Читать книгу Heinrich die Suche - Renate Stadlmaier - Страница 7

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CONRAD


„Sybilla! Wo bist du?“, rief Conrad und suchte den Burghof nach seiner kleinen Schwester ab.

„ Sybilla! Komm doch endlich her! Wo hast du dich denn diesmal versteckt?“

Die strahlende Helligkeit der Vormittagssonne versprach einen heißen Sommertag. Conrad war jetzt acht und fand es ziemlich ungerecht von seiner Mutter, dass sie ihm ständig auftrug, auf seine kleine Schwester aufzupassen.

„ Pass gut auf Sybilla auf. Sie ist unsere Julfestmaid,“

hörte er sie in Gedanken sagen. Sie nannte Sybilla so, weil sie am Weihnachtsabend geboren wurde.

„Ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr, jeden Winkel nach dir abzusuchen!“, rief er wieder laut. Wütendes Hundegebell, das von irgendwo her kam, war seine Antwort.

Etwas weiter weg spielten ein paar Kinder „Himmel und Hölle“ und eine junge Magd hing vor der Küche Wäsche an eine straff gespannte Wäscheleine. Er sah die Knechte, die Werkzeug über den Hof trugen und angeregt miteinander sprachen, aber von seiner Schwester war weit und breit nichts zu sehen.

Conrad sah seinem Vater Heinrich sehr ähnlich. Er hatte kinnlanges, strubbeliges blondes Haar, eine spitze Nase und blaue Augen. Seine Kleidung bestand nur aus einem Kittel ohne Ärmel, der ihm bis zu den Knien reichte und in der Mitte mit einer Art Kordel zusammen gebunden war. Er trug Strümpfe, die von Strumpfhaltern an seinen kurzen Hosen befestigt waren und Holzschuhe.

„ Fang mich! Fang mich!“, rief Sybilla laut auflachend, sprang hinter einer Hausecke hervor und verschwand blitzschnell wieder in den Ställen.

„ Oh Gott! Nicht schon wieder durch den stinkenden Pferdemist“, stöhnte Conrad, nahm aber sogleich die Verfolgung auf. Er entdeckte den Haarschopf seiner Schwester, der ebenso blond wie seiner war, hinter einer kleinen Mauer, schlich sich an und griff nach ihren Zöpfen. Sybilla quietschte auf, warf ihm einen Schemel vor die Füße und war schon wieder entwischt. Lachend zeigte sie ihm die lange Nase. Der Stall war leer bis auf ein kleines Pony, das im hinteren Teil des Stalles angebunden stand. Aufgeschreckt von den Kinder schnaubte und stampfte es ungehalten.

„ Dumme Gans!“, fluchte Conrad.

Dieses kleine freche Mädchen war erst fünf, aber unheimlich flink.

„ Du kriegst mich nicht! Du kriegst mich nicht!“

Sie trug einen Kittel, so wie Conrad, der ihr bis zu den Knöcheln reichte.

Sybilla bückte sich, nahm ihre Holzschuhe in die Hand und stürmte los.

Conrad hetzte hinterher.

Im inneren Burghof, den Bertram, der Sohn des Grafen, oft für seine Übungskämpfe mit dem Schwert nutzte, bekam er einen Zipfel ihres Kittels zu fassen.

„Hab ich dich endlich, du kleines Miststück!“

Triumphierend zog er sie zu sich heran, doch Sybilla trat, kratzte und biss ihn. Sie riss sich wieder los und wollte weiter laufen. Conrad stürzte sich mit einem Hechtsprung auf sie und stieß sie um. Jetzt lag sie bäuchlings vor ihm auf dem Boden. Er hockte sich auf ihre Beine und drückte ihre Arme nach hinten.

„ Lass mich los! Lass mich sofort los, oder ich sag es Mami!“, schrie sie.

Conrad ließ eine Hand los, um ihre Stimme zu ersticken, doch sogleich kratzte die Kleine wieder und riss ihn an den Haaren.

„ Du weißt, dass wir hier nicht spielen dürfen. Warum läufst du immer wieder hierher?“, fauchte Conrad sie an und gab ihr eine Ohrfeige.

Sie lagen im Dreck und Sybilla begann zu weinen.

Plötzlich packte Conrad eine kräftige Hand und zog ihn hoch. Das kleine Mädchen sprang sofort auf die Beine, streckte ihm die Zunge heraus und lief davon.

Erschrocken schaute Conrad in das Gesicht Bertrams.

„ Hat man dich nicht gelehrt, dass man junge Damen nicht schlägt?“

„ Das ist keine Dame, das ist meine Schwester“, erwiderte Conrad trotzig.

Der junge Mann hob belustigt die buschigen Brauen.

„ Lasst ihn los, Bertram! Ich werde das mit meinem Sohn regeln!“, hörte Conrad die Stimme seines Vaters rufen.

Heinrich trat aus dem Schatten des Torbogens mit dem hochgezogenen Fallgitter, das den äußeren vom inneren Burghof trennte. Hierher, in den inneren Burghof, brachten die Bauern ihre Abgaben und im Kriegsfall würden die Bewohner hier Schutz finden. In der Mitte des Hofes stand ein Brunnen. Seine Mutter hatte ihn und seine Schwester oft davor gewarnt dort zu spielen, denn der Schacht war an die hundert Meter tief.

Bertram ließ Conrad los, der sofort zu seinem Vater lief.

„ Läuft wie ein Hase und verprügelt kleine Mädchen. Was soll da bloß aus dir werden!“, rief ihm Bertram hinterher.

Er stemmte die Arme in die Hüften und bog sich vor Lachen. Dabei zeigte er ein paar makellose Zähne.

Überhaupt war Bertram ein hübscher Kerl. Er war groß, zwar nicht so groß wie sein Vater, aber schlank und gut gebaut. Seine dunkelbraunen, leuchtenden Augen blickten stets freundlich und waren von außergewöhnlicher Intensität. Die dunklen Augenbrauen standen in einem Winkel wie die Schwingen eines Adlers. Sein Mund mit den vollen Lippen, schien immer zu lächeln und die Linie von seiner Stirn zum Kinn war lang und elegant, fast kunstvoll geschwungen. Er hatte wie die meisten freien Männer seiner Zeit das dichte, schulterlange, braun gelockte Haar aus der Stirn zurückgekämmt. Bertram besaß wirklich eine seltene Art von Schönheit. Er trug einen „ roc“ aus tiefblauem Samt mit eng zugeschnittenem Oberteil und Schnürbändern an den Seiten, während der Unterteil in weiten Falten bis zu den Waden herabfiel. Die Ärmel waren an den Unterarmen eng anliegend und aufwändig bestickt. Um die Hüften hatte er einen Gürtel geschlungen und er trug schwarze enge Hosen mit kurzen Halbstiefeln aus Leder, die vorne spitz zuliefen.

„ Lasst es gut sein, Bertram“, sagte Heinrich ruhig, als er sah, wie sich die Wangen seines Sohnes vor Zorn rot färbten.

Er nahm Conrad bei der Hand und verschwand mit ihm durchs Tor.

„Warum hört ihr nicht auf das, was eure Mutter euch sagt? Du weißt doch, dass der Graf es nicht gerne sieht, wenn ihr Kinder im inneren Burghof spielt.“

Conrad sah Heinrich ins Gesicht.

„ Ich weiß das doch, aber Sybilla läuft immer wieder hier herein.“

„ Sie ist noch ein kleines Mädchen.“

„ Sie ist blöd!“

„ Sie ist deine Schwester.“

„ Sie hört nie auf mich.“

„ Deshalb darfst du sie nicht schlagen.“

„ Warum wollt ihr immer, dass ich auf sie aufpasse? Sie tut ja doch, was sie will.“

„ Das stimmt, sie ist ziemlich stur. Das hat sie von mir. Doch sie ist auch so zart wie ein kleines Rehkitz. Trotzdem, du bist der Ältere und du musst lernen, dich durchzusetzen.“

Sein Vater war ein großer, breitschultriger Mann mit strohblonden Haaren, die sich vorne schon leicht zu lichten begannen. Die spitze Nase und das Kinn hatte Conrad von ihm geerbt. Er war modisch gekleidet wie Bertram, hielt sich aber an schlichtere Farben. Heinrich schaute seinen Sohn verständnisvoll an.

Conrad senkte den Blick.

„Warum dürfen wir eigentlich dort nicht spielen? Wir tun doch gar nichts Böses.“

„ Weil der Graf Kindergeschrei nicht ausstehen kann. Sei froh, dass es Bertram war, der euch erwischt hat.“

„Pah! Bertram, dieser aufgeblasene Pfau! Ich kann ihn nicht leiden. Er hat sich über mich lustig gemacht. Was weiß der schon über kleine Schwestern. Und der Graf? Bertram ist sein Sohn und war ein Kind. Den musste er ja auch großziehen. Hat Bertram denn nie gespielt?“

Heinrichs Gesichtszüge verhärteten sich.

„ Bertram durfte nie so ausgelassen sein wie ihr, und großgezogen habe ich ihn. In deinem Alter musste der Junge viel lernen. Wo wir gerade beim Lernen sind - hast du heute schon Lesen und Schreiben geübt?“, versuchte Heinrich das Thema zu wechseln und zog Conrad sanft am Ohr.

„ Ja, ja.“

Conrad schüttelte die Hand seines Vaters ab und bohrte weiter.

„ Wieso hast du ihn großgezogen?“

„ Du weißt doch, wie wichtig es ist, Lesen, Schreiben und Rechnen zu können?“

Conrad ließ nicht locker.

„ Bitte, Vater, erzähl mir alles.“ bettelte der Junge.

Heinrich seufzte. Unzählige Male schon wollte Conrad diesen Teil aus seinem Vaters Leben erfahren, doch der konnte sich immer geschickt herauswinden. Diesmal bohrte der Junge hartnäckig weiter. Obwohl es ihm sichtlich schwer fiel, gab Heinrich dem Drängen seines Sohnes nach.

„Schon gut, ich erzähle es dir ja.

Sie setzten sich beide im äußeren Burghof auf eine schmale Holzbank, die im Schatten der hohen Mauern des inneren Burghofes stand. Heinrich lehnte sich gegen das kühle, raue Mauerwerk, hielt kurz inne und starrte ins Leere. Hinter seinem geistigen Auge schien der Film seines bisherigen Lebens in nur wenigen Sekunden abzulaufen.

Heinrich die Suche

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