Читать книгу Heinrich die Suche - Renate Stadlmaier - Страница 13
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Heinrich versammelte alle im Rittersaal und befahl ein Feuer anzuzünden.
Erst jetzt bemerkte er, dass es allmählich zu tagen begann.
„ Agnes, Margarete! Richtet für alle einen warmen Brei und heiße Honigmilch für die Kinder“, befahl er.
Die Köchin und ihre Tochter machten sich sofort an die Arbeit.
Auch der Graf war aufgewacht und in den Saal gekommen. Er erteilte die Erlaubnis ein Fass starken Weins zu öffnen und bediente sich als erster daran. Bald waren alle versorgt und Heinrich verließ den Rittersaal.
„ Wartet auf mich, Heinrich!“, rief Bertram ihm nach und folgte ihm.
Es hatte aufgehört zu regnen und durch den grauen, mit Wolken verhangenen Morgenhimmel versuchte die Sonne durchzubrechen. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, stiegen die beiden Männer die Wendeltreppe des Wehrturms hinauf. Oben angekommen, atmete Heinrich tief durch. Ein leichter Luftzug ließ den Schweiß auf seiner Haut eiskalt werden und jagte ihm einen kurzen Schauer über den Rücken. Tausend Gedanken schwirrten in seinem Kopf und er stützte sich mit den Händen auf die Zinnen. So oft schon hatte er hier oben gestanden, ratlos oder verwirrt und jedes Mal hatte er durch diesen atemberaubend schönen Ausblick wieder neue Kraft geschöpft. Ungehindert konnte er seinen Blick über das Gebiet schweifen lassen und wie immer beschlich ihn ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Überall erstreckten sich wilde Wälder und Auen und die Donau bahnte sich mit ihren zahlreichen Nebenarmen einen natürlichen Weg durch diese märchenhafte Landschaft. Der Bisamberg, Endpunkt der Ostalpen und die kleine, donauseitig gelegene Ortschaft (Lang) Enzersdorf, waren schon vor langer Zeit seine Heimat geworden.
Heinrich seufzte tief.
Er fühlte die kühle Luft vom Wald her und Morgentau lag auf dem hohen Gras. Zu dieser Stunde erwachte auch gerade auf der anderen Seite der Donau die kleine Stadt Wien. Heinrich wusste, dass sich in weniger als einer halben Stunde die wirren, engen Gassen mit Menschen und Tieren füllen würden, deren Ausdünstungen und Geräusche sich tief in seinem Gedächtnis eingeprägt hatten. Dem Stadtleben konnte Heinrich nichts abgewinnen. Er war schon in vielen großen Städten gewesen, doch es hatte ihn immer wieder hierher zurückgezogen, auf die Burg Falkenstein.
Hier fühlte er sich wohl. Hier war sein Zuhause.
„Die Nordwand zum Haupttor wird erneuert werden müssen“, brach Heinrich das Schweigen.
„ Die Pechnasen (durch diese wurde heißes Wasser oder Öl auf Angreifer geschüttet) und das Nebentor haben nichts abbekommen. Der Wehrgang muss auch überprüft werden. Ich werde heute noch einen Boten in die Stadt auf den hohen Markt, zu den Zunfthäusern der Steinmetze und Zimmermannleute schicken. Die Mauer und das Haus sollten so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden. Wir brauchen bis zum Winter ein Dach über den Kopf.“
„ Ihr solltet zuerst mit meinem Vater darüber sprechen“, antwortete Bertram.
„ Euer Vater“, seufzte Heinrich und zog verächtlich die Mundwinkel herab.
„ Nach diesem Frühstück wird er wohl kaum in der Lage sein....“
„Vorsicht, Heinrich, ihr sprecht von meinem Vater, dem Grafen Willhelm von Falkenstein“, warnte Bertram.
Er wusste, wie Heinrich über seinen Vater dachte und darum bemühte er sich um einen heiteren Tonfall, als er weiter sprach.
„Er ist immer noch der Herr dieser Burg und ihrer Ländereien. Wir müssen seine Entscheidung abwarten.“
„ Aber das kann Tage dauern“, protestierte Heinrich verhalten.
Heinrich hatte Recht, das konnte Bertram nicht leugnen und er nickte. Längst schon hätte er, der junge Graf von Falkenstein, stellvertretend für seinen Vater, die Rolle des Führers übernehmen sollen, doch er hütete sich davor den Zorn des Greises zu erregen. Der Mann konnte nach wie vor hart und unerbittlich sein. Es war nur der Wortgewandtheit und Diplomatie seines väterlichen Freundes Heinrich zu verdanken, dass das Leben in - und außerhalb der Burg nicht aus den Fugen geriet.
Bertram legte die gekreuzten Arme auf die Zinnen und sah nachdenklich in die Ferne.
„ Wisst Ihr noch?“, nahm Heinrich das Gespräch wieder auf.
„Mit sieben wollte Euer Vater Euch als Page an einen fremden Hof schicken. Ihr wart noch so klein und mager.“
„ Ja, ich weiß,“ murmelte Bertram.
„Ihr habt es verhindert und Vater dazu überredet, dass er Euch meine Erziehung überlässt.“
„ Richtig, und mit vierzehn wurdet ihr in den Stand eines Knappen erhoben.“
Bertram wandte den Kopf und in seinen Augenwinkeln stand ein Lächeln.
„ Ich erinnere mich. Damals konnte meine Stimme kaum ihre Lage halten. Es war schrecklich.“
Er konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Heinrich nickte und erwiderte das Schmunzeln.
„Und endlich nach vierzehn Jahren Ausbildung habt Ihr in der „Schwertleite“ den Ritterschlag bekommen, mit ihm das Recht ein Lehen zu erhalten und im Turnier mitzukämpfen. Ihr seid ein außergewöhnlich hübscher, kräftiger junger Mann geworden und ich bin stolz auf Euch und all Eure Fähigkeiten. Aber wo war Euer Vater?“
Bertram wandte den Kopf ab, aber nicht schnell genug, um den Schmerz in seinem Gesicht zu verbergen.
„ Er ließ Euch damals durch einen Boten mitteilen, er könne der Zeremonie nicht beiwohnen, da eine schlimme Krankheit ihn ans Bett fesselte. Wer ihn wirklich ans Bett fesselte, wissen wir, nicht wahr, mein junger Freund?
Eine junge Mätresse war dem Vater wichtiger als sein eigen Fleisch und Blut.“
Längst vergessener Schmerz einer tiefen Enttäuschung stieg in Bertram auf und füllte seine dunklen Augen.
Einen kurzen Moment war Heinrich versucht, Bertram zu umarmen. Er bezwang seine Rührung und sprach weiter.
„ Warum ich Euch jetzt mit der Vergangenheit quäle, Bertram, hat einen Grund.“
Der Junge wandte sich um, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Mauer.
„ Ich habe Euer Vertrauen in all den Jahren nie missbraucht, junger Freund.“
Bertram nickte zustimmend.
„ Doch jetzt werde ich Euch von einem höchst sonderbaren Vorfall berichten.“
Heinrich hielt kurz inne und sah in den Burghof, auf den Trümmerhaufen hinunter.
„ Man wird mich und meine Familie dafür verantwortlich machen. Von uns trägt aber keiner Schuld an dem Brand.“
Wieder machte er eine kurze Pause, wog seine Worte genau ab und sprach weiter.
„Gestern Abend, nach dem Essen, habe ich im Burghof ein..., einen Schatten gesehen. Irgendetwas war da, ich weiß es genau. Es ist um unser Haus geschlichen. Wir haben es alle gehört. Es war so......kalt, so.....eisig. Als wäre es nicht von dieser Welt. Ich kann es Euch nicht besser beschreiben.“
Bertram zog die Augenbrauen hoch und musterte Heinrich ernst. Ihre Blicke trafen sich und Bertram erschrak, denn er sah Furcht in diesen seltsam blauen Augen.
„ Was redet ihr da?“
Heinrich hob abwehrend die Hand.
„ Nein, unterbrecht mich bitte nicht. Während des Gewitters heute Nacht erschien mir Eure Mutter und rief mir eine Warnung zu. Ja, ja, ich weiß, wie seltsam das klingt, aber sie war mir schon zwei Nächte davor im Traum erschienen und hatte mich vor etwas gewarnt, das Euch bedrohen würde.“
Bertram schwieg. Er schüttelte die langen, braunen Locken. Das konnten doch unmöglich die Worte jenes Mannes sein, der alles, was andere als Magie bezeichneten, Betrügereien und miese Tricks nannte.
„ Wollt gerade Ihr mir sagen, Ihr hättet einen Geist gesehen?“ Er betrachtete Heinrich mit einem abschätzenden Blick.
„ Ja,“ war Heinrichs knappe Antwort, dabei hielt er dem Blick Bertrams stand.
Der Dreiundzwanzigjährige stieß sich von der Mauer ab und machte zwei Schritte auf Heinrich zu. Den Ellenbogen auf den anderen Unterarm gestützt, drückte er den Zeigefinger auf die Lippen und dachte kurz nach.
„ Ihr wollt Euch über mich lustig machen?“
„ Dafür ist wohl jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.“
Bertram legte den Kopf schief und drohte mit dem Zeigefinger.
„ Ziemlich gefährliches Gebiet für einen Ungläubigen.“
Heinrich antwortete nur mit einem Stirnrunzeln.
Bertram konnte ein Lachen nicht mehr unterdrücken.
„ Also gut, Ihr habt den Geist meiner Mutter gesehen und mit ihr eine kleine Unterhaltung geführt. Ich hoffe, dass Pfarrer Ludwig Euch morgen in seine Gebete aufnimmt, obwohl Ihr nie seine Messe besucht.“
„Er wird es nicht erfahren, denn ich bitte Euch, mit niemandem darüber zu sprechen.“
„ Also gut, ich werde kein Wort zu jemandem sagen. Lasst uns aber jetzt über wichtigere Dinge sprechen.“
Heinrich konnte den Spott in seiner Stimme nicht mehr länger überhören und warf ihm einen drohenden Blick zu.
„ Das ist kein Spiel und auch kein Scherz!“
Er packte Bertram nicht gerade sanft am Arm.
„ Habt Ihr denn gar nichts bemerkt? Kurz, nachdem wir den Saal verlassen hatten, fegte ein gewaltiger Sturm durch den Burghof.“
Er sah Bertram erwartungsvoll an, doch der schüttelte nur den Kopf.
„ Ihr müsst mir versprechen, äußerst wachsam zu sein. Ich fürchte, dass gefährliche Zeiten auf uns zukommen.
Eure Mutter hat Euch sehr geliebt. Es ist die einzige Erklärung, die ich habe um zu verstehen, warum sie aus dem Totenreich zurückgekehrt ist. Sie will EUCH schützen!“
Bertram hob begütigend die Hand.
„ Schon gut. Ich habe ja schon versprochen aufzupassen.“
Heinrich nickte ernst und ließ Bertrams Arm los. Ohne ein Wort wandte er sich ab und ging.
Bertram lief ihm nach, überholte ihn und lief rückwärts vor ihm her.
„ Heinrich, erlaubt mir ein paar Fragen. Was haltet ihr von Schlangensteinen, Drachenaugen und all den anderen Zaubersteinen?“
„ Nichts weiter als buntes Glas aus Italien“, antwortete Heinrich trocken.
„ Und was haltet ihr von Zaubertränken und diversen Elixieren?“
„ Alles erklärbar, wenn man sich in der glücklichen Lage befindet eine Alchemiekammer, einen Destillierkolben, Verschlackungspfannen, einige Gläser mit Kräutern, duftende Flüssigkeiten, Schwefel und ein Kohlebecken zu besitzen.“
Bei dieser Antwort lächelte Bertram.
„ Wie sieht es aus mit Drachen, Feen und Hexen?“
„ Haarsträubender Unsinn.“
Jetzt grinste Bertram breit. Er blieb stehen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Dabei seufzte er übertrieben laut.
„ Gott sei Dank! Ihr seid nicht verrückt geworden.“
Heinrich war weitergegangen und blieb ebenfalls nach zwei Schritten abprupt stehen. Er wandte den Kopf und zog überrascht eine Braue hoch.
„Hattet Ihr das wirklich gedacht?“
Jetzt musste auch Heinrich lachen.
Er trat auf Bertram zu, legte die Hand auf seine Schulter und sagte wieder ernst:
„Eure Mutter wäre sehr stolz auf Euch gewesen, hätte sie gesehen, welchen Mut Ihr heute Nacht bewiesen habt. Wer weiß, vielleicht war sie ja Euer Schutzengel. Ich habe Eurer Mutter an ihrem Sterbebett das Versprechen gegeben auf Euch aufzupassen und nun habt Ihr meinen Sohn gerettet. Ich stehe tief in Eurer Schuld. Seid Euch gewiss, dass, wenn es sein muss, ich mein Leben geben werde für Eures, so wie Ihr bereit gewesen seid, Euer Leben für Conrad zu opfern.“
In diesem Moment brach die Sonne durch die dichte Wolkendecke und sandte ihre ersten, wirklichen Strahlen voller Licht über das Land. Sie streifte die Berge, die Wiesen, die Baumwipfel und übergoss das ganze Land mit Wärme.
„Ich danke Euch“, sprach Bertram doch der Ausdruck seiner Augen sagte Heinrich wortlos sehr viel mehr.