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Philosophie und Modell der ICF

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Die ICF baut auf einem bio-psychosozialen Verständnis von Behinderung auf

ICF und ICF-CY basieren auf einem bio-psycho-sozialen Verständnis von Behinderung. Damit wird deutlich gemacht, dass Behinderungen nicht einfach auf eine Störung oder ein körperliches Problem reduziert werden können. Behinderungen müssen unter der Perspektive des Körpers (z. B. Funktionen des Hörens), der Aktivitäten des Individuums (z. B. Fähigkeit, gesprochene Sprache zu verstehen) und der Beteiligung an sozialen Situationen (z. B. im Klassenzimmer dem Unterrichtsgeschehen folgen) betrachtet werden. «Behinderung» wird also nicht mit einer vorliegenden Schädigung der Körperfunktionen (Sehfunktionen) oder der Körperstrukturen (Retina) gleichgesetzt, auch die Fähigkeiten der Person (zuschauen, lesen) und ihre Beteiligung an verschiedenen Lebenssituationen (Schulweg bewältigen, sich am Unterricht beteiligen) werden berücksichtigt. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, Schwierigkeiten bei der Beteiligung in der Schule zu verstehen; denn nicht alle Schwierigkeiten ergeben sich zwingend aus einer bestimmten Schädigung.


ABBILDUNG 1: Modell der ICF und der ICF-CY (nach WHO, 2011)

Das Modell der ICF (siehe Abbildung 1) berücksichtigt dieses bio-psychosoziale Verständnis, indem es Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation als drei getrennte, aber zueinander in Beziehung stehende Konstrukte definiert. → Siehe Beitrag von Felkendorff und Luder. Sie alle können von einem vorliegenden Gesundheitsproblem, aber auch von den Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) beeinflusst werden und umgekehrt. Mit Gesundheitsproblem sind Krankheiten oder Störungen gemeint, wie sie in der internationalen Klassifikation der Krankheiten erfasst werden. Down-Syndrom, Autismus oder Zerebralparese werden als solche Gesundheitsprobleme verstanden. Umweltfaktoren sind äußere Einflüsse, während personbezogene Faktoren als der betroffenen Person immanent oder zugehörig verstanden werden, wie etwa das Alter oder das Geschlecht (vgl. ICF, Kapitel 3 und 6). Der Begriff «Behinderung» selbst taucht im Modell nicht auf, weil Behinderung als das Ergebnis dieser komplexen Interaktion verstanden wird.

Kontinuum zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung

In der ICF wird Funktionsfähigkeit und Behinderung als Kontinuum verstanden, auf dem alle Menschen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben befinden. Alle Menschen erleben Gesundheitsprobleme, und wer lange genug lebt, wird früher oder später mit Einschränkungen der Funktionsfähigkeit konfrontiert. Deshalb ist die Sprache der ICF universell, sie beschreibt Dimensionen der Funktionsfähigkeit, die für alle Menschen relevant sind. Wenn sich alle auf einem Kontinuum zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung verorten können, gibt es auch keine eindeutige Trennung zwischen behindert und nicht behindert. Ist ein Kind extrem introvertiert, oder ist es autistisch? Ist es expansiv und dominant, oder ist es aggressiv und verhaltensgestört? Ist es verträumt und mehr an Fußball statt an Mathematik interessiert, oder ist es lernbehindert? Ist es einfach schlecht in der Rechtschreibung, oder hat es eine Lese-/Rechtschreibstörung? Entscheidungen in die eine oder andere Richtung werden nach bestimmten Kriterien und mit bestimmten Absichten getroffen, diese können auch von Fachperson zu Fachperson unterschiedlich sein.

ICF als universelle Sprache zur Unterstützung der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Förderplanung

Die universelle Sprache der ICF erleichtert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, weil sie nicht ausschließlich auf medizinische, psychologische oder soziale Probleme fokussiert, sondern diese in einer gemeinsamen Systematik erfasst. Augenärztin, Regellehrperson und schulische Heilpädagogin haben je eine spezifische Sicht auf die Situation des Kindes und konzentrieren sich auf diejenigen Aspekte der Behinderung, die primär mit ihrem Wissen und ihren Aufgaben in Zusammenhang stehen. Wenn sie sich auf die ICF und die ICF-CY als gemeinsame Sprache verständigen, können sie ihre Beobachtungen und Überlegungen gemeinsam verorten und integrieren. Nicht nur für eine umfassendere und differenziertere Beschreibung von Behinderungen ist das bio-psychosoziale Modell der ICF hilfreich, sondern auch für das Planen von Maßnahmen. Die Handlungsmöglichkeiten der verschiedenen Fachpersonen sowie der Eltern und des Kindes können so bei der Umsetzung von gemeinsam vereinbarten Zielen koordiniert werden.

Partizipation

Für das Handeln von Lehrpersonen besonders wichtig ist, dass die ICF nicht die Eigenschaften von Personen ins Zentrum stellt, sondern die Lebenssituationen, in denen Menschen sich befinden. Dadurch wird eine Perspektive gewählt, die Lehrpersonen Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Niemand kann die Eigenschaften einer anderen Person ändern, aber auf Situationen haben alle Beteiligten einen Einfluss. Durch die Veränderung unseres Handelns können wir Situationen verändern und die Umwelt so gestalten, dass Lernen unterstützt und gefördert wird. Das Konstrukt der Partizipation ist deshalb für Lehrpersonen zentral. Je besser Lehrpersonen verstehen, welche Faktoren die Partizipation in der jeweiligen Situation wie beeinflussen, desto eher werden sie den Unterricht optimal gestalten können. Statt sich auf nicht veränderbare Schädigungen, bestimmte Eigenschaften oder Dispositionen zu konzentrieren, wird der Blick auf das gelenkt, was verändert werden kann. Im Folgenden sollen die Grundlagen dargestellt werden, die Lehrpersonen helfen, ihre Handlungsmöglichkeiten in konkreten Situationen vor dem Hintergrund von vorhandenen Behinderungen auszuloten und optimal zu nutzen.

Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage)

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