Читать книгу Heinrich die Suche - Renate Stadlmaier - Страница 12
ОглавлениеDAS FEUER
Wenig später hörten sie von oben ein Prasseln und Knacken.
Heinrich sprang auf und schnupperte in der Luft.
„ Mir kommt es vor, als würde ich Rauch riechen“, sagte er.
Franziska schnupperte ebenfalls.
„ Tatsächlich, ich rieche es auch.“
Jetzt drang deutlich Brandgeruch in die Stube ein.
„ Feuer!“ schrie Heinrich.
Kurz darauf war der Raum voller Rauch.
„ Das Dach brennt! Alle raus hier!“, rief Heinrich entsetzt.
Conrads Herz begann wie wild zu schlagen. Mit jedem Atemzug sog er den Rauchgeruch ein. Wie ein gehetztes Tier blickte er um sich und wusste nicht, was er tun sollte, während Heinrich Franziska und Sybilla zur Tür drängte.
Es rumpelte und krachte, als Conrad nach oben blickte.
Das Feuer hatte bereits ein großes Loch in das strohgedeckte Dach gefressen und bildete einen roten Kreis vor dem schwarzen Hintergrund des nächtlichen Himmels.
„Was sollen wir tun?“, rief Conrad seinem Vater zu. Panik drohte ihn zu ergreifen.
„ Unser ganzes Haus wird abbrennen! Wir müssen das Feuer löschen!“
„ Raus, hab ich gesagt. Schnell!“, herrschte ihn sein Vater an.
Er hielt Sybilla an einer Hand und Franziska an der anderen.
Mit sanfter Gewalt stieß er sie zur Tür hinaus. Conrad stand wie angewurzelt und starrte auf das brennende Dach.
„ Isabella!“, schrie Sybilla und riss sich von ihrer Mutter los.
„ Ich habe Isabella vergessen!“
Sie wollte zurück ins Haus laufen, doch Heinrich fing sie wieder ein und klemmte sich das zappelnde und schluchzende Mädchen wie einen Sack Mehl unter den einen Arm und mit dem anderen hielt er die Tür auf.
„ Komm jetzt, Conrad, bevor es zu spät ist“, rief Heinrich und schlüpfte mit der schreienden Sybilla durch die Tür ins Freie in der Meinung, dass sein Sohn ihm folgte.
Doch Conrad zögerte, denn er sah Isabella, Sybillas Puppe, die ihr Mama genäht hatte, auf dem Tisch liegen. Er lief hin, ergriff die Puppe und steckte sie vorne in sein Hemd.
Damit verlor er kostbare Sekunden.
Dann krachte es erneut.
Conrad zuckte zusammen und als er nach oben blickte, sah er einen riesigen Balken, der herab fiel, sich mehrmals um sich selbst drehte und mit solcher Wucht auf den Boden aufschlug, dass die Wände des Hauses erzitterten. Ein Funkenregen und glühende Asche folgten nach. Conrad sprang im letzten Moment zurück und riss instinktiv die Arme schützend über den Kopf. Ein paar Funken trafen seine Kleidung und brannten kleine Löcher hinein. Gesicht und Haare blieben zum Glück verschont. Als er die Arme wieder herunternahm, starrte er voller Entsetzen auf eine Feuerwand. Vor ihm lag der brennende Balken und versperrte ihm den Weg zur Tür. Die Luft wurde jetzt so heiß, dass sein Gesicht und seine Augen schmerzten. Nun fingen auch die Möbel und das Stroh, mit dem der Boden ausgelegt war, Feuer. Rund um Conrad züngelten die Flammen hoch.
Er war gefangen.
Der beißende Rauch brannte in seinen Augen und in seiner Lunge. Er fühlte die unerträgliche Hitze des Feuers auf seiner Haut. Das alles war so unwirklich, ein Albtraum......
„Ich sterbe.. ich verbrenne“, dachte Conrad und versuchte taumelnd einen Weg durch die Feuerwand zu finden.
Doch überall schlug ihm glühende Hitze entgegen.
Es war aussichtslos.
Jetzt hatte er Todesangst.
Als ihn ein heftiger Hustenanfall überfiel, geriet er ins Stolpern und fiel auf die Knie. Plötzlich hörte er seine Mutter und seinen Vater von weit her und verweht seinen Namen rufen.
Am liebsten hätte er losgeheult.
„Mama!“, brüllte er wie von Sinnen und in dem Schrei lag die ganze tiefe Verzweiflung seines Herzens.
Das Tosen des Feuers schwoll an und wurde lauter und lauter. Immer wilder schlugen die Flammen empor.
Vor Conrads Augen war alles nur mehr eine rotgelbe Feuersbrunst.
Einmal mehr versuchte er die Panik niederzukämpfen und starrte wieder zur Decke hinauf. Dort oben war nur noch ein Flammenmeer.
Angstvoll blickte er um sich, doch seine Augen tränten so sehr, dass er kaum noch etwas sehen konnte.
Einen Augenblick lang glaubte Conrad im Rauch eine verzerrte Gestalt wahrgenommen zu haben. Oder war es seine Fantasie, die ihm einen Streich gespielt hatte?
Da packte ihn von hinten eine Hand und hielt ihn an der Schulter fest.
Namenloses Entsetzen ergriff Conrad.
„Jetzt ist alles aus“, dachte er und schloss die Augen.
Conrad war bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben.
Er wurde hochgehoben und davongetragen. In seinen Ohren dröhnte das Tosen der Feuersbrunst und dann brach die ganze rechte Seite des Dachstuhls ein.
Doch Conrad war nicht mehr in Gefahr. Sein Retter schleppte ihn schwer atmend und schweißüberströmt ins Freie, wo sie gemeinsam in sicherer Entfernung zur Erde fielen.
„ Er hat ihn! Gott sei Dank, er hat ihn!“, hörte er die Stimme seiner Mutter vor Freude und Erleichterung rufen.
Conrad öffnete die Augen und sah verblüfft Bertram ins Gesicht, der ihn noch immer fest hielt. Es roch versengt und Conrad sah Kratzer und Russspuren auf seinem Gesicht. Um den Kopf hatte er ein nasses Tuch wie einen Turban geschlungen. Behutsam ließ er Conrad los.
„ Na, alles klar, Hasenfuß?“, lächelte Bertram und zog sich mit einer schwungvollen Bewegung das Tuch vom Kopf. Er schüttelte die nassen Locken und zwinkerte Conrad schelmisch zu.
„ Ich....., ich......,“ stotterte Conrad, kam aber nicht mehr dazu einen vollständigen Satz zu formen, denn Franziska hatte ihn erreicht und fiel vor ihm auf die Knie. Sie drückte ihn so heftig an sich, dass ihm die Luft weg blieb. Ihr Kopf war unbedeckt, ihr Haar zerzaust und sie weinte Tränen der Freude. Immer wieder strich sie Conrad übers Gesicht, dann drehte sie den Kopf und rief Heinrich, der mit Sybilla angerannt kam, zu:
„ Es ist alles in Ordnung! Heinrich, er lebt! Unser Sohn lebt!“
Conrad zog die Puppe aus seinem Hemd und hielt sie grinsend seiner Schwester entgegen. Isabella war unversehrt.
Sybilla flog ihrem Bruder in die Arme und drückte die Puppe überglücklich an ihre kleine Brust.
Heinrich stand für einen langen Moment nur da, um zu begreifen was er sah.
Dann begannen seine Schultern zu zucken. Ein Weinkrampf schüttelte ihn und er schlang seine Arme um seine Familie.
Es dauerte Minuten, bis seine Schultern aufhörten zu zucken.
Das laute, drängende Läuten der Feuerglocke ließ alle aufschrecken. Erst jetzt bemerkte Conrad, dass sich alle Bewohner der Burg auf den Beinen befanden. Mit Wassereimern versuchten sie das brennende Haus zu löschen, um das Übergreifen der Flammen auf die anderen Gebäude zu verhindern. Herabstürzende Balken zerbarsten in tausend Stücke und überall brannten kleine Feuerchen. Alle liefen aufgeregt und schreiend durcheinander. Die Hitze war jetzt auch im Burghof deutlich spürbar.
Heinrich hatte sich wieder gefangen, richtete sich auf, holte tief Luft und straffte die Schultern. Entschlossen nahm er wieder die Führung auf.
„ Bertram, kommt! Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren.“
Mit lauter Stimme rief er die Bewohner zusammen, erteilte Befehle und ordnete das Chaos.
„ Bertram und ich stellen uns so nahe es geht zum brennenden Haus.
Die anderen in einer Reihe bis zum Brunnen hinter uns. Wir bilden eine Menschenkette und reichen die Wassereimer durch. So geht es schneller!
Justinian, Sebastian ihr zählt alle, damit wir wissen, ob jemand fehlt und haltet Ausschau nach Verletzten!
Agnes, bring die Kinder hier weg, ins Haupthaus, da seid ihr sicher!“
Das Feuer hatte seinen Höhepunkt erreicht und die Flammen leckten bereits am Dach des Wehrgangs, der Heinrichs Haus mit dem Bergfried (Beobachtungsturm) verband. Das Getöse wurde lauter und lauter. Voller Entsetzen beobachtet Conrad, dass das ganze Haus sich ächzend, ein Stück nach vorne neigte und dann mit ohrenbetäubenden donnern und krachen in sich zusammenstürzte. Ein Schwall glühender Holzstücke regnete auf alle Umstehenden herab.
„Gott steh uns bei“, flüsterte Franziska und bekreuzigte sich.
Sie half Conrad auf die Beine und nahm Sybilla, die mit weit aufgerissenen Augen auf das Feuer starrte, bei der Hand.
Gerade als die drei Agnes und den anderen Kindern ins Haupthaus folgen wollten, rief jemand aus der Menge:
„Da seht! Der Herr hat Erbarmen mit uns!“
Er deutete mit ausgestrecktem Arm nach oben und alle wandten ihre Köpfe zum Himmel.
„ Ein Wunder!“, rief einer.
„ Der Herr hat unsere Gebete erhört!“, schrie ein anderer.
„ Heilige Muttergottes!“, rief eine Frau, schlug ein Kreuz und weinte.
Andere umarmten sich und hüpften auf der Stelle.
Dann begann es zu regnen.
Heinrich starrte in den nächtlichen Himmel, der mit tiefschwarzen Wolken verhangen war und wurde fahlweiß. Zwischen der Dunkelheit erwachte eine pulsierende, zuckende Helligkeit zum Leben und formte sich zu einer Frauengestalt mit wehenden Haaren, gehüllt in ein langes, weißes Gewand.
„Gertrud“, Ihr Name war kaum mehr als ein Hauch, der über Heinrichs Lippen kam.
Blitze zuckten und schufen ein wirres Durcheinander von Farben, in dem Gertruds Gestalt wie eine Insel der Ruhe mitten am Himmel stand. Sie lächelte.
Heinrich fühlte, wie ihm dieser Anblick die Kehle zuschnürte und die Welt ein Stück zurücktrat. Alles rund um ihn verstummte und verlangsamte sich. Überdeutlich vernahm er dann die Stimme Gertruds vom Himmel herab.
„ Erinnert Euch an unseren Stein! Nur seine Macht kann euch vor dem Bösen schützen!“
Heinrich zuckte zusammen und sah sich verstohlen um, doch Franziska starrte nur mit rot geweinten Augen auf die brennenden Reste ihres Hauses. Die Kinder und auch sonst niemand außer ihm schien die Gestalt am Himmel wahrzunehmen. Heinrich schaute wieder hoch und plötzlich waren die bunten Lichter überall. Gertruds langes Haar strebte auseinander und wirkte wie goldene Flammen, die in einem rhythmischen Auf und Ab den ganzen Himmel in Brand setzten.
Danach begann sich Gertruds Gestalt langsam aufzulösen, ihr Lächeln verblasste und sie verschwand hinter dem dichten, schwarzen Wolkenband, das den nächtlichen Himmel überzog.
Wieder zuckten Blitze durch die Nacht und rissen Heinrich aus seiner Starrheit. Der Wind peitschte den Regen in die Gesichter der Menschen, Regenböen fegten über den Burghof und die Flammen wurden kleiner und kleiner, bis sie ganz erstarben.
Aber alle jubelten vor Freude und tanzten im Regen.
Nur Heinrich nicht. Er konnte nicht fassen, was da geschah.
Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck großer Verwirrtheit. War er gerade dabei, verrückt zu werden? Wieder war ihm Gertrud erschienen und hatte zu ihm gesprochen. Sie hatte den Stein erwähnt- ihren Stein. Nein, das war kein Streich seiner überreizten Fantasie. Sie hatte den Regen gebracht und die Burg samt ihren Bewohnern vor großem Unglück bewahrt. Es war, als hielte die Gräfin von Falkenstein noch im Tode ihre schützende Hand über ihr einziges Kind und der Liebe ihres Lebens. Heinrich blickte zum Schlossturm hinauf, der wie ein dunkler Fingerzeig in den Himmel ragte. Darüber zuckten Blitze und ihr kurzer, greller Saum blendete ihn. Seine vom Regen durchnässten Kleider klebten an seiner Haut und er ballte die Hände zu Fäusten. Eine beunruhigende Vorahnung machte ihm klar, dass dies der Anfang eines langen, beschwerlichen Weges war. Er stand da und starrte auf den Trümmerhaufen, der einst sein Haus gewesen war, Franziska und die Kinder schweigend neben ihm.
„ Wer oder was dies alles verursacht hat, bei Gott, ich werde es herausfinden“, flüsterte er.