweg«, meine Kraftquelle
Direkt vor meinem Haus beginnt ein zweihundert Meter langer Weg, der zwischen dem Acker und einer kleinen Böschung (der sogenannten »Gstätten«) verläuft. Seit vielen Jahren ist das meine morgendliche leichte Joggingstrecke, die meinen sportlichen Ehrgeiz (der sich weiß Gott leider in Grenzen hält …) gut abdeckt. Im noch feuchten Gras laufe ich hier barfuß im langsamen Tempo einmal hin und einmal zurück. Diese vierhundert Meter sind ein absolutes Muss! Ob mit Rückenschmerzen oder anderen Wehwehchen. – Das ist mein tägliches Fitnesstraining, wenn ich in der Mühle bin.
Dieser Fitnessweg ist für mich auch ideal zum Textlernen oder um meine stimmlichen Vokalisen zu machen. Es gibt keinen Weg, den ich öfter entlanggegangen bin als diesen. Oft in Gedanken versunken und immer wieder aufs Neue dankbar, diesen Fleck Erde gefunden zu haben. Besonders in der ersten Zeit, nachdem ich die Mühle gekauft hatte, war es ein unbeschreibliches Glücksgefühl, den eigenen Boden unter den Füßen zu spüren …
Auf diesem für mich ganz besonderen Weg begleitete mich Glöckchen – mein allererster Hund, den mir meine Mutter kurz vor meinem Umzug von Berlin nach Wien geschenkt hatte – ein zauberhafter brauner Zwergpudel mit ebensolchen braunen, samtigen, gütigen Augen. Er war mein Herzenshund …
Als er noch ganz klein war, gab er pünktlich alle zwei Stunden vier, fünf kurze glockenhelle Töne von sich, das Zeichen fürs Gassi-Gehen, leider auch nachts … Nach zwei Wochen war er stubenrein, aber der Name dieses (Weck)Glöckchens ist ihm geblieben … Und er war in vielerlei Hinsicht ein besonderer Hund, man könnte sagen, er hatte eine Künstlernatur, war einfühlsam und hochmusikalisch – man musste beim Singen die Töne richtig schön produzieren, wenn etwas ein bisschen zu laut oder nicht ganz genau getroffen war, legte er sofort die Ohren an und seine vorwurfsvollen Augen sprachen Bände …
Zwölf Jahre lang war Glöckchen immer an meiner Seite. Er begleitete mich auf Tourneen, ging mit mir in Rundfunk- und Aufnahmestudios, Filmateliers und Probebühnen, und wo immer er war, saß er ruhig und unauffällig auf seinem Platz und wartete brav, bis ich mit der Arbeit fertig war. Selbst die skeptischsten Aufnahmeleiter, Regisseure oder Dirigenten akzeptierten nach einer Weile seine Anwesenheit, da er niemanden störte. Auch bei den Dreharbeiten zu meinem vorletzten Film Liebe, Mädchen und Soldaten war er mit dabei und wurde sogar mit Frauchen in eine Szene integriert. Er war eben ein Ausnahmehund, ein so besonderes Wesen – und ich hatte das Gefühl, wir waren eine Seele voll der Harmonie …
Aber wie das Leben leider so ist, wurde er plötzlich krank und es gab keine Aussicht auf Heilung mehr. Und als der Punkt gekommen war, an dem Glöckchen signalisierte, dass er keine Kraft mehr hatte, musste ich ihn schweren Herzens einschläfern lassen … Er ist am Ende meines Lieblingsweges begraben, der ihm zu Ehren seither Glöckchenweg heißt.
Das Besondere an diesem Weg ist auch die herrliche Aussicht, die man bei jedem Schritt genießt. Die Weite der Landschaft, die sanften Hügelketten, die malerischen Weingärten – in der ganzen Umgebung gibt es nichts Schroffes, keine »Ecken und Kanten«, hier zeigt sich das Weinviertel von seiner lieblichsten Seite. Diese Harmonie und Ruhe sind unendlich wohltuend und haben viele meiner Kollegen von der Oper, vom Theater und ganz besonders meine malenden Freunde fasziniert. Wenn mich zum Beispiel Eberhard Waechter, Michael Heltau, Heinz Holecek, Ernst Stankovski, Heinz Marecek, Gundula Janowitz, Otto Schenk, Staatsoperndirektor Egon Seefehlner oder auch einmal der von mir sehr geschätzte Prawy-Nachfolger Christoph Wagner-Trenkwitz in der Mühle besuchen kamen, stand so gut wie immer ein Spaziergang in die umliegenden Weinberge auf dem Programm. Und da der Glöckchenweg in einen kleinen Feldweg mündet, den man stundenlang entlangspazieren kann, gab es bei diesen gemeinsamen Wanderungen immer viel Zeit und Muße für einen inspirierenden Gedankenaustausch. Man sprach über bevorstehende Premieren genauso wie über Gesangstechnik oder neue Projekte. Kurz gesagt, wir diskutierten über »Gott und die Welt«, und inmitten dieser traumhaften Kulisse war es natürlich oft auch ein Thema, wie wir die Erhabenheit und Schönheit der Natur in unsere Kunst einbringen konnten. Sänger haben hier ganz andere Erfahrungen als Schauspieler, und Maler haben wiederum eine andere Sichtweise … Da gab es natürlich immer viel zu erzählen …
Auf dem Heimweg, sobald die Mühle in Sichtweite war, wurde es dann wieder sehr realistisch. – Schon kam der Satz: »Wir haben Hunger!« Und Heinz Zednik und Heinz (Honzo) Holecek, die beiden Weltmeister im Singen, aber auch »im Pflanzen«, sagten quasi »im Duett«: »Na, Renatchen, wat jibts denn heute aus deine Balina Küche?« Die Antwort war im Innenhof der Mühle, wo bereits meine »Heinzelmännchen« eine große Tafel gedeckt hatten mit Renates klassischem Berliner Buffet. Hierzu gehörten echte Berliner Buletten und Kartoffelsalat (nach Holms Spezialrezept zusätzlich verfeinert mit Äpfeln und Salzgurken!), Berliner Würstchen sowie »Hackepeterbrötchen« (eine Art Tatar aus Schweinefleisch mit viel kleingehackten Zwiebeln) und als Beilage meine geliebten Spreewälder Salzgurken. Dazu gab es eine Berliner Weiße mit Schuss – entweder in Rot oder Grün, also mit einem Schuss Himbeersaft oder Waldmeister. Und als Nachtisch: Rote Grütze mit Vanillesauce – und vor allen Dingen für die »Herren der Schöpfung« ein Stamperl Steinhäger.
Meine Mühle war immer offen für alle Freunde und Kolleginnen und Kollegen. Heinz Zednik mit einer von mir selbst gebratenen Berliner Bulette (Laberl) am Teller
Der wunderbare Otto Edelmann, mein Baron Ochs in unzähligen Rosenkavalier-Aufführungen, mit seiner zauberhaften Frau Ilse
Otti Schenk und Tenorissimo Georgi Tscholakoff im »Duell«: Wer hat das bessere Muskeltraining?
Jeder kennt ihn, jeder liebt ihn, immer strahlend: Niederösterreichs ehemaliger Landeshauptmann Erwin Pröll
Diese kleinen Feste und Zusammenkünfte haben oft bis spät in den Abend hinein gedauert, und zum Abschluss dieser herrlichen Sommernächte zündeten wir meist noch ein Lagerfeuer an, und spätestens dann wurde mit einem zarten Unterton nach einem Flascherl Wein verlangt. Genauer gesagt: Alle wollten einen Grünen Veltliner aus der Region – schließlich war man heute ja ausgiebig in den Weingärten spazieren gegangen … Der Abend endete somit in gewisser Weise, wie der Tag begonnen hatte: mit den »Geschenken« der Natur, die man hier auf so vielfältige Weise genießen kann.
Die unmittelbare Nähe zur Natur und meinen Tieren und die Erhabenheit der über dreihundert Jahre alten Gemäuer meiner Mühle bieten mir eine einzigartige Geborgenheit und gleichzeitig die Möglichkeit, dieses Glück mit den vielen Menschen bei meinen Konzerten und meinen Freunden zu teilen.