Читать книгу Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage) - Reto Luder - Страница 34
Befunde zu zentralen didaktischen Elementen
ОглавлениеAusgehend von inklusiven Unterrichtssituationen, wurden in einer Schweizer Studie «Bausteine» für den Umgang mit Heterogenität im Unterricht entwickelt (Eckhart, 2010, S. 133). An diesen Entwurf einer multidimensionalen Didaktik angelehnt, werden weitere Befunde aus der empirischen Unterrichtsforschung berichtet und zentrale didaktische Elemente für den adaptiven und inklusiven Unterricht erarbeitet. Es zeigte sich dabei auch Kontroverses. So manche allgemeingültige empirische Aussage erfordert eine differenziertere Betrachtung in Bezug auf Lernende mit besonderen Lernbedürfnissen.
Individualisierung
Obwohl Individualisierung ein empirisch breit abgestütztes didaktisches Prinzip für den Umgang mit Heterogenität darstellt, zeigt die Unterrichtsforschung, dass sich wenig strukturierter Unterricht negativ auf den Lernerfolg von Kindern mit Lernschwierigkeiten auswirkt (Eckhart, 2010). Die Lernwirksamkeit ist nur bei einer erhöhten didaktischen Aufmerksamkeit und einer intensivierten Lernunterstützung durch die Lehrperson gegeben (Scaffolding, kognitive Strukturierung) sowie durch klare und transparente Lernziele (Fraser et al., 1987). Eine förderdiagnostische Vorgehensweise (Klieme & Warwas, 2011, S. 811) sowie lernprozessbegleitende Verfahren der Beurteilung und Förderung in Form von «formative assessment» (Schütze, Souvignier & Hasselhorn, 2018) erhöhen die Wirksamkeit der Individualisierung. Das Abarbeiten von Aufgaben im individualisierten Unterricht mit dem Ziel einer lückenlosen Beschäftigung der Kinder wird aus empirischer Sicht und im Hinblick auf die Lernwirksamkeit kritisch bewertet (Breidenstein & Rademacher, 2017; Martschinke, 2015).
Lernzieldifferenzierung und Lernzielanpassung
Lernzieldifferenzierung und Lernzielanpassung sind wichtige Instrumente für den Umgang mit unterschiedlichen Lernausgangslagen (Eckhart et al., 2011). Für Lehrpersonen ist der Befund bedeutsam, dass ihre Leistungserwartungen durch einen diagnostizierten Förderbedarf bei einem Kind reduziert werden (Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Das führt zu unerwünschten Stigmatisierungsprozessen und zu Ungleichbehandlungen im Unterricht (z. B. unterschiedliche Lernziele und Lernaufgaben); diese Prozesse können durch Peers verstärkt werden. Um eine einseitige Fokussierung auf das individuelle Lernen auszugleichen, ist der gemeinsame Unterricht wichtig mit dem Fokus auf gemeinsame Ziele und Aufgaben (Eckhart, 2010, S. 141). Studien zur «Kontakthypothese» belegen, dass nicht die Quantität des Kontakts zu Lernenden mit einer Beeinträchtigung für ihre Akzeptanz in der Klasse ausschlaggebend ist, sondern die Qualität der Begegnung. Positive gemeinsame Erfahrungen stärken die Klasse und die soziale Inklusion aller Kinder (zusammenfassend Eckhart, 2005).
Kooperatives Lernen
Kooperatives Lernen ist im Kontext von Heterogenität wirksam, wenn es strukturiert und geplant ist (multikriteriale Ziele für Teilnehmende und Gruppen), sodass inhaltliche Ziele erreicht werden können und auch Prozesse sozialer Anerkennung gefördert werden. Die Lernenden sollten dafür soziale Fertigkeiten und Regeln der gleichberechtigten Zusammenarbeit erwerben (Johnson, Johnson & Holubec, 2005). Die Bedeutung des dialogischen Lernens wird durch die Forschung zum «accountable talk» gestützt. «Respecting the ideas and feelings of classmates» ist eine von drei zentralen lernwirksamen Dimensionen des Konzepts (Resnick et al., 2018, S. 7). Befunde aus der Lesestrategieforschung zeigen, dass schwache Leserinnen und Leser mit bevorzugten Lernenden aus dem mittleren Leistungssegment die beste Beteiligung am Lesetraining zeigen (time on task). In Kleingruppen mit größerer Leistungsheterogenität fand praktisch keine Beteiligung der schwachen Lesenden statt (Munser-Kiefer, 2014). Aufgaben für das kooperative Lernen mit Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf sollten so gestellt sein, dass ihre Ressourcen und Möglichkeiten für die Bearbeitung notwendig sind (Benkmann, 2009).
Öffnung von Unterricht
Die Öffnung des Unterrichts ermöglicht eine stärkere interessengeleitete Partizipation der Lernenden, sie fördert ihr Wohlbefinden und ihre Selbstständigkeit und erleichtert die Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen (Bohl & Kucharz, 2013; Hartinger & Hawelka, 2005; Pauli et al., 2003). Sie führt aber nicht zwangsläufig zu fachlichem Lernen. Die höchsten Leistungen in Arithmetik und Algebra erreichen nach Niggli und Kersten (1999) Klassen ohne Wochenplan. Für das mathematische Selbstvertrauen und das Fachinteresse fanden sich weder für die Grundschule noch für die Sekundarschule positive Effekte. Auf der Sekundarstufe hat sich die Kombination von lehrpersonenzentriertem und offenem Unterricht im Kompetenzbereich Leseverständnis bewährt (Kilius, Vieluf & Brümmer, 2018). Lernschwache und verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler erleben Freiräume und Auswahlmöglichkeiten nicht gleichermaßen positiv wie lernstarke. Sie brauchen oft länger, um eine geeignete Aufgabe auszuwählen, und nutzen die Lernzeit dadurch weniger gut (Lipowsky, 2002). Ist die Aufgabe klar, können auch lernschwache Kinder von einem offenen Unterricht profitieren (Hartke, 2003). Dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung kann nach Hartinger (2005) auch durch die Wahl des Arbeitsorts oder der Mitlernenden begegnet werden, anstatt mit offenem Unterricht. Verstehensorientierter offener Unterricht stellt hohe Anforderungen an die fachdidaktische, organisatorische und lernmaterialbezogene Strukturierung des Lernens (Eckhart, 2010). Vor allem Lernhilfen, die eng mit der Lernaufgabe verbunden sind, können einen Teil der kognitiven Strukturierung übernehmen, die bei der direkten Instruktion von der Lehrperson geleistet wird. Gerade bei schwachen Schülerinnen und Schülern ist der Lernerfolg von der Struktur der Lernmaterialien und der Arbeitsintensität (aktive Lernzeit) abhängig (Hartke, 2003).
Gute und differenzierte Lernaufgaben
Gute und differenzierte Lernaufgaben sind das Herzstück eines individualisierten, offenen Unterrichts. In Bezug auf Lernende mit besonderem Förderbedarf wird vor einer zu starken Reduktion und Vereinfachung von Lernaufgaben gewarnt, weil damit der Sinn des Lernens verloren gehen könnte (Heward, 2003). Das Verstehen zu fördern, ist besonders wichtig in Fächern, in denen Präkonzepte relevant sind, sowie beim mathematischen Lernen (Möller et al., 2002). Geeignete Lernaufgaben für den offenen Unterricht sind für unterschiedliche Niveaus vorzubereiten. Sie sollten für schwächere und stärkere Lernende einsetzbar sein, fachliche Kernideen repräsentieren und unterschiedliche Denk- und Lernwege erlauben, Lern- und Problemlösestrategien trainieren und zu Interaktion und kooperativem Lernen einladen (Reusser, 2006).
Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit
Die unterrichtsbezogene Zusammenarbeit von Regel- und Förderlehrkräften scheint im inklusiven Unterricht notwendig und zielführend, wie nationale und internationale Studien zeigen (zusammenfassend Werning, 2014; Gebhardt et al., 2013; Kunz et al., 2013). Hervorgehoben wird die Relevanz der geteilten Verantwortung für alle Lernenden. Gelingensbedingungen guter Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams sind regelmäßige Absprachen und Treffen, positive Begegnungen und klare Verantwortlichkeiten (Hunt et al., 2003). Bewährt haben sich in der unterrichtsbezogenen Zusammenarbeit verschiedene Arbeitsformen der klassenintegrierten und -separierten Förderung. Je mehr Zeit für das Co-Teaching zur Verfügung steht, desto eher wird Unterricht gemeinsam geplant und durchgeführt. Die Förderlehrkräfte erleben sich dadurch selbstwirksamer und zufriedener (Pool Maag & Moser Opitz, 2014).