Читать книгу Heinrich die Suche - Renate Stadlmaier - Страница 10
ОглавлениеDAS ABENDMAHL
Nach diesem Schauspiel nahmen alle wieder ihre gewohnte Arbeit auf.
Der Schmied beschlug die Pferde, ein anderer holte Wasser aus dem Brunnen, wieder andere backten Brot, machten den Stall sauber, fütterten Hühner, Schweine, Pferde und Kühe.
Immer wieder kamen Leute und schleppten Mehlsäcke, Stroh, Waffen oder Feuerholz, bis es langsam zu dunkel für die Arbeit wurde. Danach begaben sich die fleißigen Menschen in den Rittersaal zum Essen. Der Saal, oder mehr die Halle, war fünfundzwanzig Meter lang, vielleicht zwanzig Meter breit und mit Stroh ausgelegt. Darinnen befanden sich an den Wänden Holzbänke, die mit Fellen bedeckt waren und am Kopfende ein Kamin. Begeistert halfen alle zusammen die Tafel aufzubauen. Männer und Frauen stellten die Böcke auf, worauf breite, lange Holzbretter gelegt wurden.
Dabei sangen sie, lachten und scherzten miteinander.
„ Margarete, Karl, hier herüber!“, rief einer
„ Ja, so ist es gut.“
„ Vorsicht! Wollt ihr mich köpfen?“, schrie ein anderer und erntete lautes Gelächter.
„ Los, schneller, Justinian! Schlaf nicht ein, sonst bekommst du heute nichts zu essen!“
„ Das kann dem nicht schaden. Der ist sowieso schon zu fett!“
Wieder lachten alle.
Nach einer Weile war die Tafel aufgebaut. Männer und Frauen nahmen auf Stühlen und Bänken Platz. Holzlöffel und Holzschüsseln wurden ausgeteilt und jeder bekam eine dicke Scheibe Brot. Heinrich, Franziska, Conrad und Sybilla hatten ihre Plätze am vorderen Teil der Tafel eingenommen. Alle bekamen eigene Holzbecher und nachdem die Anwesenden mit verdünntem Wein und Bier versorgt waren, wurde es still im Saal. Graf Willhelm von Falkenstein schritt die Treppe hinunter, die zu den Schlafgemächern der Herrschaft führte. Ihm folgte Bertram, fein gekleidet und strahlend lächelnd. Er hatte die braunen, langen Locken aus dem Gesicht gekämmt und sah aus wie ein Feenprinz, der die Treppe herabschwebte.
Trotz seines fortgeschrittenen Alters war der Graf ein großer, massiger Mann mit schlohweißer Mähne. Er war ebenfalls sehr vornehm gekleidet, mit einer Cotta aus brauner Wolle und darunter ein weißes Unterkleid aus Batist, braune Beinlinge und Lederstiefel. Der Gürtel den er trug, war reich mit Perlen verziert. Neben ihm wirkte Bertram fast zierlich. Es bestand überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen den beiden. Sie setzten sich ans Kopfende des Tisches und der Graf leerte zwei Becher unverdünnten Weins hintereinander. Erst jetzt, durften auch alle anderen trinken.
Kurz darauf wurde das Abendessen in riesigen, dampfenden Kesseln herein getragen. Zuerst wurde dem Grafen, seinem Sohn und denen, die bei ihm saßen, serviert, dann durften sich die restlichen Frauen, Männer und Kinder selbst bedienen. Alle füllten ihre Schüsseln und aßen mit großem Appetit. Die Fleischstücke spießten sie mit dem Messer auf und das Brot tunkten sie in die Soße.
Nach dem Essen begann ein Mann auf einer kleinen Holzflöte zu spielen und die ganz fleißigen Frauen nützten die Zeit für ihre feinen Handarbeiten. Sie konnten spinnen, kunstvoll sticken und auch Brettchenweben. Diese Art der Bandweberei erfreute sich großer Beliebtheit und die Frauen stellten Gürtel, Bänder, Borten und sogar Zaumzeug her.
Conrad saß bei einigen Kindern und tat, als sähe er ihnen beim Damespielen zu. In Wirklichkeit beobachtete er den Grafen, der sich angeregt unterhielt und mit seiner befehlsgewohnten Stimme die Diener herumkommandierte, damit sie ihm mehr Wein brachten.
„ Wie kann man es nur mit so einem Trunkenbold aushalten?“, dachte er laut.
„ Es hat einmal eine Frau gegeben, die das konnte.“ antwortete jemand hinter ihm.
Es war Agnes, die Tochter der Köchin. Eigentlich war sie schon eine Frau, oder nicht? Conrad vermochte es nicht genau zu sagen. Unter ihrem Kleid waren schon leichte weibliche Formen zu erkennen, doch ihre volle, dunkle Haarpracht umspielte ein rundes, kindliches Gesicht.
Agnes hockte sich neben Conrad auf den Boden.
„ Ich weiß, mein Vater hat mir von ihr erzählt. Sie hieß Gertrud und war Bertrams Mutter.“
„ Meine Mama sagt, dass der Graf kein „richtiger“ Mann sei, weil er dem Wein so zugetan ist. Darum entsprang seiner Ehe mit der wunderschönen Gertrud auch nur ein einziger Sohn.“
„ War sie denn wirklich so schön?“
„ Ja das sagen alle. Sie war wie eine Fee. Ihr langes, blondes Haar fiel über ihren Rücken wie ein dichter Pelz. Sie soll vor Kummer gestorben sein“.
Agnes machte eine kurze Pause, um ihren letzten Worten Nachdruck zu verleihen.
„Eigentlich soll sie einen Geliebten gehabt haben, aber das hätte der Graf wohl nie zugelassen.“
Conrads Herz setzte einen Schlag lang aus.
„ Wer hat das behauptet?“
„ Die Kammerfrau der Gräfin erzählte es einer anderen. Die wiederum erzählte es weiter und bald wussten es natürlich alle.“
„ Weiß man auch, wer ihr Geliebter war, falls das stimmen sollte?“ beeilte sich Conrad hinzuzufügen.
„ Nein, natürlich nicht. Dieses Geheimnis preiszugeben hätte der Kammerfrau den Kopf gekostet.“
„ Ich glaube dieses Gerücht nicht.“ sagte Conrad zornig und hätte sich gleich darauf Ohrfeigen können.
Agnes sah ihn von der Seite an und zuckte dann mit den Schultern.
„ Na egal. Sie ist tot und diese Geschichte liegt lange zurück. Wen kümmert das heute noch?“
Sie stand auf, ging zu den anderen Kindern und ließ Conrad einfach sitzen.
Von hinten fuhr ihm jemand zärtlich über den Schopf.
„ Na, woran denkst du, mein Sohn?“
Es war seine Mutter. Conrad drehte sich nach ihr um und sprang auf die Beine. Er umarmte ihre schmale Taille und drückte seine Wange fest an ihren warmen Bauch.
Franziska trug, als verheiratete Frau, ihr langes kastanienbraunes Haar unter einer Kopfbedeckung, die Kopf, Ohren und Kinn umschloss, welche man Gebende nannte, zudem ein dunkelgrünes Oberkleid aus weichem, fließendem Stoff mit besticktem Saum. Wie bei den Männern waren die Kleidungsstücke der Frauen oben eng geschnitten und fielen ab der Hüfte in weiten Falten bis zu den Füßen herab. Sie hatte grüne Augen und eine zarte, weiße, fast durchscheinende Haut.
Sofort erkannte sie, dass ihren Sohn etwas bedrückte.
„Was ist los?“, fragte sie.
„ Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon - du und Vater?“
„ Hm! Lass mich kurz nachdenken. Das müssen jetzt genau dreizehn Jahre sein.“
„ Und wieso weißt du das so genau?“
„ Weil es damals, als wir uns kennen lernten, ein unglückliches Jahr gewesen ist.“
„ Was war denn so Schreckliches geschehen?“
„ Der Danubius (Donau) hatte Hochwasser geführt und das ganze Gebiet bis hin zum Bisamberg überschwemmt. Die Felder ertranken im Eisstoßwasser und die Bauern mussten ihre Ernte aufgeben. Viele kleinere Tiere wurden einfach weggeschwemmt und die Häuser großteils zerstört. Danach gab es das ganze Jahr über nicht genug zu essen und die armen Leute versuchten verzweifelt ihren Hunger zu stillen, indem sie sogar Gras aßen. Die Kirchenmänner trennten sich damals schweren Herzens von ihren Schätzen, um die Armen zu speisen und die Bauern bauten mühevoll ihre Häuser wieder auf, um wenigstens in der kalten Jahreszeit ein Dach über dem Kopf zu haben. Doch die Ernte war zerstört, die Vorratskammern leer und der Winter zog unbarmherzig mit klirrender Kälte ins Land. Die Menschen froren und hungerten. Viele von den Alten und die schwachen Kinder überlebten die Wintermonate nicht.
Damals kam dein Vater mit Brot und etwas Obst aus den Vorratskammern des Grafen in unser Haus.
Ich werde diesen Tag nie vergessen. Immer wieder brachte er den Ärmsten der Armen etwas zu essen. So konnten wir überleben und nicht nur meine Familie. Einige mehr verdanken ihm ihr Leben, die er in dieser schweren Zeit mit dem Notwendigsten versorgt hatte.
Na ja, ich habe deinem Vater, obwohl ich sehr mager war, scheinbar doch ganz gut gefallen, denn er holte mich hierher auf die Burg und ich wurde seine Frau. Natürlich war ich bis über beide Ohren in diesen wunderbaren Mann verliebt und liebe ihn heute noch.“
In diesen Worten lag die ganze Wärme ihres Herzens und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht.
Conrads Zweifel an der Liebe seiner Eltern war mit einem Mal zerstreut.
Wie konnte er nur so töricht sein.
„ Nun, mein Sohn, war das alles, was du wissen wolltest?“
„ Vorerst schon“, sagte Conrad und zwinkerte seiner Mutter zu.
„ Na, dann komm. Lass uns nach Hause gehen.“
Sie verließen den Rittersaal, gefolgt von Heinrich und der kleinen Sybilla.
Draußen war es dunkel geworden. Die Nacht war warm und der Himmel sternenklar. Die Vier schlenderten gemeinsam über den inneren Burghof, durch das Tor mit dem Fallgitter, in den äußeren Burghof, wo sich ihr Haus befand. Nur noch wenige Schritte trennten sie von der Tür. Eine schwarze Wolke schob sich vor den Mond und hüllte den Rest des Weges in ein schwarzes Tuch.
Plötzlich hörte Heinrich ein leises Schnaufen.
Er drehte sich um und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
Dort, an der dunklen Fläche der Mauer, bewegte sich etwas.
Das Licht reichte nicht aus, um festzustellen, was es war.
Wieder hatte Heinrich dieses komische Gefühl in der Magengegend.
„Schnell ins Haus“. zischte Heinrich und öffnete die Tür.
Franziska und die Kinder verschwanden darin und Heinrich schloss die Tür.
Alleine blieb er draußen stehen.
„Ist da jemand?“
Etwas huschte an ihm vorbei. Bedrohlich nahe.
Heinrich wirbelte herum.
Da gab die Wolke den Mond wieder frei und sein silbrigblaues Licht erleuchtete den Burghof.
Es war niemand da. Alles war wie ausgestorben