Читать книгу Heinrich die Suche - Renate Stadlmaier - Страница 11
ОглавлениеDER SCHATTEN
Heinrich saß der Schreck noch in allen Gliedern. Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Finsternis. Der Schatten, den er gesehen hatte, war verschwunden. Er war eins geworden mit der Dunkelheit und hinterließ die eisige Luft erkalteter Seelen. Es war ein Moment, in dem Heinrich überzeugt war, den Atem der Hölle gespürt zu haben.
„ Ich weiß nicht, wer oder was du bist, aber ich kann dich fühlen.“ flüsterte er und bewegte sich vorsichtig, rückwärts auf die Eingangstür zu. Immer wieder hielt er Ausschau nach etwas Verdächtigem, doch nichts war zu sehen.
Er drehte sich um und starrte auf den schmalen Lichtstreif unterhalb der Tür seines Hauses.
Da raste aus dem Nichts ein blauer Funke heran und schlug wie ein Blitz neben Heinrich in den Boden. Gleich darauf fegte ein Sturm durch den Burghof, der ihn beinahe von den Beinen riss.
Heinrich klammerte sich mit aller Kraft am Türrahmen fest und stemmte sich gegen den Wind. Die Anstrengung trieb ihm den Schweiß aus allen Poren.
„ Was willst du von mir?“ schrie er, doch das Tosen des Sturms verschlang seine Worte.
„ Ich werde nicht zulassen, dass dieser Familie etwas geschieht! Nicht, solange ich lebe!“
Der Sturm zerrte an seinen Kleidern und seinen Haaren, sodass Heinrich Mühe hatte sich festzuhalten. Er biss sich auf die Lippen und zog sich mit aller Kraft zur Tür.
Rasch drückte er sie auf und zwängte sich durch einen Spalt ins Haus.
Erschöpft lehnte er sich von innen mit dem Rücken gegen die Tür. Sein Brustkorb hob und senkte sich. In der Mitte des Raumes stand Franziska mit bleichem Gesicht, die Kinder fest an sich gedrückt. Sybilla weinte.
Conrad ließ seine Mutter los und kam auf ihn zu.
„Alles in Ordnung, Vater?“
„ Alles in Ordnung, Sohn.“ keuchte Heinrich.
Draußen hatte sich der Sturm so plötzlich gelegt, wie er gekommen war.
Es herrschte wieder Totenstille im Hof.
Vorsichtig löste Heinrich den Arm Franziskas von Sybilla und hob das Mädchen hoch. Die Kleine vergrub ängstlich ihr Gesicht in seiner Halsgrube.
„Was war das?“, fragte Franziska mit zittriger Stimme und legte die Stirn in tausend Sorgenfalten.
Heinrich streichelte beruhigend ihre Wange.
„Ich kann es dir nicht sagen, aber ich kann es fühlen und ich weiß, dass es sich noch in unserer Nähe befindet.“
Er drückte Franziska das Kind in die Arme und wandte sich zu Conrad.
„ Du musst jetzt sehr tapfer sein. Ich brauche deine Hilfe.“
„ Was kann ich tun?“
„ Verriegle die Tür und alle Fenster. Ich werde oben alles verschließen.
Es muss alles dicht sein, sodass niemand mehr herein kann. Beeil dich.“
Es war eine schwüle Nacht. Heinrich, Franziska und Conrad saßen mit verschwitzten Kleidern in der Stube und warteten. Sie warteten mit angespannten Nerven darauf, dass etwas passieren würde.
Sybilla saß auf Franziskas Schoß. Der Kopf war ihr auf die Brust gesunken und sie atmete regelmäßig.
Plötzlich vernahmen alle ein leises Geräusch. Ein Klirren.
Heinrich hielt den Atem an und lauschte.
„ War das der Wind?“, fragte Sybilla verschlafen.
„ Ja, Schätzchen. Das wird wohl der Wind gewesen sein.“ antwortete Franziska.
Ihre Stimme zitterte unmerklich.
Dann wieder.
Ein Scharren. Rascheln.
„ Oh Herr im Himmel“; sagte Franziska. Sie presste die Hand vor den Mund und starrte Heinrich mit weit aufgerissenen Augen an.
Etwas schabte an der Hauswand entlang.
Conrad spürte sein Herz im Hals schlagen. Sybilla wimmerte leise.
Heinrich schloss die Augen und bündelte seine ganze Konzentration auf das Geräusch vor dem Haus.
Wieder dieses Kratzen an der Wand, dieses Mal höher.
Franziska, Conrad und Sybilla sahen Heinrich erwartungsvoll an. In ihren Augen war nur pure Angst zu sehen.
„Es ist wieder da“, sagte Heinrich.
„ Es versucht, hier hereinzukommen.“